Fall Anneli:"Angehörige fühlen sich oft von Polizei schlecht behandelt"

Wie viel haben die Angehörigen zu sagen und was entscheidet die Polizei bei den Ermittlungen?

Das Problem ist, dass Angehörige sich oft von der Polizei schlecht behandelt fühlen. Zu Unrecht. Die Polizei will den Täter fassen, aber natürlich haben die Ermittler vor allem Interesse, das Opfer lebend zu befreien. Für die Angehörigen wirkt das nur oft nicht so. Im Fall Reemtsma sind viele Geldübergaben gescheitert, daraufhin haben die Entführer ihre Forderung auf 30 Millionen D-Mark erhöht. Die Angehörigen haben dann entschieden, die Geldübergabe ohne die Polizei durchzuführen und dafür einen Kieler Professor und einen Hamburger Pfarrer angeheuert. Das hat dann wirklich geklappt. Ich würde das aber nicht empfehlen, die Täter sind gefährlich. Und die Polizei hat Erfahrung - sie weiß schon, was sie tut.

Trifft das auch auf den Fall Anneli zu?

Dieser Fall war natürlich besonders. Die Ermittler haben das schnell gemerkt, weil die Täter so dilettantisch waren. Da gibt es eigentlich nur eine Hoffnung: Die Täter merken, dass die Sache zu komplex für sie ist und lassen ihr Opfer frei - wie gerade im Fall Würth. Falls nicht, gibt es nur wenige Chancen.

Wie hoch sind die Überlebenschancen für Entführungsopfer?

Je länger verhandelt wird, desto höher ist die Überlebenschance. Dann baut sich oft eine Opfer-Täter-Beziehung auf - das sogenannte Stockholmsyndrom, bei dem das Opfer instinktiv so reagiert, wie der Täter will. Wichtig ist natürlich, dass der Kontakt zum Entführer nicht abreißt. Wenn doch, muss man das Schlimmste befürchten.

Wie ergeht es Entführungsopfern, die so eine Tat überleben?

Traumatisiert sind sie fast alle, das ist ja eine massive Bedrohung. In Mexiko werden etwa 3000 Nordamerikaner und Europäer pro Jahr entführt - Kidnapping ist dort so häufig wie bei uns ein Autodiebstahl. In Deutschland ist eine Entführung dagegen ungewöhnlich und überraschend für die Opfer. Oft sind sie gefesselt und bekommen nicht genug zu essen und trinken. Die psychologische Betreuung dauert oft Jahre. Körperliche Schäden wie im Fall Oetker sind dagegen eher die Ausnahme.

Wie können wohlhabende Eltern ihre Kinder schützen, damit sie gar nicht erst zum Opfer werden?

Sie sollten die Zahl ihrer Kinder nicht im Internet öffentlich machen - es ist praktisch eine Einladung für Entführer, wenn da steht: Verheiratet und vier Kinder. Auch die Kinder sollten ihr Leben auf Facebook nicht zu öffentlich machen. Aber man sollte soziale Medien auch nicht überschätzen: Entführer scannen in der Regel nicht Facebook durch, um zu entscheiden, wen sie entführen. Sie suchen sich erst ihr Opfer aus und beobachten es dann. Prävention ist dennoch wichtig: Viele Eltern schicken ihre Kinder auf Eliteinternate, die Vorkehrungen für Entführungen getroffen haben. Zudem bietet die Polizei Tipps und Beratungen an.

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