Prozess in Darmstadt:Tuğçe wurde womöglich falsch behandelt

Prozessbeginn im Fall Tugce

Kerzen und Fotos erinnern am 28.11.2014 vor dem Klinikum in Offenbach am Main an Tuğçe Albayrak.

(Foto: Boris Roessler/dpa)
  • Ein Anästhesist hat der Polizei gemeldet, dass Tuğçe im Offenbacher Klinikum womöglich nicht richtig behandelt wurde. An ihrem medizinischen Zustand soll das jedoch nichts geändert haben.
  • Beim fünften Verhandlungstag hat das Gericht mehrere Zeugen vernommen, die weder dem Freundeskreis des Opfers noch des Täters angehörten.
  • Die Zeugen bestätigten, dass sich die Männer um Samuel M. und die Frauengruppe um Tugce gegenseitig mit obzönen Beleidigungen beschimpft haben.

Möglicherweise wurde Tuğçe nicht richtig versorgt

Bei der Notfallversorgung der Studentin Tuğçe hat es womöglich Fehler gegeben. Zu Beginn des fünften Verhandlungstages sagte der Vorsitzende Richter Jens Aßling, Tugce sei nach Aussage eines Anästhesisten des Offenbacher Krankenhauses möglicherweise unsachgemäß behandelt worden. Der Mediziner habe bei der Polizei aber gleichzeitig angegeben, dass Tuğçe nicht deswegen gestorben sei. Der rechtsmedizinische Gutachter verzichtete auf die Vorladung des Anästhesisten.

Am Freitag hörte das Gericht weitere Zeugen.

Fünf Studentinnen und Studenten schilderten, wie ihnen schon beim Bestellen bei McDonald's die fünf bis sechs jungen Männer um Sanel M. unangenehm auffielen, weil sie so laut waren. Einige von ihnen seien im Restaurant umhergegangen und hätten Gäste angesprochen. Vom Vorfall in der Damentoilette, wo Tugce zwei minderjährige Mädchen vor dem Angeklagten und zwei seiner Freunde beschützt haben soll, bemerkten die Zeugen nach eigenen Angaben nichts.

Zeugen berichten von heftigen Beleidigungen

Jedoch bestätigten sie, dass sie beim Verlassen des Schnellrestaurants hörten, wie die Männer um Sanel M. und die Frauengruppe um das spätere Opfer Tuğçe sich gegenseitig lautstark und obzön beleidigten. Eine Zeugin äußerte den Eindruck, dass die Beleidigungen stärker von den Männern ausgingen.

Zwei Zeugen berichteten, dass einer aus der Gruppe des Angeklagten zu ihnen auf dem Parkplatz kam und mit Blick auf die Frauen sagte: "Wenn das Männer wären, würden wir denen eine reinhauen." Nach dem Bericht einer Zeugin ging Tuğçe auf Sanel M. zu und fragte ihn: "Wie kannst du eine Frau schlagen?" Den darauffolgenden Schlag des Angeklagten und den Sturz Tuğçe hatte den Aussagen zufolge keiner der Zeugen gesehen.

Auch zwei Offenbacher Oberstufenschüler aus dem Umfeld des Angeklagten sagten am Freitag aus. Der eine Zeuge zitierte eine Beleidigung, die Tuğçe dem Angeklagten kurz vor dessen Schlag zugerufen haben soll, der andere beschrieb die Frauengruppe als die aggressivere. Beide Zeugen verwickelten sich aber in Widersprüche, auch zu ihren früheren Aussagen bei der Polizei und zu denen anderer Zeugen. Außerdem konnten sie sich an bestimmte Details nicht erinnern. Auf die Frage eines Anwalts, weshalb sie nach dem Schlag "fluchtartig" zu ihrem Auto rannten, sagte einer: "Ich wollte nach Hause."

Der 18 Jahre alte Serbe Sanel M. soll die junge Deutschtürkin Tuğçe am Morgen des 15. November 2014 vor einem Offenbacher Schnellrestaurant im Lauf eines Streits geschlagen haben, so dass sie stürzte, ins Koma fiel und rund zwei Wochen später starb. Sanel M. wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Der Angeklagte gestand zu Beginn des Prozesses die Tat, beteuerte aber, niemals mit Tugces Tod gerechnet zu haben. Ein Urteil wird für Mitte Juni erwartet.

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