Süddeutsche Zeitung

Familienrecht:Streit um Vaterschaft: Im Zweifel schlägt Bindung die Gene

  • Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil gefällt, welches die soziale Bindung und das Wohl des Kindes bei einer Vaterschaft in den Vordergrund stellt.
  • Hintergrund ist die Klage eines Mannes, der biologischer und sozialer Vater einer Tochter ist, aber nicht ihr rechtlicher.
  • Das Urteil ist ein Auftrag an den Gesetzgeber, biologischen Vätern den Rechtsweg zur Anerkennung der Vaterschaft zu erleichtern.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Familienverhältnisse haben mitunter eine Tendenz zur Unübersichtlichkeit, und die Vaterschaft ist dabei nicht der geringste Unsicherheitsfaktor. Es gibt den biologischen Vater, den sozialen Vater, den rechtlichen Vater, und nicht immer ist das ein und dieselbe Person. Wenn es dann zum Streit um die Vaterschaft kommt, pocht der eine auf die genetische Verwandtschaft, der andere auf die soziale Beziehung. Bei aller rechtlichen Aufwertung, die der leibliche Vater in den letzten zehn Jahren erfahren hat, muss man sagen: Im Zweifel ist es der soziale Trumpf, der sticht.

Ein in diesen Tagen veröffentlichter Beschluss des Bundesgerichtshofs zeigt in seltener Deutlichkeit, was das in der Praxis bedeutet. Eine Frau hat zwei Söhne mit ihrem Partner, als ein anderer Mann ins Spiel kommt. Sie wird schwanger, doch kurz bevor die Tochter zur Welt kommt, ist die Beziehung schon wieder zu Ende; Mann Nummer eins kommt zurück, erkennt die Vaterschaft für die Tochter des Nebenbuhlers an und kümmert sich fortan um alle drei Kinder. Ein Jahr später: Neuer Wechsel, Mann Nummer zwei kehrt zurück, zieht zur Mutter seiner Tochter und kümmert sich um alle drei Kinder. Sie trennen und vereinen sich zwar noch ein paar Mal - doch am Ende wird geheiratet.

Vaterschaft per Gerichtsurteil

Damit entsteht eine kuriose Situation. Der Mann, der die Tochter gezeugt hat, lebt mit ihr und der Mutter zusammen, er ist sogar mit der Mutter verheiratet. Er ist also biologischer wie sozialer Vater, das wären zwei klare Pluspunkte, plus Trauschein. Als Vater der Tochter gilt freilich nach wie vor sein einstiger Rivale, einfach deshalb, weil er mit der Anerkennung rechtlich zum Vater geworden ist.

Nun kann man Vaterschaften anfechten, und genau dies hat Mann Nummer zwei versucht. Das sah zunächst ganz gut aus, das Oberlandesgericht Hamm sprach ihm die Vaterschaft zu - Gene plus soziale Beziehung war den Richtern genug. Beim BGH folgte nun der Rückschlag: Der Wortlaut des einschlägigen Paragrafen 1600 des Bürgerlichen Gesetzbuches gebe das einfach nicht her. (Az: XII ZB 389/16)

Das Kindswohl steht im Vordergrund

Tatsächlich steht dort: Der mutmaßliche Erzeuger kann die Vaterschaft eines anderen Mannes nur dann anfechten, wenn dieser nicht in einer "sozial-familiären Beziehung" zum Kind steht. Die Regelung geht zurück auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003, das einerseits die Position des leiblichen Vaters zwar aufwerten, aber andererseits die eingespielte Familie nicht allzu leicht aufs Spiel setzen wollte.

Es geht dabei vor allem um das Wohl des Kindes, das vor einem häufigen Hin und Her bewahrt werden soll. Wegen des klaren Gesetzeswortlauts ist es laut BGH irrelevant, ob der Erzeuger seinerseits eine Beziehung zum Kind unterhält. Entscheidend ist allein, ob er mit seiner Klage eine bestehende Beziehung stört.

Wohlgemerkt: Der BGH sagt nur, dass dies so im Gesetz steht. "Die Frage, ob die bestehende gesetzliche Regelung auch zukünftig noch rechtspolitisch wünschenswert erscheint oder ob den Interessen des leiblichen Vaters ein höherer Stellenwert gebührt, fällt schließlich in die alleinige Zuständigkeit des Gesetzgebers." Und das ist nicht die erste Mahnung an den Gesetzgeber, den unflexiblen Paragrafen zu reformieren.

Die nächste Bundesregierung ist gefragt

Der Deutsche Juristentag hat sich 2016 für eine Lockerung ausgesprochen. Auch der vom Bundesjustizminister eingesetzte Arbeitskreis Abstammungsrecht hat vergangenes Jahr Erleichterungen für den biologischen Vater auf dem Weg zur juristisch abgesicherten Vaterschaft vorgeschlagen: Er solle ein Klagerecht für eine kurze Zeit nach der Geburt erhalten - also in einer Phase, in der sich die soziale Beziehung des Kindes zu anderen Bezugspersonen noch nicht so vertieft hat. Ein Arbeitsauftrag also für die nächste Regierung.

Übrigens hätte sich der BGH-Fall auch anders lösen lassen. Die Mutter hätte nämlich mit einer eigenen Klage den biologisch falschen, aber juristisch anerkannten Vater verdrängen können. Wollte sie aber nicht; sie hat der Anfechtungsklage ihres Ehemanns sogar ausdrücklich widersprochen.

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SZ vom 09.01.2018/bix
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