Süddeutsche Zeitung

Exhumierung:Irische Regierung sucht Überreste von Heimkindern

  • Für Nachforschungen nach fast 800 Baby- und Kinderleichen hat die irische Regierung systematische Ausgrabungen genehmigt.
  • Das Massengrab soll sich unter dem Gelände eines ehemaligen kirchlichen Heims für ledige Mütter und Kinder befinden.
  • Erste Skelette waren bereits vor Jahrzehnten gefunden worden, eine Aufarbeitung und Untersuchung hatte bislang aber nicht stattgefunden.

Eigentlich ist Tuam genau das, was man als beschaulichen Ort bezeichnen würde. Die Ortschaft im Westen Irlands, im County Galway, hat nur etwa 9000 Einwohner. Ihr Ruf wird in Sprichwörtern besungen: "Wenn eine Person aus Tuam stirbt und zum Himmelstor kommt, dann wird der Engel sagen: 'Dir wird es hier nicht gefallen, es ist nicht Tuam.'"

Tatsächlich ist der Ort heute aber für eines der dunkelsten Kapitel der irischen Geschichte bekannt - und könnte nun erneut in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Die irische Regierung hat auf dem Gelände eines ehemaligen Kinderheimes im Tuam systematische Ausgrabungen genehmigt. Der Grund: Bereits vor Jahrzehnten hatte man dort Skelette in der Erde gefunden. Anwohner glaubten damals allerdings, es handele sich um Opfer der irischen Hungersnot im 19. Jahrhundert. Jahre später entdeckten Experten in unterirdischen Kammern weitere menschliche Überreste, die meisten davon von Babys und Kindern.

Das Heim war von 1925 bis 1961 von der katholischen Kirche betrieben worden. In dieser Zeit lebten dort Tausende Frauen, die nichteheliche Kinder geboren hatten. Die Funde wurden von den Behörden allerdings lange Zeit nicht weiter verfolgt.

Die Bewohner von Tuam sollen das Heim zumeist nur als "The Home" bezeichnet haben. Über das was dort passierte, sprach man nicht. Die Kindersterblichkeit soll immens hoch gewesen sein, viele kleine Mädchen und Jungen kamen durch Krankheiten wie Masern und Tuberkulose ums Leben. Viele sollen von den Nonnen aber auch systematisch vernachlässigt worden und an Unterernährung gestorben sein.

2012 brachte die Historikerin Catherine Corless den Fall mit einem Artikel in einer Lokalzeitung erneut ins Rollen. Sie hatte ermittelt, dass in den 36 Jahren 796 Totenscheine für Babys ausgestellt worden waren. Im gleichen Zeitraum gab es jedoch lediglich eine beurkundete Bestattung. Die übrigen Leichen wurden demnach offenbar einfach in ein Massengrab geworfen. Auf Corless' Betreiben hin nahm die Polizei damals die Ermittlungen auf.

Was in dem Heim in Tuam geschehen sein soll, ist in Irlands Geschichte kein Einzelfall. Seit 2012 arbeitet eine Kommission die Hintergründe von Heimen für ledige Mütter und deren Kinder auf. Anfang März 2017 bestätigte diese bei einer Probeausgrabung offiziell, dass in dem Grab Kinder im Alter von bis zu drei Jahren liegen würden. Das hatten Untersuchungen der Knochen ergeben. Der Orden der Schwestern von Bon Secours, dem auch das Heim in Tuam unterstellt war, versprach 2017 die Komission zu unterstützen und teilte mit, dass alle Unterlagen aus der Zeit bereits 1961 an die örtlichen Behörden übergeben worden seien.

Besonders im Fokus der landesweiten Untersuchungen stehen die sogenannten "Magdalenenheime". Als solche wurden "Besserungsanstalten" bezeichnet, in denen ursprünglich Prostituierte untergebracht worden waren. Später entstanden zudem weitere kirchliche Heime, die als "Magdalene Laundries" (Magdalenen-Wäschereien) bezeichnet wurden. Dort untergebracht wurden neben Prostuierten auch ledige Frauen, die meist unter unwürdigen Bedingungen in den Wäschereibetrieben arbeiten mussten.

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