Fall Susanna:Gewalt fällt nicht vom Himmel

Fall Susanna Trauer Politik

Junge Frauen legen an einer provisorischen Gedenkstätte für die getötete Susanna F. in Wiesbaden Blumen nieder und entzünden Kerzen.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Der Mord von Wiesbaden ist Wasser auf der Mühle der Hetzer. Aber Tatsache ist, dass der Zuzug von einer Million Menschen Probleme mit sich gebracht hat - der Fall Susanna sollte denen zu denken geben, die das nicht wahrhaben wollen.

Kommentar von Tomas Avenarius

Wäre der Mordfall Susanna F. ein Drehbuch, läse es sich, als hätte Björn Höcke einen Stoß Papier mit seinem gröbsten Griffel beschrieben. Doch die Vergewaltigung und die Ermordung der 14-Jährigen sind genau so geschehen, die Details scheinen alle üblen Vorurteile zu bestätigen, mit denen in der Flüchtlingsdebatte Stimmung gemacht wird: Fremde, Muslime, gewalttätig, null Respekt vor Frauen. Dieses Verbrechen ist schon vor dem Ende der Ermittlungen Wasser auf den Mühlen der Hetzer und Vereinfacher.

Erst einmal ist das Naheliegende festzustellen. Ja, auch deutsche Männer vergewaltigen und morden; es liegt nur ein Verdacht vor, kein Beweis; umfassenden Schutz vor Kriminalität gibt es in freien Gesellschaften ohnehin nicht. Aber das allein reicht nicht mehr aus. Der Fall muss denen zu denken geben, die sich mit dem unvermeidlichen Nachjustieren in der Flüchtlingsfrage schwertun und auf dem Argumentationsstand von 2015 verharren. Drei Jahre nach dem Freudenfest der Willkommenskultur zeigen sich die Probleme, die mit dem Zuzug von einer Million Männern, Frauen und Kindern aus der islamischen Welt, aber auch aus nicht-muslimischen Staaten, auftreten.

Der Tat verdächtigt wird ein abgelehnter Asylbewerber aus Irakisch-Kurdistan, 2015 mit der siebenköpfigen Familie und wahrscheinlich mit falschen Papieren ins Land gekommen, später durch Gewalttaten aufgefallen und längst polizeibekannt. Geschehen ist offenbar: nichts. Der Abschiebung durch den Instanzenweg entgangen, wenige Tage nach dem Verbrechen mit der gesamten Familie am Flughafen Düsseldorf aufgelaufen, erneut mit fadenscheinigen Dokumenten und mit einem Persilschein der irakischen Botschaft, von deutschen Polizisten offenbar durchgewunken. Lässt sich da noch irgendetwas Gutes über den Umgang mit diesem Mann sagen? Das einzig Positive ist, dass der Haupttatverdächtige in seiner Heimat schon festgenommen worden ist (was weniger für die verantwortlichen deutschen Stellen spricht als für die sonst zu Recht schlecht beleumundeten Sicherheitsorgane des Irak).

Dass viele Bürger der Politik voraus sind, ist paradox

Soweit das offizielle Handeln, bei dem der Ausdruck "Versagen" gestattet sein sollte. Ebenso schwer wiegt, dass es in der Debatte Kriminologen und Psychologen überlassen bleibt zu sagen, was eine Binse ist: Wenn ein Großteil der Flüchtlinge männlich, zwischen 14 und 30 Jahren alt und vom Krieg traumatisiert sind, fällt Gewalt nicht vom Himmel. Wer aus einem Staat kommt, in dem seit 40 Jahren Krieg herrscht, der ist nicht nur bemitleidenswert traumatisiert, sondern häufig selbst durch den Gebrauch von Gewalt brutalisiert. Irakisch-Kurdistan ist auch nicht nur Heimat edler Freiheitskämpfer, sondern ein oft noch archaischer Kulturraum, in dem Mädchen noch oft beschnitten werden; das sagt etwas über das Frauenbild aus. Und härteste Macho-Kultur ist im Nahen Osten keine Folklore, sie ist übler Alltag.

Viele im Land verstehen dies längst, ohne Fremdenfeinde oder gar Rassisten zu werden. Viele Politiker, die 2015 Verantwortung getragen und angemessen entschieden haben, haben danach aber Fehler gemacht. Paradox, dass viele Bürger ihnen weit voraus sind: Das Wesen von Politik sollte eigentlich sein, die Realität zu erkennen.

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