Süddeutsche Zeitung

Fall Kalinka:Berlin will Zugang zu entführtem Arzt

Nachdem der nach Frankreich entführte deutsche Arzt inhaftiert wurde, setzt sich die Bundesregierung in Berlin für eine Freilassung des Mannes ein.

Deutschland hat bei den französischen Behörden einen Antrag auf konsularischen Zugang zu dem in Paris inhaftierten Arzt gestellt, der gewaltsam von Bayern nach Frankreich verschleppt wurde.

Die deutsche Botschaft und das Konsulat in Paris seien in dem Fall mit der französischen Seite in Kontakt getreten, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin. Deutschland habe aber nicht die sofortige Freilassung des Arztes Dieter K. beantragt. Das Auswärtige Amt stehe mit den französischen Behörden in Kontakt, sagte ein Sprecher des Ministeriums in Berlin. "Wir bemühen uns um eine Lösung für den Betroffenen, nach Deutschland zurückzukehren." Auch die deutsche Botschaft in Paris sei mit dem Fall befasst.

Der Mediziner war 1995 in Frankreich wegen fahrlässiger Tötung eines 14-jährigen Mädchens in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Am vergangenen Wochenende hatte ihn der Vater des Mädchens, der jahrelang vergeblich um die Auslieferung des Arztes gekämpft hatte, nach Frankreich verschleppen lassen.

Er sitzt in Untersuchungshaft

Am heutigen Donnerstag war der Arzt verhaftet worden. Ein französisches Gericht ordnete seine Inhaftierung an. Dieter K. sitzt nun wegen des Todes seiner Stieftochter Kalinka Bamberski in Untersuchungshaft. Nach Angaben seines französischen Anwalts wurde K. in Paris im Krankenbett liegend dem Haftrichter vorgeführt.

"Ich habe mein Ziel erreicht", sagte der leibliche Vater des getöteten Mädchens, André Bamberski, der französischen Tageszeitung Le Parisien/Aujourd'hui en France. "Der Mörder meiner Tochter wird verurteilt werden." Er habe dreißig Jahre lang sein berufliches und privates Leben geopfert, um für Gerechtigkeit zu kämpfen, sagte Bamberski. Nun beginne "ein anderer Kampf".

Er hatte den deutschen Kardiologen, den er für den Mörder seiner Tochter hält, nach Frankreich entführen lassen. K. war am Sonntag gefesselt und geknebelt vor einem Gerichtsgebäude in Mülhausen im Elsass gefunden worden. Die deutschen Behörden hatten sich geweigert, den Mann an Frankreich auszuliefern.

Der Haftbefehl gelte weiter

Wie aus Justizkreisen verlautete, blieb der Mediziner aber vorerst im Krankenhaus. Bei seiner Entführung war er im Gesicht verletzt worden. Sein Anwalt sagte, seine Nase sei gebrochen und das Gesicht von Blutergüssen übersät. Sein Anwalt hatte vorab angekündigt, er wolle dafür sorgen, dass sein Mandant freigelassen wird. Der Süddeutschen Zeitung sagte er, er wolle Beschwerde beim Berufungsgericht einlegen.

Der Jurist sagte, das in Frankreich gefällte Urteil gegen seinen Mandanten sei nicht gültig, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe es für unzulässig erklärt. Die französische Justiz betonte dagegen, der Haftbefehl der Anklagebehörde von 1993 gelte weiter, weil K. 1995 nicht zu seinem Prozess erschienen sei. Dem Umstand, dass K. auf illegale Weise nach Frankreich gebracht wurde, scheine die französische Justiz keine Bedeutung beizumessen, sagte der Anwalt.

Dem Kardiologen wird vorgeworfen, seiner 14-jährigen Stieftochter Kalinka 1982 in Lindau am Bodensee eine tödliche Spritze verabreicht zu haben. Er wurde dafür zu 15 Jahren Haft verurteilt. K. musste seine Strafe aber nie antreten, weil Deutschland sich weigerte, den Mann an Frankreich auszuliefern. Ein Verfahren gegen ihn in Deutschland wurde eingestellt, weil sich die Todesursache nach Einschätzung der Justiz nicht klar nachwiesen ließ.

Der leibliche Vater von Kalinka, André Bamberski, gab zu, die Entführung des Mannes, den er für den Täter seiner Tochter hält, in Auftrag gegeben zu haben. Er ist davon überzeugt, dass der Arzt Kalinka ein Betäubungsmittel spritzte, um sie zu vergewaltigen. Die gerichtsmedizinische Untersuchung der Leiche habe der Arzt von einem befreundeten Kollegen machen lassen, um die Vergewaltigung zu vertuschen. Bei einer Exhumierung des Mädchens im Jahr 1985 habe sich herausgestellt, dass bei der Autopsie sämtliche Geschlechtsteile entfernt worden seien - und damit die Beweise für den Missbrauch seiner Tochter.

Ohne Zulassung weiter gearbeitet

Wegen eines ähnlichen Vergehens wurde K. 1997 im Allgäu zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Der Arzt hatte eine 16 Jahre alte Patientin mit Beruhigungsmitteln wehrlos gemacht und sie vergewaltigt. Er verlor daraufhin seine Zulassung als Arzt, übte seinen Beruf aber illegal weiter aus.

Inzwischen wurde ein weiterer Tatverdächtiger festgenommen, der offenbar an der Entführung K.s beteiligt war. Neben Kalinkas Vater, der bereits gestanden hat, stellte sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft Kempten ein staatenloser Mann aus dem Kosovo in Österreich der Polizei. Der 38-Jährige, der in Voralberg wohnt, habe seine Beteiligung zugegeben und "die Tatbeiträge seiner noch unbekannten Komplizen" beschrieben.

Bayerns Justitzministerin Beate Merk (CSU) sagte, es sei inakzeptabel, wenn Einzelne sich selbst zum Richter machten. "Das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun."

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