Fabelwesen in Island:Der Lagarfljótsormur

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Der angebliche isländische Wurm Lagarfljótsormur (Foto: Screenshot YouTube)

Auch Island hat ein rätselhaftes Ungeheuer ähnlich wie Nessie in Schottland. In einem See soll seit Jahrhunderten ein gigantischer Wurm leben - und inzwischen sogar gefilmt worden sein.

Von Titus Arnu

Es ist ein schmaler Grat zwischen Vernunft und Fantasy, besonders in Island. Ein bizarr geformter Felsen verwandelt sich im Nebel schnell in einen Troll. Was da unter der Erde rumort und zischt - sind das Vulkangase oder kriegerische Gnome?

Existieren unter den gewaltigen Gletschern geheime Städte eines geheimen Volkes? Und dieser verhuschte Typ mit den dürren Beinchen und den langen Ohren, ist das ein hässlicher Tourist beim Trailrunning oder ein Elf?

Eiswüsten, Geysire und monatelange Dunkelheit - die Rahmenbedingungen für Fabelwesen sind in Island ideal. Es ist kein Wunder, dass sich Isländer seit jeher Sagenhaftes über seltsame Kreaturen erzählen. Der Elfen-Experte Magnus Skarphédinsson sammelt Berichte über solche wundersamen Wesen.

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"Nessie" ist das berühmteste Phantom der Welt - und bis heute unauffindbar. Schon im sechsten Jahrhundert gab es Berichte über ein gefährliches Ungetüm.

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In seinen Unterlagen sind zwölf verschiedene Typen von Elfen aufgelistet, drei Typen von verborgenen Menschen, zwei Arten von Gnomen, drei Arten von Feen und vier Typen von Zwergen. Nicht selten kommt es vor, dass Straßenbaupläne geändert werden, um die Elfen nicht zu stören - zuletzt 2013 bei einer geplanten Autobahn zwischen der Halbinsel Álftanes und Garðabær, einem Vorort von Reykjavík.

Eine Studie der Universität in Island besagt, dass rund 60 Prozent der Einwohner fest von der Existenz von Elfen und verborgenen Menschen überzeugt sind.

Aus isländischer Sicht ist es also keine Riesensache, dass sich neben Elfen und Gnomen angeblich auch Monster in den grandiosen Weiten der Insel-Wildnis verstecken, sondern eher eine Selbstverständlichkeit. Eines dieser rätselhaften Riesenviecher ist der Lagarfljótsormur. Allein der Name ist aus ausländischer Sicht der Horror. Übersetzt bedeutet das Wort: Lagarfljót-Wurm.

Es handelt sich um die isländische Variante von Nessie, dem Monster von Loch Ness: ein riesiges schlangenförmiges Wesen, das immer wieder mal im Lagarfljót gesichtet wird, einem tiefen See im Osten Islands. Angeblich ist die Kreatur etwa 90 Meter lang und kann sich im Wasser und auf Land bewegen.

Islands Bauministerium hat einen offiziellen Beauftragten für Elfen

2012 gelang dem Bauern Hjörtur Kjerúlf eine kurze Videoaufnahme vom Riesenwurm. Der damals 67-Jährige filmte durch sein Küchenfenster ein langes, schlangenartiges Geschöpf, das sich durch einen Fluss windet, der in den See mündet. Der Kopf des Tiers erinnert an eine Anakonda.

Der Fernsehsender RUV strahlte den Film aus, weltweit griffen Medien die Sensationsmeldung auf und berichteten über die Superseeschlange. Alles Humbug, urteilte der hauptberufliche Skeptiker Benjamin Radford nach der Analyse des Videos - das sei kein Monsterwurm, sondern ein gefrorenes Fischernetz, das sich in der Strömung bewege.

Doch diese rationale Erklärung geht vielleicht nicht tief genug für ein Land, in dem es einen offiziellen Elfenbeauftragten gibt. Der Lagarfljótsormur ist fest in der isländischen Geschichte und der Sagenwelt verankert. Die erste Erwähnung des Wasserwurms stammt aus dem Jahr 1345. Im Jahr 1589 schrieb der damalige Bischof Oddur Einarsson über das Ungeheuer.

Im Lauf der Jahrhunderte wurde der Wurm manchmal als Monster beschrieben, das Boote oder sogar Häuser zerstört, manchmal galt er als Vorbote für kommendes Unglück. Das ominöse Schlangentier wurde im 20. Jahrhundert häufiger an verschiedenen Orten im und am Wasser gesehen.

Jón Árnasons Sammlung von isländischen Volksmärchen, Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, enthält auch eine Geschichte, in der es um den Lagarfljótsormur geht. Sie erzählt von einem Mädchen, das in der Nähe des Lagarfljót-Sees wohnte.

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Es steckte einen goldenen Ring zusammen mit einem kleinen Wurm in eine Kiste und wollte so das Gold vermehren. Das Experiment ging schief. Statt des Goldes wuchs nur der Wurm, das erschrockene Mädchen schleuderte die Kiste in den Lagarfljót. Dort gedieh der gefährliche Wurm weiter und terrorisierte die Gegend, bis er endlich von Magiern auf dem Grund festgekettet werden konnte.

Ob Zauberei oder nicht, die isländische Realität ist herrlich schlangenfrei. Die einzigen Schlangen sind während der Hochsaison im Sommer vor Eisdielen in Reykjavíks Haupteinkaufstraße, beim Einchecken am Flughafen Keflavík und an der Kasse der Blauen Lagune zu beobachten.

Aufgrund des arktischen Klimas haben Reptilien und Amphibien in Island keine guten Karten. Vielleicht ruft gerade das Fehlen dieser Gattungen eine Art Phantomfurcht hervor und hat deshalb zur Entstehung des Wurm-Mythos geführt.

Skeptiker führen die geografischen und geologischen Besonderheiten der Region als Grund an. Der Lagarfljót ist 35 Kilometer lang, bis zu 2,5 Kilometer breit und bis zu 112 Meter tief.

Das Wasser ist meist sehr trüb, da mehr als 20 Zuflüsse Sedimente in den See spülen. Unter dem Seegrund blubbern heiße Gase und warme Quellen. Gasblasen könnten zu ungewöhnlichen Bewegungen an der Wasseroberfläche führen und Schlammablagerungen mit an die Oberfläche reißen, die man für organische Formen halten kann.

Zweifel an der Objektivität der "Truth Commission"

Laut Helgi Hallgrímsson, einem Biologen, der den See genau untersucht hat, könnten diese Erklärungen für einen Teil der Sichtungen verantwortlich sein, aber nicht für alle. Um das Monster endlich dingfest zu machen, wurde nach der Veröffentlichung des Wurm-Videos von 2012 eine "Wahrheitsfindungskommission" gebildet.

Sie kam nach zwei Jahren zu dem überraschenden Ergebnis: Die Aufnahmen sind echt.

Allerdings darf man die Objektivität der "Truth Commission" so stark bezweifeln wie die Existenz von Zwergen und Trollen: Sie wurde vom lokalen Gemeinderat eingesetzt - und der dubiose Seewurm ist mittlerweile ein Tourismusmagnet.

Dieser Text erschien zuerst in der SZ-Printausgabe vom SZ vom 6. 7. 2019.

© SZ vom 06.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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