Dominique Strauss-Kahn bleibt der Prozess wegen versuchter Vergewaltigung vor einem Strafgericht in Manhattan erspart. Das teilte der Anwalt des angeblichen Opfers nach einem Gespräch mit der Staatsanwaltschaft mit. Staatsanwalt Cyrus Vance beantragte bei Richter Michael Obus, alle Anklagepunkte fallenzulassen und das Verfahren einzustellen.
Eine weitere Anhörung Strauss-Kahns war für heute festgelegt - nun wird erwartet, dass Richter Obus bei dem Termin dem Gesuch des Anklägers Vance nachkommen und das Verfahren offiziell einstellen wird.
Grund für die Entscheidung des Staatsanwalts waren laut dem 25-seitigen Antrag die wiederholten Widersprüche und Lügen der Zeugin, die ihre Glaubwürdigkeit erschüttert hatten. Sie "habe in fast allen Gesprächen" mit der Staatsanwaltschaft gelogen. Dies hätte bei einem Prozess "verheerende Wirkung" gehabt, erklärte Vance.
Einige Indizien sprechen für nicht einvernehmlichen Oralsex
Die Staatsanwaltschaft geht nach wie vor davon aus, dass es zwischen Strauss-Kahn und dem Zimmermädchen Diallo einen "kurzen sexuellen Kontakt" von sieben- bis neunminütiger Dauer gegeben habe. Es sei aber fraglich, ob das mutmaßliche Opfer gegen seinen Willen und gewaltsam zum Oralsex gezwungen worden sei. Einige Indizien sprächen zwar dafür, dass dies "nicht einvernehmlich" geschehen sein könnte. Doch gebe es dafür keine eindeutigen Beweise.
Da aber der Fall mit der Aussage der einzigen Zeugin "steht und fällt", sehe er keinen anderen Weg, als die Anklage aufzugeben, schreibt Vance. Diallo habe mit ihrer ersten Schilderung zum Tathergang keinen Verdacht erregt, verteidigt sich der Staatsanwalt. Bei weiteren Nachfragen habe die 33-Jähirge dann aber bis zu drei verschiedene Versionen von wichtigen Details geliefert.
So sagte sie wiederholt, sie interessiere sich nicht für Strauss-Kahns Vermögen - während sie in einem Telefonat mit einem inhaftierten Freund ebendieses diskutierte. Die Zeugin sei sogar unter Eid von der Wahrheit abgewichen, schreibt Vance. Diallo hat eine Zivilklage gegen Strauss-Kahn eingereicht und fordert von ihm eine finanzielle Entschädigung.
Am schwersten wogen offenbar ihre falschen Angaben in ihrem Asylantrag, in dem sie angab, in Guinea schon einmal Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Später habe sie dann zugegeben, den "Angriff frei erfunden" zu haben. Die "Fähigkeit, diese erfundene Geschichte mit völliger Überzeugung als wahr auszugeben", hätte die Verteidigung in einem Prozess ausschlachten können.
Zudem hätten die Ankläger zu den zweifelhaften Angaben Diallos möglicherweise selbst vor Gericht aussagen müssen - und sich so zu wichtigen Zeugen der Verteidigung gemacht.
Ein beteiligter Ermittler sagte der New York Times, es sei nicht unüblich, dass Zeugen für unglaubwürdig gehalten würden - weil ihre Aussagen variierten, oder weil sie eigene Motive hätten: eine Strafe zu vermeiden, oder auch zivilrechtliche Verfahren auf dem Spiel stünden. "Wir mussten ihr die Details ihrer Lügen über Wochen aus der Nase ziehen", sagt der Beamte dem Blatt. "Es hätte anders kommen können, wenn sie in ein oder zwei Tagen alles offengelegt hätte."
Rückkehr nach Frankreich - und in die Politik?
Mit der Einstellung des Verfahrens ist Strauss-Kahn ein freier Mann - und kann umgehend nach Frankreich zurückkehren. Die Entscheidung des Staatsanwalts stieß bei den Anwälten Diallos auf scharfen Protest, Strauss-Kahns Anwälte begrüßten sie. Auch Parteifreunde Strauss-Kahns in Paris reagierten erleichtert auf die Wende: "Ich bin sehr glücklich, sagte die Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Martine Aubry.
Ihr Mitbewerber um die sozialistische Präsidentschaftskandidatur, François Hollande, sagte, er freue sich. Auch der Ex-Banker ist nun wieder als Präsidentschaftskandidat im Gespräch. Es sei seine Entscheidung, ob er in einer parteiinternen Abstimmung wieder antreten wolle, sagte Hollande, Strauss-Kahns Nachfolger als Spitzenkandidat der Partei. Strauss-Kahns Kandidatur als Präsidentschaftskandidat galt als sicher, bevor er am 14. Mai in New York festgenommen wurde.
Allerdings warten zu Hause auch weitere Ermittlungen auf Strauss-Kahn: Die Journalistin Tristane Banon beschuldigt ihn ebenfalls, sie während eines Interviews sexuell angegriffen zu haben. Die Untersuchungen der französischen Polizei dauern an.