Süddeutsche Zeitung

Tiere 2012:Allerbeste Freunde

Ein Riesenschnauzer macht den Führerschein, ein Elefant lernt sprechen, ein Superhengst verpasst Olympia: Die SZ-Redaktion würdigt die Tiere des Jahres.

Eingeklemmt: Erwin

Das Bild zu dieser Geschichte sagte alles, und es rührte selbst Journalistenherzen, von denen es ja gerne heißt, sie seien kalt und hohl. "Achtung, jetzt wird's herzzerreißend", juchzte Spiegel Online am 6. August, während die Hannoversche Allgemeine den "herzerweichenden Blick" des Abgebildeten besang. Zu sehen war ein kleiner, flauschiger Kopf, nicht größer als ein Tischtennisball, der aus dem Loch eines Gullydeckels lugte. Er gehörte einem Eichhörnchen aus Isernhagen, das von der Polizei auf den Namen Erwin getauft wurde, warum auch immer. Die Polizeibeamten zogen und drückten, doch Erwin steckte fest. Erst als eine Anwohnerin Olivenöl organisierte und die Beamten dieses als Schmiermittel auftrugen und dazu noch die Eichhörnchenohren an den Eichhörnchenkopf drückten, kam das Tier frei.

Und weil die Journalisten darüber mindestens so froh waren wie Erwins Helfer, rauschten alsbald Jubelmeldungen über die gelungene Eichhörnchenbefreiung durchs Land, von denen viele mit dem Satz endeten, das Tier habe sich im Garten der aufmerksamen Anwohnerin von seinem "Abenteuer" erholt. Das allerdings war so herzig wie unvollständig. Denn Erwin, das Eichhörnchen, lag ein paar Stunden später nicht gut erholt, sondern tot in eben jenem Garten. Zu viel Stress, hieß es. So kann man das wohl nennen: wenn plötzlich grüne Männchen auftauchen, die einen Erwin nennen und schließlich wie einen Weihnachtsbraten mit Öl einreiben.

Marc Felix Serrao

Ihr Album "Badmotorfinger" sollte der Band Soundgarden aus Seattle den Durchbruch bringen. Blöderweise geschah dies 1991 und da war noch diese andere Grungeband aus Seattle, Nirvana, die ein Album namens "Nevermind" veröffentlichte. Wer weiß also, um welche Karriere der Elefant Koshik aus Südkorea gebracht wurde, wenn nicht zugleich dieser Psy mit seinem "Gangnam Style" performt hätte. Denn was kann der Rapper schon? Streng gucken? Lustig tanzen? Ja gut, aber Koshik, der Elefant, er spricht!

Er steckt den Rüssel ins Maul, wie die Biologin Angela Stöger von der Uni Wien beobachtet hat und sagt einen der fünf Begriffe aus seinem koreanischen Wortschatz, "gut" zum Beispiel. Und wie gut wäre die Welt geworden, wenn das Publikum Koshik statt diesem Psy zu Füßen gelegen hätte: Milliarden Clicks bei Youtube, Tausende Nachahmer-Videos, in denen sich Astronauten, Soldaten und gar Präsidenten die Hand in den Mund stopfen und Koreanisch sprechen. Koshik-Style! Aber die Welt ist ungerecht, in Seattle und in Südkorea auch.

Sebastian Herrmann

Wenn man selbst einen lernbehinderten Labrador hat, der in der Hundeschule das Klassenziel nicht erreicht hat und "Sitz" mit Müh und Not von "Platz" unterscheiden kann, können einem diese Bilder Tränen des Neids in die Augen treiben. Der Film der neuseeländischen Tierschutz-Organisation SPCA zeigt einen Mischling auf dem Fahrersitz eines Minis, das Frauchen sagt: "Go!" - und der Hund gibt Gas. Auf den Befehl "Gear!" schaltet Porter hoch, und beim Stichwort "Turn!" kurbelt er wild mit den Pfoten am Lenkrad. Porter ist der erste Hund der Welt, der einen Autoführerschein gemacht hat.

Zusammen mit seinen Mitschülern Monty und Ginny trainierte er läppische zwei Monate lang in einer Fahrschule für Vierbeiner, zuerst auf umgebauten Leiterwagen, später mit umgebauten Kleinwagen, bei denen sich Gas, Bremse und Schaltung per Pfotendruck bedienen lassen. Das Projekt soll auf die ungeahnten Fähigkeiten von Hunden aufmerksam machen, die in Tierheimen untergebracht sind - aber es macht einen leider auch auf die ernüchternde Tatsache aufmerksam, dass der eigene Hund höchstens Stöckchen holen kann.

Titus Arnu

Katzennachrichten seien gar keine Nachrichten, sagen jene ernsten Journalisten, die Tierbegriffe in seriöser Berichterstattung generell für fehl am Platz halten, wenn es nicht gerade um Jochen Vogel, den Bundesadler oder Dorothee Bär geht. Oder um Jenny Elvers-Elberzthagens Kater. Wobei: Promi-Geschichten werden ja oft noch weniger geschätzt als Tiernachrichten. Etwa über Kim Kardashian. Das amerikanische Reality-TV-Sternchen war 2012 trotzdem überall. Vor allem im Internet wurde alles, was sie anfasst, und jeder, der sie anfasst, eiligst vermeldet. Selbst wenn es nur das Haustier war.

Am 7.Dezember schrieb Kardashian in ihrem Blog: "Tieftraurig muss ich euch mitteilen, dass mein Kätzchen, Mercy, verschieden ist. Mein Herz ist komplett gebrochen." Die Huffington Post überprüfte ("Quellen bestätigten, dass . . .") und vermeldete die Story, samt Todesursache: "krebsähnlicher Virus". Gerne wüsste man, was alte Journalistenhasen von einst wohl zum Journalismus 2012 zu sagen hätten. Theodor Wolff, zum Beispiel.

Martin Wittmann

Der sogenannte Wunderhengst Totilas war schon in den Vorjahren eine Art "Pferd des Jahres", insofern ist es nicht erstaunlich, dass auch 2012 sein Jahr war. Erstaunlich ist nur, wie Totilas es geschafft hat, dass sich wieder alles um ihn drehte. 2010 war er im Dressurviereck endgültig zum Traumtänzer geworden: Dreifachgold bei der Reit-WM. Dann kauften ihn der Pferdegroßhändler Paul Schockemöhle und die Millionenerbin Ann Kathrin Linsenhoff dem holländischen Reiter Edward Gal ab, für mehr als zehn Millionen Euro - damit er 2012 für Deutschland Gold gewinnt bei Olympia in London.

Und 2012? Bekam der neue Reiter, Linsenhoffs Stiefsohn, Pfeiffersches Drüsenfieber. Totilas wurde dann statt zum Olympia-Helden zum Stutenbeglücker. Wobei man sich das Leben als Deckhengst nicht zu glamourös vorstellen darf. Mehrmals täglich auf die Absam-Maschine. Das Sperma wird per Post versandt.

Claudio Catuogno

Wenn man sieht, wer alles Schönheitswettbewerbe ausrichtet - von Heidi Klum bis zu Rinderzüchtern, die weiland eine Kuh namens "Shakira" ob ihres wohlgeformten Hinterteils zur schönsten ihrer Art kürten - landet irgendwann bei George Bernard Shaw. "Schönheit ist nach drei Tagen genauso langweilig wie Tugend", sagte der mal, und insofern freuen wir uns über die atemberaubende Hässlichkeit von: Mugly. Das Gesicht dieses Chinesischen Schopfhundes ist schief und asymmetrisch bewachsen, der Rumpf nackt.

Zu Recht wurde dem britischen Rüden im Juni in Kalifornien der Titel "Hässlichster Hund der Welt" zuteil. Dafür gab es 1000 Dollar und eine Jahresration Hundekekse. Mugly widmet sich heute vor allem wohltätigen Zwecken. Derzeit setzt er sich für eine neue Lesekultur in England ein. In der Leihbücherei von Orton können ihm Menschen, die keine Freude an Büchern haben, aber an hässlichen Hunden, vorlesen. Der Andrang soll immens sein.

Claudia Fromme

Freddy Quinn, der einsame Mann mit der Gitarre, hat einmal die Zeile gesungen: "Als er ging, war er ein Fremder, er war einsam und allein." Das war, wie fast jedes Lied von Freddy Quinn, erst mal eher allgemein in das Rauschen der Wellen hineingeraunt, lässt sich aber durchaus als Hymne auf Lonesome George verstehen. Galapagos-Riesenschildkröte, Unterart Chelonoidis nigra abingdoni, gestorben im Juni, im Alter von ca. 100 Jahren. Lonesome George war ein Alleiner, wie Franz Müntefering zu sagen pflegt. Er war allerdings alleiner als die zahlreichen Menschen, die sich nur Alleiner nennen, weil es cool klingt. Er war tatsächlich der Allerletzte seiner Art.

Einmal haben Forscher zwei Schildkrötenweibchen herangekarrt, diese Weibchen waren ihm phänotypisch immerhin ähnlich und sollten sich mit ihm paaren. Aber sie waren jung und laut. Sie fraßen ihm sein Futter weg. George vertrieb sie. Er war allein und wollte allein bleiben. Lonesome George: ein Name als Verpflichtung. Solitario Jorge: ein Name wie ein Lied von Johnny Cash. Einsamer Georg: ein Name wie ein Kirchturm im Nebel eines Küstentags im Januar. Kurz nach seinem Tod haben Forscher auf einer Galapagos-Insel übrigens 17 Schildkröten entdeckt, die Gene von Chelonoidis abingdoni besitzen; angeblich war George doch nicht so allein, wie alle Welt geglaubt hatte. Aber das zerstört seinen Mythos nicht. "Am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit", hat Erich Kästner geschrieben. Wen er gemeint hat? Das ist nicht nur im Lichte der neuesten Erkenntnisse eine blöde Frage.

Holger Gertz

Hätte man "Wetten, dass . . ?" nach Thomas Gottschalks Abschied einstellen sollen? Zumindest für Gently Born Monarch wäre das die bessere Entscheidung gewesen. Der Toypudel war im Oktober beim ersten "Wetten, dass . . ?"-Auftritt von Markus Lanz bei einer Wette im Saal, bei der es darum ging, ob Hundefriseurin Monika Thaler anhand von Fellknäueln verschiedene Hunderassen erraten konnte. Als die Wette vorbei war, hüpfte Gently Born Monarch von einer Bank, stieß sich den Kopf - und starb noch am Unfallort. Keiner der 13 Millionen Zuschauer bemerkte das Drama.

Der Vorfall wurde erst vier Tage nach der Sendung bekannt, ausgerechnet am Welthundetag. Wettpate Wotan Wilke Möhring versuchte, die Stimmung zu beruhigen: "Das hält so ein kleiner Kopf doch eigentlich aus", sagte er der Bild-Zeitung, "ich weiß das. Ich habe früher auch viel davor bekommen." Aber das war eigentlich für niemanden ein Trost, am wenigsten für Gently Born Monarch

Titus Arnu

Einer der Stars unter den Tieren des Jahres hat die Last des Medienrummels leider nicht verkraftet, und zwar buchstäblich: Keinohrhase Til. Grund für seinen Ruhm war, wie der Name schon sagt, eine Behinderung, die weit über Schwerhörigkeit oder Taubheit hinausgeht. Der Hase hatte keine Ohren. Entweder kam er aufgrund eines Gendefekts schon so auf die Welt. Oder die Mutter hat "dem Kaninchen die Ohren abgeknabbert", wie damals die eiskalte und doch putzige Expertise des Vorsitzenden des Landesverbandes Sächsischer Rassekaninchenzüchter lautete.

Dem Tierpark im sächsischen Limbach-Oberfrohna war es einerlei, Hauptsache der Hase hatte keine Ohren und erinnerte damit an den Kino-Erfolg "Keinohrhasen". Doch was passierte, als die Presse einen ersten Blick auf das Tier werfen durfte? "Ein Kameramann passte nicht auf und zerquetschte es beim Rückwärtsgehen", meldete die dpa lapidar. Das abrupte Karriereende eines ohrlosen Fast-Superstars. Für ihn, so muss man es wohl deuten, kam der Tod auf allzu leisen Sohlen.

Martin Wittmann

Am 7. April 2012 trippelte Pudsey auf die Bühne der Show "Britain's Got Talent", beäugt von Juroren, deren Gesichter eindeutig sagten: Oh nein, bitte nicht schon wieder ein verdammter Hund, der Tricks vorführt. Dann erklang die Musik der Serie "Familie Feuerstein", und Pudsey, der Hund, legte mit Ashley, dem Mädchen, einen so lässigen Tanz auf die Bretter, dass das Publikum jubelte vor Freude. Gut fünf Wochen später hatte Pudsey die Talentshow gewonnen, als erster Hund. Er strich ein Preisgeld von 500 000 Pfund ein.

Anschließend tingelte er durch die Sender, er trat in so ziemlich jeder britischen Fernsehsendung auf und tanzte. Nebenbei verfasste er seine Autobiografie, die den Titel "Pudsey: My Autobidography" trägt. Zweimal trat er im Lauf des Jahres vor der Queen auf, die ja selbst ein paar Hunde besitzt, von denen allerdings keiner so tanzt wie der unvergleichliche und mittlerweile sehr reiche Pudsey.

Christian Zaschke

Es fing bei einer Oscar-Nachfeier in Los Angeles an. Uggie hatte den ganzen Abend lang Konversation gemacht, aber es war nicht die Art Konversation, die er gewöhnt war. Etwas war anders in seinem Kopf, er sah durch seine Gesprächspartner hindurch - was natürlich nur möglich war, wenn sie ihn auf den Arm nahmen. Aber Uggie wollte sich auch nicht länger auf den Arm nehmen lassen. Er schlich aus dem Festsaal, legte sich in der Lounge aufs Parkett und knackte einfach so weg. Uggie schlief traumlos. Keine Bilder von den glanzvollen Drehtagen zu "The Artist", Uggies Lebensrolle.

Der Jack Russel Terrier lag platt auf der Erde, sie mussten ihn wegtragen, und am nächsten Tag stellte der Doc die Diagnose: Burnout. Die große Wunde der Leistungsträger - sie hatte sich auch in Uggies Seele geschlagen. Danach wurde der Hund pensioniert. Seine Karriere war zu Ende. Aber wie alle prominenten "Burnouter" dieser Welt wusste auch Uggie, wie man aus der ausgebrannten Fackel wertvolle Funken schlägt: Er schrieb ein Buch, der gerissene Hund.

Hilmar Klute

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