Fall Tuğçe:"Der Schlag war der schlimmste Fehler meines Lebens"

Prozessbeginn im Fall Tugce gegen Sanel M.

Sanel M. (links vorne) mit seinen Anwälten im Gerichtssaal (Archivbild).

(Foto: dpa)
  • Im Prozess um den Tod der Studentin Tuğçe Albayrak sind die Plädoyers gehalten worden.
  • Die Staatsanwaltschaft hat dreieinviertel Jahre Haft für den Angeklagten Sanel M. gefordert, die Nebenklage erhofft sich eine noch höhere Bestrafung, die Verteidigung forderte eine Bewährungsstrafe.
  • Anklage und Verteidigung kritisierten das Bild, das in der Öffentlichkeit von dem 18-Jährigen gezeichnet worden war.

Von Susanne Höll, Darmstadt

Risse in der Heldengeschichte

Als der Tod der Studentin Tuğçe Albayrak bekannt wurde, entwickelte sich in der Öffentlichkeit schnell eine Geschichte von Gut und Böse. Ein Schwarz-Weiß-Epos ohne Zwischentöne. Auf der einen Seite das Opfer - die schöne, gescheite junge Frau, die zwei Mädchen zu Hilfe geeilt war und ihren Einsatz mit dem Leben bezahlte. Auf der anderen Seite der Täter - ein schlechter Schüler, gewalttätig, polizeibekannt.

Schon in den vergangenen Wochen hat diese Geschichte Risse bekommen. Etwa als Zeugen vor Gericht aussagten, dass Tuğçe und ihre Freundinnen den späteren Täter angepöbelt hätten. Dass die Aggression nicht allein von Sanel M. und seinen Kumpels ausgegangen war - sondern sich die beiden Gruppen gegenseitig hochgeschaukelt hätten.

Verteidigung fordert Bewährungsstrafe

Die Verteidigung hat in ihrem Plädoyer nun die "beispiellose Vorverurteilung" ihres Mandanten in der Öffentlichkeit kritisiert. Die Anwälte des 18-Jährigen beantragten, ihn zu einer Bewährungsstrafe zu verurteilen und den Haftbefehl aufzuheben. "Wir bestreiten, dass Sanel M. sich der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gemacht hat", hieß es in dem Plädoyer.

Entgegen der Darstellung von Staatsanwaltschaft und Nebenklage habe er nicht ermessen können, dass seine Ohrfeige zum Tod der Studentin habe führen können. Er bereue seine Tat und werde wahrscheinlich für immer um sein Leben bangen müssen. Der junge Mann wird seit dem Tod Tuğçe Albayraks immer wieder bedroht.

Am Ende des Plädoyers ergriff Sanel M. selbst noch einmal das Wort. "Der Schlag war der schlimmste Fehler meines Lebens, den ich nicht wieder gut machen kann", sagt er. Egal was nun komme, er müsse damit leben. Er könne nur wiederholen, dass es ihm leid tue.

Anklage fordert dreieinviertel Jahre Haft

Auch der zuständige Oberstaatsanwalt äußerte sich kritisch über das unzutreffende Bild, das in der Öffentlichkeit von Täter und Opfer gezeichnet worden sei. Weder sei Tuğçe die oft beschriebene Heldin der Zivilcourage gewesen, noch Sanel M. ein "aggressiver Großkotz".

Dennoch hat der junge Mann nach Ansicht der Staatsanwaltschaft "erhebliche Schuld" auf sich geladen. Man sehe "schädliche Neigungen", hieß es im Plädoyer vor dem Landgericht Darmstadt. Die Anklage fordert deshalb eine Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten ohne Bewährung für Sanel M. Gegen den Angeklagten spreche auch, dass er in der Vergangenheit mehrfach straffällig geworden war.

Nebenklage will höhere Haftstrafe

Den Anwälten der Familie Albayrak, die in dem Prozess als Nebenkläger auftritt, ist die Forderung der Staatsanwaltschaft nicht hoch genug. Sie verlangen eine längere Gefängnisstrafe. Eine konkrete Forderung nannten sie nicht. Der Angeklagte sei äußerst aggressiv gewesen und habe es auf die junge Studentin abgesehen gehabt, begründete Anwalt Macit Karaahmetoğlu. Er behauptete zudem, Sanel M. habe sich unmittelbar vor der Tat mit einem seiner Freunde abgesprochen, jeweils eine der jungen Frauen zu schlagen. Zu dieser Aussage hatte es in der Hauptverhandlung keinerlei Hinweise gegeben.

Am Dienstag muss das Gericht nun entscheiden, ob und wie lange Sanel M. ins Gefängnis muss. Mit einem Freispruch ist nicht zu rechnen, er hat den Schlag zugegeben, ihn unter Tränen im Gerichtssaal bereut. Dass er mit einer Bewährungsstrafe davonkommt, scheint ebenfalls recht unwahrscheinlich. Die Maximalstrafe wären nach Jugendstrafrecht zehn Jahre Haft.

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