Sexualisierte Gewalt:Die evangelische Kirche muss in den eigenen Abgrund blicken

Evangelische Kirche - Reformationstag in Hannover 2018

Die EKD hat nun einen Elf-Punkte-Plan zur Aufarbeitung der Taten verabschiedet, breit angelegte wissenschaftliche Studien inklusive.

(Foto: dpa)

Sie wird erforschen müssen, wo sie wie versagt hat. Und wird sich nun, nicht anders als die katholische, mit den systemischen Ursachen auseinandersetzen müssen.

Kommentar von Matthias Drobinski

Sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige geschieht nicht aus Versehen. Sie ist der tiefstmögliche Verrat am schutzbedürftigen Menschen und der tiefstmögliche Verrat am Liebesgebot der Bibel. Gut, dass Kirsten Fehrs, die Hamburger Bischöfin, in ihrem Bericht über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche das vor der Synode so offen, emotional und doch reflektiert gesagt hat. Gut, dass Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), eine klare Ansage gemacht hat: Bei Missbrauch darf es keine Toleranz geben. Die EKD hat nun einen Elf-Punkte-Plan zur Aufarbeitung der Taten verabschiedet, breit angelegte wissenschaftliche Studien inklusive. Das klingt respektabel.

Es brauchte allerdings erst den Aufschrei der Betroffenen bei einem Hearing in Berlin, bis die evangelische Kirche reagierte, erschrocken über den Zorn, der ihr entgegenschlug: Eure Ignoranz missbraucht uns ein zweites Mal. Viele Landeskirchen waren bis dahin gemütlich im Windschatten des großen katholischen Skandals gefahren, hatten die Taten des eigenen Personals als ärgerliche Einzelfälle hingestellt, Geschichten von Betroffenen kleingeredet, Täter geschützt.

Die Hast, in der jetzt ein bundesweiter Betroffenenrat gegründet wurde und mit der nun nach Forschern gesucht wird, ist auch Ausdruck eines Institutionenversagens. Die politische Dimension des Skandals hat die EKD noch immer nicht so recht erkannt - das zeigt, dass sie den mal besser und mal schlechter organisierten Landeskirchen weitgehend die Erforschung und die Aufarbeitung überlässt.

Unklare Struktur und Verantwortung in der evangelischen Kirche

Die evangelische Kirche wird sich nun, nicht anders als die katholische, mit den systemischen Ursachen der sexualisierten Gewalt auseinandersetzen müssen. Zum Teil ähneln sie sich: Pfarrer, die ihre Amtsmacht missbrauchen, gibt es in beiden Kirchen, auch Vorgesetzte, die um jeden Preis den Ruf der Kirche schützen wollen.

Es gibt aber auch Unterschiede: Wo in der katholischen Kirche die Hierarchie zum Problem wird, ist es in der evangelischen die unklare Struktur und Verantwortung. Und wo bei den Katholiken die Tabuisierung der Sexualität Tat und Vertuschung begünstigt, ist es bei den Protestanten die falsch verstandene sexuelle Libertinage. Missbrauch geschieht in der evangelischen Kirche offenbar seltener als in der katholischen; eine Ausrede, um den Blick in den eigenen Abgrund zu vermeiden, darf das nicht sein.

Auch die evangelische Kirche wird nun erforschen müssen, wo sie wie versagt hat: In Bayern ist noch jetzt ein Pfarrer in Amt und Würden, gegen den es glaubhafte Missbrauchsvorwürfe gibt. Die Kirche wird den Zorn der Betroffenen aushalten müssen, weil hier nicht einfach etwas billig ausgesöhnt werden kann; die Deutungshoheit ist ihr aus der Hand genommen.

Deshalb wäre es gut, sie würde sich nun gemeinsam mit der katholischen Kirche dafür einsetzen, dass es bald eine staatlich initiierte Studie über die sexualisierte Gewalt in allen Institutionen gibt, ob Kirchen, Schulen oder Sportvereine. Erst sie dürfte die Frage nach dem Ausmaß und den strukturellen Ursachen des Missbrauchs einigermaßen umfassend beantworten können.

In Würzburg, auf der Tagung der evangelischen Kirche, haben die Synodalen erschüttert eine Schweigeminute eingelegt. Keine Worte mehr finden: Das ist ein guter Anfang.

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