Süddeutsche Zeitung

Familie:Papa-Wochenende per App

US-Gerichte zwingen Scheidungseltern zu digitalen Absprachen. Das soll ihnen die Kommunikation, aber auch den Kindern das Leben leichter machen.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Wenn zwei Menschen nach langer Partnerschaft auseinandergehen, dann meist deshalb, weil ihnen über die Jahre neben der Liebe auch die Worte abhandengekommen sind, zumindest die richtigen. Aus der Schwärmerei von einst ist Schweigen geworden, aus Verständnis Missverständnis, aus Nachsicht Böswilligkeit. Viele würden deshalb mit der Scheidung am liebsten einen Schlussstrich ziehen und die gegenseitigen Anschuldigungen ein für allemal hinter sich lassen.

Stattdessen jedoch muss das Gros der Getrennten wegen der gemeinsamen Kinder weiterhin miteinander kommunizieren - was oft entsprechend schlecht funktioniert: Absprachen werden nicht eingehalten, Termine aus Versehen oder absichtlich nicht weitergegeben, Mitteilungen ignoriert.

Damit die Leidtragenden nicht die Kinder sind, verpflichten US-Familiengerichte getrennt lebende Eltern immer öfter dazu, Scheidungsapps für das Smartphone zu benutzen. Dahinter verbergen sich Programme, mit deren Hilfe sich ein gemeinsamer Kalender führen, Kosten auflisten, Informationen austauschen und verbindliche Verabredungen treffen lassen - ganz egal, bei wem die Kinder gerade sind.

Zwar lassen sich damit gewiss weder die seelischen Verletzungen noch gewachsene Antipathie kurieren. Vielfach helfen die Apps Ex-Partnern aber zumindest, im Alltag miteinander klarzukommen. Das trage erheblich dazu bei, "dass sich Kinder besser an die neue Lage gewöhnen", sagte Lisa Abrams, Familienrichterin aus Arizona, dem Wall Street Journal.

Die Programme tragen, frei übersetzt, Namen wie Sprechende Eltern, Unser Familien-Zauberer oder Scheidungsbewältiger - und haben einen großen Vorteil: Die Beteiligten sind auf dem Laufenden, ohne direkt miteinander sprechen zu müssen. Niemand kann sagen, er habe von der Verschiebung des Kindergeburtstags, des Fußballtrainings oder der Klavierstunde nichts gewusst, die Urlaubsplanung sei nicht abgesprochen gewesen und es stimme gar nicht, dass der oder die andere auf den Anrufbeantworter gesprochen oder eine SMS geschickt habe.

Manche der Apps, die entweder eine jährliche Gebühr kosten oder werbefinanziert sind, halten exakt fest, wann eine Textnachricht abgeschickt wurde und wann sie der Empfänger gelesen hat. Das ständige "Er hat mir nicht gesagt" - "Sie hat mir nicht gesagt" entfällt, alle Absprachen sind stets verifizierbar - im Zweifel auch für das Gericht.

Wider den Hass

Um Beschimpfungen oder gar Hass-Mails möglichst zu vermeiden, bedienen sich manche Apps künstlicher Intelligenz und verschicken Warnhinweise, wenn eine Nachricht in zu aggressivem Ton verfasst ist. Andere bieten gar die Möglichkeit, schriftlich Kontakt mit einem Mediator aufzunehmen, wenn etwa die Mutter sagt, das Kind sei zu krank, um das Wochenende vereinbarungsgemäß beim Vater zu verbringen, der Vater aber vermutet, die Ex-Gattin wolle ihm nur den Kontakt zum Sprössling vorenthalten.

Das Gute ist: Man muss sich nicht einmal scheiden lassen, um die Apps nutzen zu können, sie helfen vielmehr auch dann bei der Organisation des Familienalltags, wenn Eltern und Kinder noch glücklich zusammenleben. Besser ist es wohl nur, einfach öfter und liebevoller miteinander zu sprechen.

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Quelle:
SZ vom 08.05.2019/mkoh
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