Radfahren:"Ein optimaler Radweg wäre drei Meter breit"

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Wenn die Verkehrsprofessorin Heather Kaths von der Uni Wuppertal sich drei Meter breite Radwege wünscht, dann meint sie: drei Meter pro Richtung. Nicht insgesamt. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Bis 2030 will Andreas Scheuer Deutschland zum "Fahrradland" machen. Das ist ein weiter Weg, sagt Deutschlands erste Radverkehrsprofessorin. Sie hätte da ein paar Vorschläge.

Interview von Oliver Klasen

1,5 Milliarden Euro will Andreas Scheuer in den kommenden drei Jahren in den Radverkehr investieren. Bis 2030 will er im ganzen Land ein flächendeckendes Radwegenetz schaffen, nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land. Ziel sei es, Deutschland zum "Fahrradland" zu machen. Was der Bundesverkehrsminister als nie dagewesenes Investitionsprogramm sieht, sind für Kritiker unkonkrete Ankündigungen, die viel zu spät kommen. "Natürlich haben wir Nachholbedarf", sagt der Minister. Aber was bräuchte es genau? Das erforscht die Kanadierin Heather Kaths, die den deutschlandweit einzigen Lehrstuhl für Verkehrsplanung innehat, der auf das Fahrrad fokussiert ist. Anfang April hat sie ihre Professur an der Bergischen Universität in Wuppertal angetreten.

SZ: Sie sind Professorin für Radverkehrsplanung. Steht eigentlich in Ihrem Vertrag, dass Sie mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen müssen?

Heather Kaths: Nee, das steht nicht drin. Ich glaube, ich muss mir noch ein E-Bike kaufen oder sogar ein E-Lastenrad. Dann wird es einfacher in Wuppertal.

Ist nicht gerade eine Radfahrerstadt, oder?

Viele Straßen sind ziemlich eng. Es gibt viele Berge, viel Regen. Aber ich kenne die Stadt noch zu wenig, um wirklich sagen zu können, wie dort die Situation ist.

Welche Stadt ist am besten für Radfahrer?

Ich komme ursprünglich aus Calgary, da ist es noch schwieriger als in Wuppertal. Am weitesten vorne sind die Städte in den Niederlanden oder in Dänemark, die man immer als Positivbeispiele nimmt. Aber auch deutsche Städte holen auf. Münster ist sehr gut, Karlsruhe auch. Ich habe die letzten neun Jahre in München gelebt. Ich weiß, dass viele kritisch sind, aber ich muss sagen, das Radfahren wird hier Schritt für Schritt immer besser.

Heather Kaths, 35, hat in Calgary Bauingenieurwesen studiert und an der TU München promoviert. Jetzt hat sie in Wuppertal eine Professur für Radverkehrsplanung angetreten. Am liebsten fährt sie mit dem Rennrad Richtung Berge. (Foto: privat)

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will bis 2030 ein flächendeckendes Radverkehrsnetz schaffen. Er nennt es eine "Revolution". Sehen Sie das auch so?

Wenn es hieße, dass überall in Deutschland in den Städten und Gemeinden viele Akteure in der Verkehrsplanung von vornherein an das Rad denken, dann wäre es eine Revolution, ja.

Sie formulieren im Konjunktiv?

Es ist derzeit so, dass die Planung für das Rad erst am Ende kommt. Straßen werden in erster Linie noch immer für den motorisierten Verkehr geplant. Und dann hat man noch jeweils einen Meter übrig auf der Seite, und da kommt dann der Radweg hin.

Besser wäre es, den Radverkehr ins Zentrum der Planungen zu stellen?

Ich wäre schon froh, wenn der Radverkehr mitgedacht würde. In der Stadt sollte der aktiven Mobilität, also dem Fußgänger- und dem Radverkehr, Vorrang eingeräumt werden, und die Verkehrsmittel, die nicht so umweltfreundlich sind, sollten erst an zweite Stelle gesetzt werden.

Rasant aus der Stadt: Mülheim an der Ruhr hat eine alte Eisenbahnbrücke ins Konzept der Radschnellwege einbezogen. (Foto: Rupert Oberhäuser/imago)

Ist die Verkehrsplanung in der Stadt ein Nullsummenspiel? Und heißt das, Radfahren erträglicher zu machen, bedeutet immer zugleich, ich muss den Autofahrern wehtun und ihnen Platz wegnehmen?

Es gibt nur begrenzten Raum in der Stadt, das ist klar. Aber es gibt viele Optionen, wie man ein Radverkehrsnetz schaffen kann, das zumindest teilweise unabhängig vom Straßenverkehrsnetz funktioniert. In München zum Beispiel. Da führen viele wichtige Radwege an der Isar entlang oder durch Parks. In Nordrhein-Westfalen nutzen sie gerne alte Schienenverkehrstrassen. Es gibt kreative Lösungen. Und was mir wichtig ist, es geht nicht nur alleine um Radwege. Infrastruktur bedeutet auch gute Abstellmöglichkeiten für Fahrräder oder Servicestationen, an denen man zum Beispiel die Luft im Reifen aufpumpen kann. Gerade am Anfang der Entwicklung sollten die Städte hier unterstützen.

Wie sieht denn der perfekte Radweg aus? Völlig getrennt vom Autoverkehr oder integriert?

Es kommt ein bisschen drauf an, wen man fragt. Es gibt Radfahrer, die gerne große Straßen benutzen, und die stört es nicht so sehr, dass auch Autofahrer dort fahren. Aber es gibt andere Radfahrer, die sind vielleicht nicht so sicher und möchten lieber im Grünen fahren.

Was ist mit der Breite? Viele Radwege sind nur 90 Zentimeter breit.

Es ist wichtig für den Verkehrsfluss, dass Fahrräder sich gegenseitig überholen können. Die Geschwindigkeiten der Radfahrer sind sehr unterschiedlich. Hinzu kommt zum Beispiel der Trend zu Lastenrädern. Die brauchen nicht nur viel Platz, sondern fahren üblicherweise auch etwas langsamer. Ein optimaler Radweg wäre drei Meter breit. Eineinhalb bis zwei Meter ist meiner Ansicht nach das Minimum.

Rote Farbe auf dem Asphalt hat sich an heiklen Stellen bewährt. (Foto: Michael Gstettenbauer /Imago Images)

Welche Bedeutung haben Fahrbahnmarkierungen?

Eine gute Abtrennung ist sehr wichtig. Es gibt da eine interessante Studie. Bei einem sogenannten Radschutzweg, also bei einem, der nur mit einer gestrichelten Linie abgetrennt ist, da fahren die Autos enger vorbei als wenn keine Linie gezogen ist. Was gut funktioniert, ist, gefährliche Stellen mit roter Farbe auf dem Asphalt zu markieren. Aber die beste Abtrennung ist eine physikalische Trennung, nicht nur eine Markierung, sondern Bäume oder ein Grünstreifen zwischen Auto- und Radverkehr.

Der Radverkehr, also die Zahl der Fahrten, soll sich in den kommenden Jahren um 50 Prozent steigern. Braucht man langfristig mehr Regeln für Radfahrer? Vielleicht auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung in den Städten?

Das ist eine schwierige Frage. An manchen gefährlichen Stellen braucht man vielleicht tatsächlich Tempolimits. Aber Radfahren ist gerade deshalb so schön, weil es flexibel ist.

Glauben Sie, dass die Corona-Krise eine Chance ist für den Radverkehr?

Ja. Ich glaube, es ist eine super Chance. Autofahren ist in der Pandemie natürlich attraktiver geworden, da ist man alleine in einem Raum. Aber wenn Leute das ausprobieren und merken, wie schnell man beim Radfahren vorankommt, dann werden sie dabeibleiben. Was ein bisschen verlieren wird, befürchte ich, ist der öffentliche Nahverkehr.

Wie fahren Sie am liebsten Rad?

Am liebsten nehme ich mein Rennrad und fahre von München aus Richtung Berge.

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