Fahrradklau in Kanada:Stibitzte Drahtesel

In Kanada hat die Polizei den wohl schlimmsten Fahrraddieb aller Zeiten gefasst. Inspektor Paul Vorvis im SZ-Interview über den Moment, als er 2865 geklaute Räder fand.

Marten Rolff

Fahrräder sind das Stadtgespräch im kanadischen Toronto, seit die Polizei dort Igor Kenk verhaftete. In Lagern des Ladenbesitzers fand die Polizei 2865 geklaute Räder. Die werden nun in einer Halle ausgestellt, damit Torontos bestohlene Bürger prüfen können, ob das ihre darunter ist. Inspector Paul Vorvis leitet die Ermittlungen.

Fahrradklau in Kanada: Hier hätten die Diebees schwer gehabt: Besonders gut geschützt hängt dieser Drahtesel an einem Schildermast.

Hier hätten die Diebees schwer gehabt: Besonders gut geschützt hängt dieser Drahtesel an einem Schildermast.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: 2865 Fahrräder, Mr. Vorvis! Das dürfte mehr sein als Sie in Ihrer Asservatenkammer unterbringen können.

Paul Vorvis: Das können Sie laut sagen! Wir brauchten eine große Lagerhalle, um die Räder auszustellen. Eine solche Dimension hat von uns hier noch niemand erlebt.

SZ: Und nun, kommen die Bürger der Stadt, um zu sehen, ob das Fahrrad dabei ist, das ihnen gestohlen wurde?

Vorvis: Innerhalb von zwei Wochen haben sich etwa 15000 Torontonians durch die Halle führen lassen, die Szenen, die sich da abspielten, waren schon unglaublich, es gab richtige emotionale Dramen.

SZ: Wegen eines Fahrrads?

Vorvis: Das sollte man nicht unterschätzen. Meiner Erfahrung nach gibt es zwei Arten von Diebstahl, die Betroffene persönlich wirklich berühren. Am meisten natürlich ein Einbruch in die eigene Wohnung, gleich danach kommt schon das gestohlene Fahrrad. Etwa 500 Leute haben in der Halle ihr Rad bereits wiedergefunden. Besucher hier sind in Tränen ausgebrochen. Manche vor Enttäuschung, andere vor Freude. Einem Mann waren bereits drei Räder gestohlen worden. Hier hat er sein erstes wiedergefunden, das er schon Jahre vermisst hatte. Er hat gejubelt und Luftsprünge gemacht vor Begeisterung.

SZ: Bemerkenswert.

Vorvis: Ja, oder?

SZ: Und die Leute schauen dann jeweils 2865 Räder bei ihnen durch?

Vorvis: Nein, wir haben sie geordnet, Nach Damen- und Herrenrädern und nach Marken, die wiederum alphabetisch sortiert wurden.

SZ: Ein ziemlicher Aufwand.

Vorvis: Das stimmt. Mehr als 125 Beamte aus verschiedenen Dezernaten waren insgesamt während der vergangenen Wochen mit dem Fall beschäftigt. Natürlich nicht alle zugleich.

Lesen Sie weiter, ob die wahren Besitzer ihre Räder auch wirklich wieder zurückbekommen...

Stibitzte Drahtesel

SZ: Und wie stellen sie sicher, dass die Leute, die ein Fahrrad aus der Halle abholen, tatsächlich die Besitzer sind?

Vorvis: Wer seine Seriennummer weiß, darf es gleich mitnehmen. Auch ein Foto, das Rad und Eigentümer zeigt, akzeptieren wir als Beweis. In anderen Fällen ist es schwieriger. Da lassen wir uns die Umstände erklären, prüfen durch bestimmte Fragen, ob die Geschichte glaubwürdig ist. Dann müssen die Leute eine eidesstattliche Versicherung abgeben. Es ist eine Gratwanderung: Einerseits wollen wir es den Leuten so einfach wie möglich machen, andererseits versuchen wir sicherzugehen, dass keiner die Situation ausnutzt.

SZ: Wie haben Sie den Massendiebstahl denn aufgedeckt?

Vorvis: Oh, im Jahr werden in Toronto mehr als 4500 Fahrraddiebstähle gemeldet, die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen. In einigen Gebieten gab es eine große Häufung. Also haben Beamte Fahrradköder ausgelegt und sich in Zivil auf die Lauer gelegt. Bald kam Igor (Kent, d. Red.) und ein Komplize, sie knackten zwei Räder und radelten weg. Er führte seine Verfolger direkt zu seinem Fahrradladen.

SZ: Ein Fahrradladen, wie praktisch!

Vorvis: Ja, mit Werkstatt. Es stellte sich heraus, dass er außerdem etwa ein Dutzend Lager und Garagen angemietet hatte. Jede davon absolut vollgestopft mit Rädern. Das war vielleicht eine Arbeit, die herauszubekommen! Ein Gebäude war so verrottet, dass die bis unter die Decke gestapelten Räder als Dachstütze dienten.

SZ: Alle geklaut?

Vorvis: Das wird sich zeigen. Bis zum Prozessbeginn hat Igors Anwalt Zeit, Nachweise über den Besitz seiner eigenen Räder zu bringen, die bekommt er zurück. Bis dahin haben die Bürger Zeit, in der Halle ein Fahrrad als das ihre erkennen. Jeder Fall belastet ihn ein bisschen mehr.

SZ: Es sieht schlecht aus für Igor, oder?

Vorvis: Oh ja, aber gestanden hat er noch nichts.

SZ: Wie lange soll das so weitergehen?

Vorvis: Ein paar Wochen noch. Bis Ende September halten wir die Halle offen. Mal sehen, wie viele Räder am Ende übrig bleiben und was dann mit denen passiert. Fest steht: Es gibt noch einiges zu tun.

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