Familienbände:Das schwarze Schaf des Kanzlers

Die Geschäfte von Lothar Vosseler: Er spielt für Pro Sieben und will seinem Halbbruder Gerhard Schröder ans Leder.

HILMAR KLUTE

So wie in den vergangenen Tagen hat Herr Vosseler schon lange nicht mehr vom Leder gezogen. Und es tut ihm gut, dem dünnen Mann aus Detmold, der wie ein kleiner Vogel aus seinem beigen Strickpulli blickt: "Ich wusste gar nicht, was man aus Leder alles machen kann."

Familienbände: Das schwarze Schaf liebt die Medien: Lothar Vosseler.

Das schwarze Schaf liebt die Medien: Lothar Vosseler.

(Foto: Foto: dpa)

Man schaut in seine hellblauen, etwas wässrigen Augen hinter der filigranen Brille und freut sich, dass ein 57-Jähriger so staunend durch die Welt geht.

Lothar Vosseler ist glücklich. Ein stiller, zufriedener Kettenraucher, der über seinen großen Bruder Gerhard Schröder demnächst Dinge verbreiten will, die so ungeheuerlich sein sollen, dass sein neuer Agent Ernest Buck "mit offenem Mund gesessen" hat.

"Ich hab' mitbekommen, wie Lothar und seine Frau Gisela hier saßen, völlig fertig." Die Enthüllungen seien so eklatant, dass nicht mal Bild am Sonntag vorab etwas erfährt. Erst am 7. Februar, wenn Buck die CD mit dem Interview präsentieren wird, soll Hartz IV-Land zu hören bekommen, dass in der Familie Schröder nicht der Wurm drin gewesen sei, sondern eine "Wurmzucht".

Der Skandal des Jahres

Hier in Berlin-Wilmersdorf, in der "Wittelsbacher Medienagentur" seiner Frau Petra Kilian, bereitet Buck den angeblichen Skandal des Jahres vor.

Platzen sollte die Bombe eigentlich im Lederkleiderladen von Daniel Rodan am Kurfürstendamm - hier hat Vosseler ein paar Tage probeweise als Bote und Lagerist bei jenem Ledermodedesigner gearbeitet, der schon Udo Lindenberg, Heino und die Gruppe Wind eingekleidet hat.

Diesen Praktikantenjob verdankte er indirekt auch seinem Halbbruder Gerhard, denn Rodan hat das Buch gelesen, das Ernest Buck nach Vosselers Erzählung in vier Wochen geschrieben hat: Der Kanzler, leider mein Bruder, und ich. Der Designer habe dem Mann eine Arbeit geben wollen. Ein Traum vom sorgenfreien Leben für Lothar, die ehrliche Haut.

Aber aus dem Märchen wurde wieder nichts: Vosseler falle unter das Hartz-IV-Gesetz und Daniel Rodan bekomme für ihn keine Subventionen, sagt Ernest Buck. Und deshalb hat er umdisponiert: Die Skandal-CD soll nun vor dem Kanzleramt präsentiert werden. Mit Würstchen für die Journalisten, solange bis die Sicherheitsbeamten kommen.

Lothar Vosseler hat sich unterdessen schon wieder einen neuen Job ans Bein binden lassen. Vom nächsten Sonntag an darf er bei der Pro-Sieben-Unterhaltungsshow Die Burg mitmachen - er soll mit anderen Medienfiguren wie dem Ex-Big-Brother-Star Alex Jolig oder Zsa Zsa Gabors Mann Frederic von Anhalt beim Zwangsaufenthalt auf Burg Rappottenstein in Niederösterreich gefilmt werden, wobei Vosselers Gage mit 22.800 Euro angegeben wird.

"Clown der Nation"? - Mal sehen

Ernest Buck, der Vosseler vor solchen Auftritten schützen will, relativiert: "Das ist von Pro Sieben angeboten worden, aber es sind noch keine Verträge unterschrieben." Vosseler selbst sei noch unschlüssig. Container-Erfahrungen hat er schon gemacht: Im Juni 2004 lümmelte er einige Stunden bei Big Brother herum.

Nun müsse Vosseler selbst entscheiden, ob er sich endgültig "zum Clown der Nation machen" wolle, sagt Buck, der Vosseler nach einer Fernsehsendung kennen gelernt hat, dem Buchstabiertest auf Sat1.

Das schwarze Schaf des Kanzlers

Das wäre zumindest ein klar definiertes Profil des ewigen Halbbruders, der sich bislang mit Berichten über neue Jobs und den Meldungen vom jeweiligen Verlust der Stellen über Wasser gehalten hat. Arzneimittelkurier, EDV-Fachmann, Rohr-Verleger bei der Firma "Kanal Müller",

Familienbände: Gequälte Freundlichkeit: Ein Kanzler und sein Bruder.

Gequälte Freundlichkeit: Ein Kanzler und sein Bruder.

(Foto: Foto:)

Touristenhändeschüttler und Spaßkapitän des U-Boots Nemo auf Mallorca, Werbefigur für das "Oberkirchener Stiftsbrot" und Haustechniker in der Westfalentherme Lippspringe - so vielseitig liest sich das Berufsprofil des gelernten Heizungsmonteurs und professionellen Verlierers.

Für den Kölner Express hat er als Kolumnist gearbeitet, auf verschiedenen Radiosendern brachte er seine Weisheiten unter. Auf seiner eigenen Website empfiehlt er sich als "Kanzler der Menschlichkeit": "Wenn wat is', fragen Se mich!" Manche fragen nach den Lottozahlen, andere nach der Uhrzeit. Für viele ist Lothar Vosseler das wandelnde Reform-Opfer schlechthin.

Aber er kennt Intimes vom Kanzler

Aber er kann Dinge über Schröder erzählen, die keiner weiß. Dass der Kanzler sehr kitzelig ist, immer der erste beim Frühstück war in der elterlichen Bruchbude in Talle. Dass Gerhard lange schlief und so verbissen Fußball spielte, dass ihn alle "Acker" nannten.

"Acker" heißt Gerhard Schröder auch in Vosselers Buch. "Acker" ist der Mann, der von ganz unten nach ganz oben kam. Lothar Vosseler ist der, der unten geblieben ist. Er ist der "Medienbruder" des "Medienkanzlers". Nun wurschtelt er in einem Biotop aus Neid und Selbstmitleid: "Ich war immer der Dumme! Von der Politik, die mein Bruder betreibt, bin ich ja selbst betroffen."

Aber der Kanzler will damit nichts zu tun haben. Wenn Vosseler bei seinen Schwestern anruft, wird der Hörer aufgelegt. Auch mit "unser Mutter" dürfe er nicht mehr reden. Die Familie hat den "Bruder ohne Brioni" weggestoßen. Er ist das schwarze Schaf - das doch profitieren will.

So einer zieht die professionellen Geschichtenverkäufer an, und deshalb sitzt Vosseler jetzt am Kaffeetisch seines Agenten Ernest Buck. Große Altbauwohnung, erlesene Möbel und ein kleiner schwarzer Hund, der frech übers Parkett fegt: Vosseler hat sich mit "Max" angefreundet. Wenn sich Lothar in Berlin aufhält, isst er bei Ernest Buck, manchmal übernachtet er auch hier.

Die literarische Rotzfahne

Ernest Buck ist einer, der inszenieren kann. Er inszeniert mit Vorliebe sich selbst: den getriebenen Tag-und Nachtarbeiter, der früher Eishockey-Profispieler war und nach einem Unfall sein linkes Bein verloren hat. Ein Melancholiker mit mattgrauem Haar, der in rasantem Tempo von seiner "Vergangenheit" redet, in der die Worte "Beugehaft", "Vater" und "Mutter" eine Rolle spielen.

Wenn man nachfragt, was das zu bedeuten habe, sagt er, dass er darüber nicht reden könne. Er piekst sich in den Finger, quetscht einen Blutstropfen ab, misst seinen Blutzucker und drückt die werweißwievielte Zigarette im Zieraschenbecher aus.

Buck hat vieles probiert, was nicht recht geklappt hat. Er wollte Howard Carpendale zum TV-Krimihelden machen. Er wollte dem Schlagersänger Bernhard Brink ein Comeback bescheren und schrieb für ihn ein Buch mit bösen Episoden über Dieter Bohlen.

Vosselers Prosa hat Buck sogar auf Papiertaschentüchern vorabdrucken lassen. Bürgertrichter hieß die literarische Rotzfahne, die in einer Auflage von 350.000 Stück verkauft wurde. Im Internet-Impressum des Bürgertrichters steht Vosseler als "Kanzlersonderredakteur".

Ein paar Unappetitlichkeiten

Jetzt hat Ernest Buck in stundenlangen Interviews dem ruhmlosen Halbbruder und dessen Frau ein paar Unappetitlichkeiten entlockt, die den Kanzler und seine Familie in ein zweifelhaftes Licht stellen sollen. Buck macht Andeutungen, die ahnen lassen, wie tief die drei in der Schmutzkiste gewühlt haben.

Der Kanzler, leider immer noch mein Bruder, und ich - so wird die CD heißen, auf der ein Schauspieler Lothars Buch spricht. Unten rechts auf dem Cover ein gelbes Schildchen: "Inklusive Skandal-Interview" - 45 Minuten lang werden, so Buck, "die Leichen aus dem Keller der Familie Schröder" geholt.

Aber der Plan vom großen Aufstand der Randständigen wird wohl nicht aufgehen. Aus dem Kanzleramt kommt nur verhaltenes Interesse an den "Motiven, die Herrn Vosseler treiben". Sprecher Bela Anda will nichts kommentieren. Nur soviel: Es werde keine Reaktionen geben, keine strafrechtlichen Konsequenzen, nichts. "Reine Privatsache", sagt Anda. Der Kanzler selbst soll den kühlen Halbsatz gesagt haben: "Wenn mein Bruder nicht mehr zu bieten hat."

"Da sag ich jetzt nicht nein"

Also muss Vosseler jetzt wohl in der TV-Soap Die Burg als "Kanzlerbruder" aufs Plumpsklo. Er hat vielleicht nicht viel Ahnung von den Mechanismen der Medien, aber er weiß, dass für ihn am Ende immer etwas herausspringt - wie beim Buch: "Ich verdien' da ein bisschen Geld mit, das ich ganz gut gebrauchen kann. Von daher sag' ich da jetzt nicht nein."

Lothar Vosseler hält sich ein frisches Fax vor die Augen. Ein Liedtext , den einer aus Bucks kreativem Verein gedichtet hat. Soll der Lothar demnächst vielleicht mal spaßeshalber einstudieren, findet Buck, mit "drei Mädels, keine älter als zwanzig, als Backing-Chor".

Lothar Vosseler lacht. Vielleicht sieht er sich schon auf der Bühne stehen - im hautengen Kroko-Kostüm als singender Lederschlumpf. Dann liest er sehr ernsthaft die Hymne, und seine Lippen formen lautlos die Worte nach: "Lothar for President".

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