Fährunglück in der Adria:"Wir dachten alle, wir sterben"

Fährunglück in der Adria: Die fünfjährige Serafina verlässt die Militärmaschine, die sie nach Griechenland zurückgeflogen hat.

Die fünfjährige Serafina verlässt die Militärmaschine, die sie nach Griechenland zurückgeflogen hat.

(Foto: AP)
  • Überlebenden berichten von den Dramen, die sich an Bord der in der Adria havarierten Fähre "Norman Atlantic" abspielten.
  • Mehrere Trucker sollen in ihren Lastwagen geschlafen haben, als das Feuer ausbrach.
  • Die Besatzung muss mit der Situation völlig überfordert gewesen sein.
  • Kapitän Argilio Giacomazzi wird jedoch von italienischen Medien gefeiert, weil er als Letzter von Bord ging.

Einige Lkw-Fahrer schliefen in ihren Trucks

Die meisten der 427 offiziell verzeichneten Passagiere der Fähre Norman Atlantic konnten erst nach anderthalb Tagen gerettet werden. Anderthalb Tage, die die Menschen in Todesangst auf der Fähre verbringen mussten. Für einige kam jede Hilfe zu spät.

Eine Lkw-Fahrerin, die zusammen mit weiteren 42 Geretteten von Bari nach Athen ausgeflogen wurde, sagte griechischen Medien nun: "Drei meiner Kollegen sind umgekommen". Die Trucker hätten in den Fahrerkabinen geschlafen. Niemand habe die Passagiere rechtzeitig alarmiert. Ähnlich hatte sich zuvor der Lkw-Fahrer Christos Pergis geäußert: "Ja, es gab Kollegen, die im Truck geschlafen hatten, weil es nicht genug Kabinen gab", sagte er. Ein türkischer Passagier sagte, es habe keinen akustischen Feueralarm gegeben. "Die Passagiere haben sich gegenseitig geweckt." Es sei "eine Situation wie an Bord der Titanic" gewesen.

"Ich schlief auf der Couch, als jemand mich schüttelte, mich aufforderte, aufzustehen", berichtete die Schweizerin Barbara Eckenstein dem Schweizer Fernsehen. "Zu dem Zeitpunkt war der Aufenthaltsbereich des Schiffs schon so voller Rauch, dass man kaum um die Stühle herumgehen konnte. Wir mussten alle unsere Sachen zurücklassen."

Crew war angeblich völlig überfordert

Viele Gerettete machten der offenbar völlig überforderten Crew schwere Vorwürfe. "Jeder war von Panik ergriffen, niemand sagte uns, was wir tun sollten", sagte die griechische Passagierin Athina Pappas der Zeitung Ethnos. "Es war nur ein Rettungsboot im Wasser und niemand von der Besatzung war da, um den Menschen zu helfen", sagte einer der ersten Passagiere, die von einem Handelsschiff gerettet und im italienischen Bari an Land gebracht wurden. "Wir dachten alle, wir sterben."

Robert Mane sagte der britischen BBC: "Die Crew versuchte, die Evakuierung in die Rettungsboote zu koordinieren, aber das erwies sich als unmöglich." Die Menschen hätten sich einfach in die Boote geworfen. "Die Panik brach aus, als das Deck mit den Rettungsbooten Feuer fing", berichtete Nick Channing-Williams. "Die Menschen in der Warteschlange bekamen Panik und drängten nach vorn." "Ich habe 25 Minuten gebraucht, um in eines hinein zu kommen", erinnerte sich Mane. Gemeinsam mit etwa 50 anderen enfternte sich der Albaner in seinem Rettungsboot von dem brennenden Schiff.

Ein 62-jähriger Grieche war am Sonntag mit seiner Frau ins Wasser gesprungen oder gestürzt und schaffte es nicht, ein Rettungsboot zu erreichen. "Wir waren vier Stunden im Wasser", sagte seine Frau, Teodora Douli, später der italienischen Nachrichtenagentur Ansa. "Er sagte: 'Wir sterben, wir sterben'", berichtete Douli. "Ich konnte ihn nicht retten."

Panik und Schlägereien

An Bord kam es Augenzeugenberichten zufolge zu Handgreiflichkeiten, als die Passagiere zu den Helikoptern und Rettungsbooten drängten.

Einige Männer wollten Kindern, älteren Menschen und Frauen nicht den Vortritt lassen. Die griechische Sängerin Dimitra Theodossiou, die sich auch auf der Fähre befand, sagte: Männer "schlugen uns und schoben uns weg, um sich als erste in Sicherheit zu bringen". Auch sie selbst sei geschlagen worden.

Der griechische Lastwagenfahrer Christos Perlis sagte, die Menschen "traten sich gegenseitig, um in den Hubschrauber einzusteigen".

Kapitän ging als Letzter von Bord

Als die Rettungsaktion abgeschlossen war, ging Kapitän Argilio Giacomazzi als letzter von Bord seines Schiffes. Eher nüchtern beruhigte der erfahrene Seemann nach seiner Rettung seine Familie: "Ihr könnt entspannen, mir geht's gut" sagte er am Telefon. "Es ist vorbei, ich komme nach Hause."

Auf die Idee, die brennende Fähre vorzeitig zu verlassen, wäre Giacomazzi nach Angaben seiner Tochter Giulia nie gekommen. Der Kapitän wurde in italienischen Medien für seinen Mut gefeiert. Er habe die Ehre italienischer Seefahrer wiederhergestellt, hieß es. Francesco Schettino, Kapitän des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia, hatte sein Schiff nach dessen Havarie am 13. Januar 2012 als einer der ersten verlassen.

Ein Elfjähriger wartet noch auf die Gewissheit, die die Familie des Kapitäns schon hat. Der Junge liegt im Krankenhaus von Copertino in Süditalien und wartet auf Nachrichten von seinem Vater. "Geht es Papa gut? Wo ist er? Wann holt er mich ab", fragte der Junge Journalisten.

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