Die Ermittler in Rom haben diese Woche ein Netz zerrissen, gesponnen aus Beziehungen zwischen Verbrechern, Rechtsradikalen, Stadtpolitikern, Beamten und Unternehmern. Im Zentrum von "Mafia Capitale", wie sie das Netz nennen, entdeckten sie einen alten Bekannten. Massimo Carminati, der von sich einmal sagte: "Ich bin der König von Rom."
Il guercio, der Einäugige, wie er genannt wird, hat einen legendären Ruf in finsteren Kreisen. Viele fürchten ihn, und manche behaupten, er sei unsterblich, weil er bei einer Schießerei mit der Polizei nur ein Auge und nicht das Leben verlor. So bekannt ist Carminati, dass er zu einer literarischen Figur und Filmgestalt wurde - als "Nero" in dem Bestseller Romanzo Criminale und in dem gleichnamigen preisgekrönten Film.
Bislang konnte Carminati der Justiz meist entwischen. Seit Dienstag sitzt der 56 Jahre alte, mutmaßliche Bandenboss jedoch in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, an der Spitze einer römischen Mafia zu stehen, die mit der früheren rechten und der heutigen linken Stadtregierung verflochten war, zahlreiche öffentliche Aufträge abgriff und kräftig beim Betrieb von Flüchtlings- und Asylbewerberheimen verdiente. Ermittelt wird gegen hundert Verdächtige. Darunter sind Ex-Bürgermeister Gianni Alemanno und der Vorsitzende des Stadtrats, Mirko Coratti.
Aufbau der Hauptstadtmafia
Wie Alemanno stieß auch Carminati als junger Mann zur neofaschistischen Partei MSI. Er radikalisierte sich im Lauf der Siebzigerjahre und arbeitete an seinem Ruf, ein besonders skrupelloser, brutaler und verschwiegener Bursche zu sein. Bald stieß er zu der rechten Terrorgruppe Nuclei Armati Rivoluzionari. Es waren die bleiernen Jahre in Italien, als das Land von Links- und Rechtsterroristen erschüttert und durch versuchte Staatsstreiche destabilisiert wurde. Carminati wurde wegen Terrortaten angeklagt, jedoch nicht verurteilt.
In seiner Zeit bei der Terrorvereinigung kam er mit den Kriminellen der "Banda della Magliana" in Kontakt, die Rom in Angst und Schrecken versetzte . Er diente als Vermittler zwischen beiden Lagern, die sich gegenseitig unterstützten. So legten Terroristen und Gangster ein Waffenarsenal, das Carminati verwaltet haben soll, im Keller des römischen Gesundheitsministeriums an. Später wechselte er ganz die Seiten und wurde Mitglied der Banda della Magliana. In den Neunzigerjahren soll er mit Komplizen einen Tresorraum geplündert haben - im neuen Justizpalast von Rom.
1998 wurde Carminati wegen seiner Zeit bei der mörderischen Magliana-Bande zu zehn Jahren Haft verurteilt. Danach tauchte er im Ausland ab. Erst vor einigen Jahren kehrte er nach Rom zurück. Er erneuerte alte Kontakte und baute eine Hauptstadtmafia auf. In einem abgehörten Gespräch bezeichnete er sich als Figur der "Zwischenwelt", in der sich alle träfen. "Denn auch die Leute, die in der Oberwelt leben, sind interessiert, dass jemand in der Unterwelt für sie Dinge erledigt, die sonst keiner machen kann."