Muttertag:Seien wir ohne Anlass aufmerksam

Muttertag: Die Mutterrolle hat sich wie das Frauenbild in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt, der Muttertag aber ist geblieben - eine Aufnahme aus den Sechzigerjahren.

Die Mutterrolle hat sich wie das Frauenbild in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt, der Muttertag aber ist geblieben - eine Aufnahme aus den Sechzigerjahren.

(Foto: Marz/Interfoto)

Wenn wir das ganze Jahr über mehr Zeit mir unseren Müttern verbringen, kann selbst der Muttertag zum Freudenfest werden - statt zu einem Bußgang.

Von David Pfeifer

An diesem Wochenende werden sich wieder Millionen Kinder zu Millionen Müttern aufmachen, um sich gewissermaßen für ihre Existenz zu bedanken. Geburtstage und Jubiläen kann man vergessen, am Muttertag aber kommt niemand vorbei. Seit Tagen wird man bombardiert mit Geschenkideen und Blumenstraußvorschlägen. Im Fernsehen, auf Internetportalen, auf Plakatwänden, in den Supermärkten. Wie Weihnachten - nur mit mehr Sozialdruck. Man müsste absichtlich wegsehen und weghören. Doch wer will schon als Rabentochter oder Rabensohn gelten?

Wer bereits in den vergangenen Jahren leicht genervt viele Kilometer im Zug, im Auto oder im Flugzeug hinter sich gebracht hat, um bei seiner Mutter auf Kuchen und Konfekt vorbeizuschauen, sollte daran denken: Je größer der Druck und je schlechter das Gewissen, umso mehr läuft schief an den restlichen 364 Tagen. Denn eigentlich ist es eine schöne Idee, Zeit mit der Mutter zu verbringen, solange das noch geht. Ohne sie wäre ja alles nichts. Die Frage ist, ob es genau an diesem Tag sein muss. Und nur an diesem Tag.

Die Ideengeberin: Anna Marie Jarvis

Der Muttertag - eine US-Erfindung wie Halloween - war ursprünglich nicht dazu gedacht, die Frau in ihrer traditionellsten Rolle zu feiern. Er war auch keine Geschäftsidee der Blumenhändler und Kuchenbäcker. Und schon gar nicht ein Einfall der Nationalsozialisten, die ihre Mutterkreuz-Ideale in die deutsche Gesellschaft trugen, weil sie möglichst viele Soldaten zum Verheizen brauchten.

Die Amerikanerin Anna Marie Jarvis wollte 1908 ihre eigene Mutter ehren, die ihr Leben der Wohltätigkeit gewidmet hatte. Und sie setzte sich später, als der Tag schon kommerzialisiert war, erfolglos dafür ein, ihn wieder abzuschaffen - weil er mit dem Gedenken an den Einsatz ihrer Mutter nichts mehr zu tun hatte. Mittlerweile ist der Muttertag eine große Verkaufsmasche und Feier der Erzeugerin als solcher - merci, dass es dich gibt.

Der Tag kann dem einen oder anderen Leistungsträger natürlich auch ein Warnschild auf der Überholspur sein, ein Hinweis, dass es da noch diese eine Person gibt, ohne die das Leben wirklich nicht denkbar wäre. Auch wenn man gerne glauben möchte, man hätte sich selbst zu dem gemacht, was man ist.

Ein trister Tag, wenn er zu bedeutsam wird

So oder so ist der Tag wichtig, wenn er aber zu bedeutend wird, ist er auch ein wenig trist. In den Pflegeheimen wird am Sonntag ungewohnte Betriebsamkeit einsetzen, Enkel rennen durch die Flure, Pfleger holen verstaubte Blumenvasen aus den Spinden. In den Familienhaushalten verwüsten Kinder und Väter die Küchen, weil sie die Zubereitung des Frühstücks übernehmen. Wenn das Wetter an diesem Wochenende hält, was es verspricht, wird man in der Nachmittagssonne Mütter bei Kaffee und Kuchen sitzen sehen, die ihren bereits angegrauten Söhnen etwas Sahne aus dem Mundwinkel wischen - im besten Fall, ohne die Serviette vorher mit Speichel zu benetzen.

Kinder sind irgendwann erwachsen, aber egal, wie alt sie werden - solange ihre Mutter noch da ist, geht sie im stets gleichen Abstand vor ihnen durch das Leben. Und so bleibt die eigene Mutter irgendwie lebenslang erziehungsberechtigt. Weder beruflicher Erfolg noch Klugheit noch Wohlstand befreit das Kind davon, Teil der mütterlichen Weltwahrnehmung zu bleiben.

Da kann man Bankenvorstand oder Rennfahrerin werden. Es ist der Mutter vorbehalten, weiterhin das Kind zu erkennen, das früher schon gerne mit Geld oder Autos gespielt hat. Kinder bleiben immer Kinder, für ihre Mutter. Dass sie älter geworden sind, zeigt sich eigentlich nur, wenn sie an diesem Sonntag zu Besuch in die Wohnungen und Häuser fahren, die noch so riechen und knarzen wie vor Jahrzehnten. Bloß müssen sie mittlerweile nicht mehr auf einen Stuhl steigen, um an die Keksdose zu gelangen, sondern können einfach den Arm ausstrecken.

Fußballtrainer Claudio Ranieri macht's vor

Claudio Ranieri, der italienische Trainer von Leicester City, der Sensations-Siegermannschaft der Premier-League, war bei seiner Mutter in Rom, als sein Club vergangene Woche englischer Meister wurde. Es war der größte Erfolg seiner Trainierlaufbahn und das Happy End einer filmreifen Geschichte. Ranieri wusste, dass seine Karriere sich an diesem Wochenende vollenden könnte, trotzdem saß er weit weg in Italien mit seiner Mutter beim Essen, als ihn die Nachricht erreichte. Die Dame ist 96, die Zeit, die man gemeinsam verbringen kann, wird knapp.

Nun gut, die Italiener sind für ihre Mütterverehrung berühmt, ein Gassenhauer, den jedes italienische Kind mitpfeifen kann, heißt "Viva la mama". Sinngemäß heißt es darin: "Es lebe die Mutter, mit den etwas seltsam zu langen Röcken, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht." Es ist eine Feier der Frauengeneration, die im Alter von Ranieris Mama sind. Doch dass er gerade nicht am Muttertag bei ihr war, zeigt, dass er sie gerne und freiwillig besucht.

Wenn der Muttertagsbesuch zur Pflicht wird

Schlecht läuft so ein Besuch indes häufig, wenn er erzwungen wird, wenn die Mutter dafür an ihre Rolle erinnern muss oder an die Opfer, die sie gebracht hat. Solche Mütter heben bei Anrufen derart schnell ab, dass ihre Kinder das Gefühl haben, sie säße quasi neben dem Telefon, um beim ersten Klingeln den Hörer ans Ohr zu pressen, gewissermaßen als Umarmungsersatz. Sie seufzt dann etwas, was, nur notdürftig verkleidet, wie ein Vorwurf klingt: "Ach, das ist ja schön, dass du dich mal meldest." In solchen Konstellationen ist ein Muttertagsbesuch natürlich Pflicht.

Ähnlich wie das Frauenbild durchlief die Mutterrolle in den vergangenen Jahrzehnten einen Wandel. Mütter sind heute nicht selten berufstätig, haben weniger Kinder und bekommen diese auch später (siehe Bericht unten). Sie stammen selber aus einer Generation, in der sich die Frauen anders definiert haben als über Nachwuchs und den perfekten Knick im Sofakissen. Die Mutter, die die längste Zeit ihres Lebens ausschließlich Mutter war, wird es in Zukunft weniger geben.

Moderne Mütter opfern sich nicht auf

Der Nachteil für die Kinder: Diese modernen Mütter wollen sich später in der Regel nicht aufopfernd um ihre Enkel kümmern, sondern selber etwas vom Rest ihres Lebens haben. Der Vorteil: Sie haben eben ein eigenes Leben und bestehen nicht auf Besuchen am Muttertag.

Aber auch Frauen, die sich nicht so sehr über die Mutterrolle definieren, empfinden es eher als schäbig, wenn ihr Kind lediglich einmal im Jahr die Verpflichtung spürt, sich für sie zu engagieren. Manche reagieren regelrecht allergisch auf Blumensträuße als Ablassgabe für sonst unterlassene Zuwendung. Oder auf Männer, die am Muttertag die große Wundertüte auszuschütten, um ihren dürren Einsatz im Rest des Jahres auszugleichen - und dann dafür auch noch Applaus erwarten.

Das schätzen weder Mütter noch Ehefrauen. Für sie bleibt es schwierig genug, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bekommen. Es sind eben in der Regel immer noch nicht die Väter, die in den Kindergarten eilen, wenn dort die Masern umgehen.

Zurück zur ursprünglichen Idee

Den Muttertag zu vergessen ist allerdings auch keine Option. Öfter mal ohne Anlass aufmerksam sein könnte den Muttertag zu einem Freudenfest machen, wo er sonst zum Bußgang wird. Vielleicht sollte man auf die ursprüngliche Idee von Anna Marie Jarvis zurückkommen, Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft zu ehren. Von Frauen ganz generell, nicht nur von Müttern. Sie eilen ja nicht nur in die Kindergärten, sondern wechseln häufig auch die Bettpfannen und engagieren sich generell mehr fürs Gemeinwohl.

Eine Mutter der 68er-Generation

Hat man eine Mutter, die dem Milieu der 68er entstammt (wie der Autor dieser Zeilen), dreht sich die Emotionslage. In dieser Generation wurden die Eltern nicht mit Mama und Papa, sondern mit Vornamen angeredet. Jahrestage galten als spießig, und nachdem die Kinder aus dem Haus waren, wurde das eigene Leben wieder aufgenommen.

Das Gute an einer Mutter, die im Alter noch mal studiert: Sie ist meistens schwer zu erreichen, in der Vorlesung oder auf dem Weg zur Uni-Bibliothek. E-Mail funktioniert indes ganz gut. Und wenn man sie erreicht, muss man nicht das eigene Leben referieren, als handele es sich um einen Rechenschaftsbericht ("aber das hast du doch früher so gerne gemacht!").

Natürlich sieht man sich viel zu selten, es ist ja immer etwas los. Aber der Kontakt ist regelmäßig und intensiv, weil es immer viel zu reden und zu mailen gibt, über Arbeits- oder Studieninhalte oder über das Leben an sich, an dem die Mutter weiterhin sehr aktiv teilnimmt. Es ist ein großes Glück, so eine gute Zeit miteinander verbringen zu können, auch bevor man mit der Mutter bei Kaffee und Kuchen sitzen wird und ihr womöglich ein bisschen Sahne aus dem Mundwinkel wischen muss.

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