Süddeutsche Zeitung

Ex-Frau eines Dschihadisten:Einmal "IS" und zurück

Tania Joya Georgelas war mit einem Dschihadisten aus den USA verheiratet. Nach zehn Jahren hat sie sich vom radikalen Islam abgewandt und ihren Mann verlassen, der in Syrien für die Terrormiliz kämpft.

Reportage von Beate Wild, Dallas

Wann ihr Leben zum Albtraum wurde, kann Tania Joya Georgelas heute nicht mehr genau sagen: War es, als sich ihr damaliger Ehemann eine zweite Frau nahm? Als er ins Gefängnis musste? Oder erst, als sein Plan Gestalt annahm, sich und die Familie der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien zu verschreiben?

Zumindest an den Abschied im Sommer 2013 erinnert sich die 34-Jährige gut: Georgelas ist im sechsten Monat schwanger und abgemagert auf 44 Kilo. Sie habe nur weg gewollt, erinnert sie sich heute, raus aus Syrien. Ihr Ehemann John bringt sie und die drei gemeinsamen Kinder zur türkischen Grenze, vorbei an den Kugeln von Scharfschützen, die plötzlich auf sie schießen. Er liefert sie bei einem bezahlten Schleuser ab, der bereits auf der anderen Seite der Grenze wartet. "Dann drehte er sich einfach um und ging zurück nach Syrien, ohne ein Wort des Abschieds", erinnert sich Georgelas.

Sie lächelt gequält, während sie erzählt, vier Jahre später und weit weg von Syrien auf der Terrasse einer Weinbar in einem reichen Vorort von Dallas, Texas. Dann nippt sie an ihrem Weißwein. Georgelas ist britische Staatsbürgerin bengalischer Herkunft, trägt einen schicken Mantel, hochgesteckte Haare und üppiges Make-up. Der Kellner schwärmt von ihrem britischen Akzent und will über englischen Fußball reden. Dass sie ganz anderes zu erzählen hat, aus der Zeit, als sie noch Hidschab trug und nicht alleine aus dem Haus ging, kann er nicht ahnen.

Georgelas lebt jetzt in den USA. Nach ihrer Flucht aus Syrien holten die Eltern ihres Ehemannes sie und die Kinder zu sich. John, der Dschihadist, ist US-Amerikaner und in Texas aufgewachsen.

Die Wege, die zur Radikalisierung führen, sind oft kompliziert. Auch Georgelas Fall entzieht sich dem Täter-Opfer-Schema: Als sie ihren Ehemann 2003 kennenlernt, ist sie bereits Anhängerin eines radikalen, politischen Islam. Sie hat sich zuhause radikalisiert, in Harrow, einem Vorort von London, in den ihre aus Bangladesch stammenden Eltern eingewandert waren.

Georgelas beschreibt Harrow als Stadtteil voller Gegensätze: Reich und arm unmittelbar nebeneinander, viele unterschiedliche ethnische Minderheiten. Ihre muslimische Familie habe sich in der Nachbarschaft oft unerwünscht gefühlt, mehrmals wurden die Fenster der Wohnung eingeworfen. Sie habe unter Ausgrenzung und Rassismus gelitten, sagt Georgelas, gleichzeitig sei das Verhältnis zu den Eltern schlecht gewesen, auch in der Schule gab es Probleme. Die Britin spricht hastig, manchmal ist es schwer, ihrer Geschichte zu folgen, weil sie zwischen den Orten, zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her springt.

Die Attacke auf das World Trade Center von New York am 11. September 2001 empfindet sie als erste große Wegmarke ihrer Radikalisierung. "Ist das nicht schrecklich?", habe sie eine Freundin gefragt. Als Antwort hört die 17-Jährige: "Ist das denn wirklich so schrecklich?" In ihrem Freundeskreis hätten sich zu dem Zeitpunkt bereits ultra-konservative Ansichten breit gemacht, einige unterstützten offen den Islamismus. Der Terroranschlag in New York galt hier, in ihrer Clique in Harrow, als Wiedergutmachung für die Verfolgung von Muslimen.

Religion sei oft nur ein Vorwand zur Radikalisierung

"Eigentlich wollte ich nur ein gutes, frommes Leben führen", sagt Georgelas über die Phase in ihrer Jugend, in der sie sich der Religion zuwandte. Was sie sagt, erinnert stark an die zahlreichen Studien, die beschreiben, warum sich Jugendliche radikalisieren. Es beginnt mit einem Schleier, mit dem sie ihr Gesicht verhüllt. Sehr zum Missfallen der Eltern und der Schulleitung. Auf der Straße wird ihr hinterhergerufen. "Heirate doch Bin Laden!" oder "Hast du da eine Bombe?". Gemeinsam mit ihren Freunden studiert Georgelas radikalislamische Bücher aus Saudi-Arabien. Irgendwann glaubt sie an den Dschihad, den "Heiligen Krieg", den man notfalls mit Gewalt führen müsse und sie träumt von einem Kalifat, einem islamischen Gottesstaat.

Der IS-Experte Graeme Wood, der in seinem Buch "The Way of the Strangers: Encounters With the Islamic State" den Werdegang von Tania Georgelas und ihrem Ehemann nachgezeichnet hat, schreibt, sie habe "Ambitionen gehabt, eine Selbstmordattentäterin zu werden". So radikal würde sie selbst es nicht ausdrücken, aber völlig zurückweisen kann sie Graemes Deutung auch nicht.

Religion sei oft nur ein Vorwand zur Radikalisierung, sagt der französische Diplomat und Islamismus-Experte Olivier Roy. Glaube spiele dabei eine wichtige Rolle, weil sie der Person als Narrativ zur Umstrukturierung ihres Lebens im Einklang mit der "Wahrheit" und dem "Guten" diene. Wer sich radikalisiert, kann also sagen, dass seine Handlungen für einen höheren Zweck bestimmt seien. Doch in Wahrheit sei die Motivation fast immer persönlich, so Roy.

Was die Britin als junge Frau suchte? Gleichgesinnte, sagt sie - und einen Partner, mit dem sie ihrem damaligen Leben und ihrem Elternhaus endgültig entkommen konnte. Mit 19 meldet sie sich auf einer muslimischen Heiratsseite im Internet an. "John schrieb mich an, versprach mir Reisen, eine große Familie und ein stabiles Leben", erzählt sie.

Zu diesem Zeitpunkt lebt der ebenfalls 19 Jahre alte John Georgelas im syrischen Damaskus, um arabisch zu lernen. Auch er versucht, sein konservatives Elternhaus hinter sich zu lassen. Und genau wie für seine spätere Frau ist für ihn der 11. September 2001 ein Wendepunkt. Als sich in vielen Gegenden der USA eine offen anti-muslimische Stimmung Bahn bricht, konvertiert der junge Mann zum Islam. Zwei Monate nach den Anschlägen. Er nennt sich nun Yahya al-Bahrumi. In Texas ist das ein Akt der Rebellion.

Die beiden sehen sich 2003 zum ersten Mal in London. Nach einer langen E-Mail-Freundschaft dauert es nur drei Tage, bis sie in einer muslimischen Zeremonie heiraten. Die Eltern der Britin sind begeistert: Ein gebildeter Amerikaner aus gutem Haus erscheint ihnen als ausgezeichnete Wahl.

Das frisch verheiratete Paar zieht viel um - Texas, England, Syrien, England, Kalifornien und schließlich wieder Texas. Die junge Frau bekommt an ihrem 21. Geburtstag ihren ersten Sohn. Doch der Eindruck einer normalen Familie trügt: John, hauptberuflich Datentechniker, betreut nebenbei die islamistische Propagandaseite "Jihad Unspun". Im April 2006 wird er verhaftet, er soll Kundenprofile gehackt haben, um dort Werbung für den Dschihad zu machen. Er muss dafür ins Gefängnis. 34 Monate.

"In dieser Zeit bin ich nach London zu Freunden und Familie gereist", erinnert sich Tania Georgelas. Es sei das erste Mal gewesen, dass sie über eine Trennung nachdachte. Doch John überredet sie aus dem Gefängnis, bei ihm zu bleiben. Irgendwann kommt er auf Bewährung frei. Das Paar bekommt einen zweiten Sohn. Kurz darauf folgt die große Demütigung: Per Telefon heiratet er eine zweite Ehefrau, eine streng konservative Salafistin aus London, die das Paar schon länger kennt. "Ich war so wütend und enttäuscht" erinnert sich Georgelas. Aber sie bleibt.

Suche nach Halt und Orientierung

Im Jahr 2011, als Johns Bewährung vorbei ist und er wieder reisen darf, zieht die Familie nach Ägypten. In der neuen Heimat unterrichtet er andere ausländische Islamisten, hilft bei der Verbreitung radikalen Gedankenguts. Er verschreibt sein Leben und das seiner Familie, zu der mittlerweile ein dritter Sohn gehört, endgültig dem Islamismus.

Im Frühjahr 2013 erobern die Truppen des "Islamischen Staats" im Irak und in Syrien Landstrich um Landstrich - und sie rekrutieren Kämpfer aus dem Ausland für den Dschihad. John und Tania Georgelas streiten viel, er will nun in den Krieg ziehen, ihre Zweifel wachsen. "Als Muslimin hatte ich das Gefühl, helfen zu müssen. Aber ich wollte dafür nicht mit den Kindern in ein Kriegsgebiet reisen", erzählt die 34-Jährige. Doch die Macht ihres Ehemannes über sie sei groß gewesen, sehr groß.

Vier Jahre später in der Weinbar in Texas fällt es schwer, sich Georgelas in diesem früheren Leben als Dschihadisten-Ehefrau vorzustellen. Doch wer ihr länger zuhört, glaubt, das Naive, fast Kindliche in ihr zu entdecken. Sie wirkt wie eine Frau auf der Suche nach Halt und Orientierung. Vielleicht erklärt das, warum sie so empfänglich war für extremistische Ideen und warum sie bereit war, ein devotes Leben zu führen, das sich schließlich als unerträglich herausstellte. Vielleicht ist es auch nur die Fassade, hinter der sie ihre eigene Radikalisierung, ihre in Wirklichkeit gar nicht so passive Rolle verbirgt.

IS-Experte Wood jedenfalls sieht Tania Georgelas Rolle kritisch. In seinem Buch schreibt er über sie: "Tania war kein Opfer: Sie hat sich dem Dschihad verpflichtet und fast ein Jahrzehnt an Möglichkeiten verstreichen lassen, um Yahya zu verlassen und ihre Kinder woanders hinzubringen - irgendwohin - weit weg von seinen Träumen von Mord und Chaos."

Was sie schließlich doch zum Bruch mit ihrem Ehemann veranlasste? "Ich war des Nomadentums überdrüssig", sagt die 34-Jährige. Und sie habe gesehen, dass Dschihadismus in der Praxis doch nicht so romantisch war wie in der Theorie. Das Leben in einem Kriegsgebiet, die Entbehrungen, die permanente Lebensgefahr. Der radikale Islamismus bestand den Realitätscheck nicht. "Wir wohnten in verlassenen, teilweise zerbombten Häusern, wechselten alle paar Tage die Wohnung. Es gab keinen Strom, kaum Essen", erinnert sie sich an die Zeit nach der Ankunft in Syrien. Während sie sich mit ihren drei Söhnen und erneut schwanger im Inneren der jeweiligen Behausung versteckte und an einem Magen-Darm-Virus erkrankte, knüpfte John Kontakte zum IS.

Sie habe ihn angebettelt, mit ihr abzureisen. Er jedoch habe gesagt: "Wenn du weg willst, dann geh'. Ich bleibe." Es war das Ende der Beziehung. "Als er mich und die Kinder zur Grenze brachte, wusste ich, dass ich ihn nie wieder sehen würde", sagt Georgelas. Nachdem ihr vierter Sohn wenig später in Texas zur Welt kommt, reicht sie die Scheidung ein.

Nach der Trennung von Yahya al-Bahrumi nimmt Tania Georgelas ihren Schleier ab und hört auf zu beten. "Mit dem Islam will ich nichts mehr zu tun haben", sagt sie heute. Sie empfinde ihn als Religion, die den Gläubigen verbiete, frei zu denken und kritische Fragen zu stellen. Über eine Datingseite lernt sie einen neuen Freund kennen, ein Amerikaner aus Minnesota ohne jede Neigung zum Extremismus, wie sie sagt. Im Sommer kommenden Jahres wollen sie heiraten.

Vater hat ein paar schlimme Entscheidungen getroffen

Mit dem neuen Freund besucht sie nun regelmäßig eine christliche Kirche. "Ich habe die Gemeinschaft einer Kirchengemeinde vermisst, deshalb gehe ich hin", sagt Georgelas und klingt dabei fast entschuldigend. Sie arbeitet außerdem mit Non-Profit-Organisationen zusammen, die sich für Prävention und Deradikalisierung von Islamisten einsetzen. "Hier in den USA fühle ich mich endlich frei, zum ersten Mal in meinem Leben. Hier kann ich frei denken."

Was Tania Georgelas von John abgesehen von dem gemeinsamen Nachnamen bleibt, sind die vier Kinder. Deren erste Lebensjahre waren alles andere als einfach. Die älteren von ihnen haben die Familiengeschichte nach und nach verstanden. "Dass ihr Vater ein paar schlimme Entscheidungen getroffen hat, wissen sie", sagt die 34-Jährige.

Zu ihrem Ex-Ehemann hat sie heute keinen Kontakt mehr. Er soll eine neue Frau und zwei weitere Kinder haben und ist noch immer einer der meistgesuchten IS-Kämpfer. "Zurück in die USA kann er sowieso nicht, er würde sofort verhaftet werden", sagt Tania Georgelas. "John", da ist sie sich sicher, "wird in Syrien sterben."

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