Fall Tayler:Hamburger Kleinkind wohl totgeschüttelt - Jugendamt im Fokus

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Einen Tag bevor Tayler in das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf eingeliefert wurde, hatte eine Sozialarbeiterin ihn zu Hause besucht - und Blutergüsse fehlgedeutet.

(Foto: Axel Heimken/dpa)

In der Uniklinik Eppendorf stirbt der kleine Tayler offenbar infolge von Misshandlungen. Eine Sozialarbeiterin hatte die blauen Flecken für eine Folge des Laufenlernens gehalten.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Am Samstagabend um 19.43 Uhr war Tayler tot, er hatte keine Chance. Der Einjährige starb in der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf, in die er vor einer Woche mit schweren Hirnverletzungen eingeliefert worden war. Noch am Sonntag sollten Gerichtsmediziner seinen Leichnam untersuchen, gab Oberstaatsanwalt Carsten Rinio bekannt; frühestens am Montag werde ein Ergebnis erwartet. Vieles deutet darauf hin, dass der Kleine einem Schütteltrauma erlegen ist. Ermittelt wird gegen seine 22-jährige Mutter aus Altona-Nord und deren 27-jährigen Lebensgefährten. Und schon jetzt macht außer Trauer und Entsetzen die Frage die Runde, wie nach anderen Fällen dieser Art in der Hansestadt schon wieder so eine Tragödie passieren konnte.

Am 12. Dezember war Tayler in die Notaufnahme gebracht und sofort operiert worden, tagelang kämpften die Ärzte vergeblich um sein Leben. Allerdings wäre das alles womöglich gar nicht passiert, wenn die Aufsicht wachsamer geblieben wäre. Das Hamburger Abendblatt meldet, dass eine Sozialpädagogin der diakonischen Stiftung Das Rauhe Haus den Jungen noch am Tag vor seiner Einlieferung ins Krankenhaus gesehen habe und ihr blaue Flecken in seinem Gesicht aufgefallen seien. Einem Sprecher der Einrichtung zufolge vermutete sie jedoch, dass die Blutergüsse Folgen eines Sturzes seien, denn der Bub lernte gerade Laufen.

Das zuständige Jugendamt Altona indes war bereits nach dessen Schlüsselbeinbruch im Sommer auf Tayler aufmerksam geworden. Die Mutter sei von der pädagogischen Familienhilfe unterstützt worden, berichtet der NDR. Vorübergehend ist Tayler offenbar sogar von einer Pflegefamilie betreut worden, aber im Oktober wieder zu seiner Mutter zurückgekehrt. Ein weiterer fataler Fehler der Hamburger Behörden?

Sozialsenatorin fordert Aufklärung über Rolle der Sozialdienste

Die Mutter wurde vorläufig verhaftet und verhört, dann aber wieder auf freien Fuß gelassen. Die Justiz befasst sich außerdem mit ihrem Lebensgefährten, der nicht Taylers Vater ist. Von gegenseitigen Anschuldigungen ist die Rede. Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) äußerte ihre Bestürzung, als die Nachricht publik geworden war. "Der Tod des kleinen Tayler erschüttert meine Behörde - und mich persönlich", sagte sie. "Wir nehmen Anteil an seinem Tod und sind tief betrübt." Man brauche "Klarheit darüber, welche Maßnahmen der Allgemeine Soziale Dienst zum Kinderschutz ergriffen hat und warum es trotz der Hilfen zum Tod des Jungen kam". Doch das schreckliche Ende Taylers erinnert bereits an andere Gräueltaten, die niemand verhindert hat.

Chantal, Yagmur - Tayler

Allein in Hamburg fällt da eine katastrophale Serie auf. 2012 fiel die elfjährige Chantal im Viertel Wilhelmsburg südlich der Elbe einer Methadonvergiftung zum Opfer, sie hatte eine Tablette des Heroin-Ersatzes geschluckt. Ihre drogensüchtigen Pflegeeltern wurden später zu Bewährungsstrafen verurteilt, deren Verteidiger gingen in Revision. Auch damals geriet das Jugendamt in die Kritik, weil das Mädchen trotz warnender Hinweise nicht ausreichend geschützt worden war. Funktionäre traten zurück, die Bürgerschaft bildete einen Untersuchungsausschuss. Der Senat richtete daraufhin eine Jugendhilfeinspektion ein.

2013 folgte der Fall Yagmur. Die Dreijährige wurde tot in der Wohnung ihrer Eltern im Stadtteil Billstedt gefunden, obwohl sie längst unter behördlicher Obhut gestanden hatte. Als Todesursache galten Blutungen nach einem Leberriss, bei der Obduktion wurden weitere Folgen schwerer Misshandlung festgestellt. Beim Prozess gegen die Mutter verhängten die Richter Ende vergangenen Jahres lebenslange Haft. Doch Vorwürfe des Versagens trafen auch Politik und Sozialämter, die Jugendhilfeinspektion erkannte "eine Verkettung von Fehlern".

Die Reihe setzte sich fort. Im Oktober 2015 kam eine psychisch kranke Frau ins Gefängnis, die ihrem dreijährigen Sohn unter anderem Fäkalien gespritzt hatte. Im November 2015 verurteilte Hamburgs Landgericht dann einen 27 Jahre alten Mann zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsentzug. Er hatte seinen erst drei Monate alten Sohn so heftig geschüttelt, dass das Baby seit der Tat Ende April schwerstbehindert ist und auf einer Palliativstation liegt.

Geplante Ambulanzen für misshandelte Kinder kommen für Tayler zu spät

Fast immer ist von überforderten, verwahrlosten oder kranken Müttern und Vätern aus sozial schwachen Gebieten die Rede. Oft richten sich die Klagen auch gegen Sozialämter, die Gefahren für Schutzbefohlene nicht ernst genug genommen haben. Schütteltraumata sind bei Säuglingen in Deutschland erschreckend häufig, vielen Eltern scheint das tödliche Risiko im Affekt nicht bewusst zu sein. Mehrere Berliner Hospitäler eröffnen nun im Januar spezielle Ambulanzen für misshandelte Kinder. Für Tayler aus Hamburg-Altona kommt alles zu spät. Er durfte nur zwölf Monate lang leben.

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