Prozess in Berlin:Fall Lohfink: Sex, Lügen und ein Video

Lesezeit: 4 Min.

  • Vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten ist am Montag der Prozess gegen Gina-Lisa Lohfink fortgesetzt worden
  • Es geht um die Frage, ob die ehemalige "Germany's next Topmodel"-Kandidatin zwei Männer zu Unrecht der Vergewaltigung im Jahr 2012 beschuldigte.
  • Zahlreiche Frauen haben vor dem Amtsgericht gegen sexuelle Gewalt demonstriert.

Von Verena Mayer, Berlin

Eine junge Frau und ein junger Mann. Sie treffen sich an drei Tagen in Berlin, feiern miteinander in einem Club, haben Sex, machen Fotos von sich. Er sagt, er habe "ein bisschen Gefühle für sie". Sie schreibt ihm Handynachrichten, dass sie ihn vermisse und "gerne in deinen Armen einschlafen" würde. Vier Jahre später sehen sie sich wieder, vor dem Amtsgericht Tiergarten. Sie behauptet inzwischen, er habe sie damals in einer Wohnung festgehalten, sie vergewaltigt, womöglich seien K.o.-Tropfen im Spiel gewesen. Er sagt, das stimme nicht, der Sex sei "immer einvernehmlich" gewesen, er sei nicht der Typ für so etwas. Die Justiz muss nun entscheiden, wer die Wahrheit sagt. Angeklagt ist an diesem Montagmorgen die junge Frau. Sie soll den Mann bei der Staatsanwaltschaft wider besseren Wissens eines Verbrechens verdächtigt haben, das er gar nicht begangen hat.

Transparente und Sprechchöre

Eine traurige Geschichte über das Ende einer Beziehung. Aber auch eine, die hin und wieder mal vor deutschen Gerichten verhandelt wird, Justizalltag. Doch an diesem Montag ist die Durchzugsstraße vor dem Berliner Kriminalgericht gesperrt, zahlreiche Menschen sitzen auf der Straße und halten Transparente hoch. "Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt" steht darauf, man hört Musik und Reden. Auf dem engen Flur vor dem Gerichtssaal stehen einige weitere Dutzend, sie klatschen oder rufen in Sprechchören "Lisa, Lisa". Denn die Angeklagte, um die es geht, ist das Model Gina-Lisa Lohfink.

Seit Wochen wird ihr Fall diskutiert, darüber, ob die Justiz hier möglicherweise ein Opfer zur Täterin macht. Den Nutzern, die in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag "TeamGinaLisa" für das Model Partei ergriffen, gilt sie als Symbolfigur dafür, dass Frauen von Behörden oft nicht geglaubt werde, wenn sie eine Vergewaltigung anzeigen. Mitte Juni hat sich dann noch die Bundespolitik eingeschaltet, Bundesjustizminister Heiko Maas und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (beide SPD) sprachen sich für eine Verschärfung des Sexualstrafrechts aus. In all dem Aufruhr ist allerdings noch eines immer nicht klar: Was ist eigentlich genau passiert im Juni 2012?

Dies versucht nun die Amtsrichterin aufzudröseln. Links sitzt Lohfink, 29, zwischen ihren Anwälten und schluchzt immer wieder. Ihr gegenüber setzt sich jetzt Pardis F. hin, 28. ein zarter, aber muskulöser Mann, Fußballer von Beruf. F. erzählt, dass er das Kind persischer Akademiker und Fußballer sei, derzeit spielt er für die Nationalmannschaft von Aserbaidschan. Er ist über Umwegen ins Gericht gekommen, die vergangenen Wochen haben auch an ihm gezehrt, auf Facebook hat er Morddrohungen erhalten. Lohfink lernte er in einem Club kennen. Ihre Managerin habe ihn angesprochen und gesagt, die findet dich süß. Er unterhielt sich mit Lohfink, später lud ihn die Managerin zu Lohfink ins Hotel ein. "Ich habe das erst mal nicht geglaubt", sagt F. Er erzählt das alles stockend, man merkt bei jedem Satz, dass er am liebsten woanders wäre. Er verbrachte dann eine Nacht mit Lohfink, am nächsten Tag traf man sich wieder im Club, "das war fast das Gleiche". Weil Lohfinks Hotel zu weit war, entschied man sich, in der Wohnung eines Kumpels weiterzufeiern.

Die gehörte Sebastian C., VIP-Betreuer in der Berliner Clubszene. Polizeibekannt, unter anderem wegen Rohheitsdelikten, einmal saß er auch schon wegen Betrugs in Haft. Vor Gericht erscheint er nicht, er ist abgetaucht. Im Juni 2012 feierte er erst mit, aber irgendwann begann er, die sexuellen Handlungen zwischen Lohfink und F. zu filmen. Aus acht Filmdateien schnitt er eine Sequenz zusammen, die er kurz darauf als "Teaser" der Bild und anderen Medien zum Verkauf anbot. Das Video verbreitete sich im Netz, wurde geteilt und Hunderttausende Male geklickt. Es war selbst dann noch auf Porno-Portalen abrufbar, nachdem Lohfinks Anwalt gegen die Verbreitung vorgegangen war, wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte. F. und C. wurden deswegen zu Geldstrafen verurteilt.

Öffentlichkeit ausschließen

Lohfinks Anwälte wollen die Öffentlichkeit ausschließen lassen, weil intime Details aus Lohfinks Sexualleben zur Sprache kommen sollen. Die Richterin lehnt dies ab, da Lohfink "diesbezügliche Tatsachen freiwillig in der Öffentlichkeit angegeben" habe. Auch an diesem Montag tritt Lohfink immer wieder vor die Kameras, selbst auf dem Rückweg von der Toilette in den Gerichtssaal. "Ich will nicht, dass das, was mir passiert ist, einer anderen Frau passiert", sagt sie einmal.

Was passiert ist - darüber gibt es zwei Versionen. Lohfink sagte bei der Polizei, sie sei an jenem Abend stark betrunken gewesen und vielleicht sogar unter Drogen gesetzt worden. Sie habe den Sex nicht gewollt, "Hör auf" gerufen und sogar Wunden davongetragen. Pardis F. sagt vor Gericht, Lohfink sei höchstens leicht betrunken und "gut drauf" gewesen, redselig. Man habe getanzt, sich geküsst und über Rap-Musik gesprochen. Ein Toxikologe von der Berliner Charité schloss in einem Gutachten aus, dass Lohfink während der Tat unter Drogen gestanden habe. In der Anzeige, die Lohfinks damaliger Anwalt gegen die Verbreitung des Videos stellte, war schließlich von "einvernehmlichen sexuellen Handlungen" die Rede. Den Vorwurf der Vergewaltigung erhob Lohfink erst später. Ihre damalige Managerin sagt, Lohfink habe Jahre lang darunter gelitten.

"Beim leisesten Unwillen hätte ich aufgehört"

Wie es nach dem Sex weitergegangen sei, will die Richterin wissen. Sie hätten zu dritt im Bett gelegen, sagt Pardis F., Lohfink habe Scherze gemacht und die beiden "Lausbuben" genannt. Am kommenden Abend gingen die beiden dann wieder zusammen aus, mit zwei Kumpels, einer von ihnen "ein Fußballer, dessen Namen ich nicht nennen will", sagt F. Die Nacht verbrachte er wieder bei ihr im Hotel.

Ob er bei Lohfink jemals Unwillen, Angst oder Panik gespürt habe, will die Staatsanwältin wissen. "Gar nicht, beim leisesten Unwillen hätte ich aufgehört", sagt Pardis F., "ich bin nicht so ein Typ." Seine Karriere sei zerstört, sagt er, seine Familie, seine Freunde, alle wüssten "von der Sache". Lohfink wischt sich Tränen aus den Augen. Der Prozess wird fortgesetzt, der Verhandlungstag endet damit, dass einer der Anwälte die Richterin anbrüllt, weil sie die Öffentlichkeit nicht ausschließen will, und Lohfink an der Hand aus dem Saal zieht. Und er endet mit der Erkenntnis, dass dies hier wohl nicht der juristische Symbolfall ist, den viele in ihm sehen. Sondern die Geschichte einer Begegnung zwischen Mann und Frau, die nur Verlierer hinterlässt. Eine traurige Geschichte über Sex, Lügen und ein Video.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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