Fall Lea-Sophie:Aus niederen Beweggründen

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Die Eltern der verhungerten Lea-Sophie sind wegen Mordes zu je elf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. Sie vernachlässigten das Mädchen - und nahmen ihren Tod billigend in Kauf.

Arne Boecker, Schwerin

Die Verteidigung hatte die Tat als Totschlag gewertet, der mit acht Jahren Haft bestraft werden sollte. Die Staatsanwaltschaft hatte auf Mord aus Grausamkeit plädiert und wollte die Angeklagten für 13 Jahre einsperren.

Stefan T., 26, und Nicole G., 24: Zugelassen, "dass ihr eigen Fleisch und Blut jämmerlich dahinsiecht." (Foto: Foto: dpa)

Als das Landgericht Schwerin am Mittwoch sein Urteil verkündete, lag es näher am Antrag der Staatsanwaltschaft. Gegen Stefan T., 26, und Nicole G., 24, verhängte es Haftstrafen von je elf Jahren und neun Monaten. Indem es die fünfjährige Tochter Lea-Sophie habe verhungern lassen, habe das Paar einen Mord begangen - allerdings nicht aus Grausamkeit, sondern aus niederen Beweggründen.

So souverän, wie Richter Robert Piepel den Prozess geführt hat, so ruhig begründete er auch das Urteil. Das Familienleben von Stefan T., Nicole G. und der 2002 geborenen Lea-Sophie war eigentlich unspektakulär verlaufen - bis am 30. September 2007 mit Justin das zweite Kind zur Welt kam. Aus Eifersucht weigerte sich Lea-Sophie zu essen und zu trinken.

Stefan T. und Nicole G., beide arbeitslos, kamen mit der Eskalation nicht klar. "Praktisch und faktisch", wie Richter Piepel sagte, habe es "keinen Kontakt mehr nach außen gegeben". Auch das ohnehin schwierige Verhältnis zu Nicole G.s Eltern, die die Familie bis dahin unterstützt hatten, verschlechterte sich. Stefan T. und Nicole G. empfanden die Hilfsangebote als bedrohliche Belagerung.

Von Justins Geburt an bemühten sich die Eltern nicht mehr um Lea-Sophie. Das Mädchen magerte so stark ab, dass es am 20. November starb. "Lea-Sophies Körper hatte alle Kraftreserven aufgebraucht", erklärte Richter Piepel. Den Zeitpunkt, an dem Stefan T. und Nicole G. billigend in Kauf nahmen, dass ihre Tochter stirbt, datierte das Landgericht auf die erste November-Woche.

Richter Piepel zitierte Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH), um zu erklären, warum damit das Mordmerkmal Grausamkeit ausscheidet. "Als sich die Eltern mit der Möglichkeit abfanden, dass Lea-Sophie sterben könnte, lag das völlig ausgezehrte Mädchen schon in einer Art 'Winterschlaf'", sagte er. In diesem Zustand verspürte das Mädchen jedoch keine Schmerzen mehr.

Damit das Mordmerkmal der Grausamkeit erfüllt ist, müssen jedoch seelische oder körperliche Qualen ausgelöst werden, die "über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen", so die Rechtsprechung des BGH. "Ich weiß, dass dies für juristische Laien nur schwer zu verstehen ist", sagte Piepel.

Dennoch entschied das Landgericht auf Mord, weil "niedere Beweggründe" Stefan T. und Nicole G. angetrieben hätten: "Sie hatten Furcht, Ansehen zu verlieren, und sie hatten Furcht, dass man ihnen Lea-Sophie und Justin wegnimmt."

Dass gegen Stefan T. und Nicole G. keine lebenslangen Haftstrafen verhängt wurden, begründete Piepel unter anderem damit, dass der Vorsatz, Lea-Sophie zu töten, nur sehr schwach ausgebildet gewesen sei. "Sie haben dem Mädchen schließlich kein Essen vorenthalten", sagte der Richter. "Allerdings haben sie sehenden Auges zugelassen, dass ihr eigen Fleisch und Blut jämmerlich dahinsiecht."

© SZ vom 17.07.2008/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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