Süddeutsche Zeitung

Eurovision Song Contest:Zitterpartie in Rotterdam

Positive Corona-Tests, Delegationen, die ihre Hotels kaum verlassen dürfen, Kritik am Veranstaltungskonzept: Der Eurovision Song Contest startet eher holprig.

Von Thomas Kirchner

Der Eurovision Song Contest 2021 in Rotterdam hätte besser beginnen können. Noch vor dem offiziellen Start am vergangenen Wochenende hatte die polnische Delegation einen ersten positiven Corona-Test in ihren Reihen. Bald darauf folgten die leicht favorisierten Isländer, die im selben Hotel wohnen, und weil dort auch die ebenfalls aussichtsreichen Malteser sowie die Rumänen untergebracht sind, werden sie alle an den Halbfinals am Dienstag und Donnerstag dieser Woche vielleicht nur noch per Video-Konserve teilnehmen können. Willkommen beim ESC!

Dass die Pandemie leider doch noch nicht ganz vorbei ist, macht den Liederwettbewerb, der im vergangenen Jahr ausfallen musste, zu einem recht komplizierten, manche meinen sogar überflüssigen Spektakel. Schließlich findet er in einer aktuell besonders betroffenen Gegend statt. Die Sieben-Tage-Inzidenz in der Region Rotterdam sinkt zwar, liegt aber noch immer bei mehr als 250. Trotzdem sollen unbedingt Zuschauer in die Ahoy-Arena, immerhin nur 3500 statt der 15 000, die reinpassen würden. Alle Veranstaltungen zusammengezählt - Proben, die Halbfinals an diesem Dienstag und Donnerstag sowie das Finale am Samstag -, werden etwa 25 000 Menschen in der Halle sein.

Der Versuch, Ansteckungen zu vermeiden, führt zu enormem Aufwand. Alle 48 Stunden müssen Künstler, Personal und Journalisten im Testzentrum neben der Arena antreten. Die Delegationen dürfen ihr Hotel nur für Pressetermine und die Shows verlassen. In der Halle herrscht Abstands- und Maskenpflicht, wofür 200 000 FFP2-mondkapjes besorgt wurden. Auch die Zuschauer werden vor und nach den Veranstaltungen getestet, allerdings mit Schnelltests, deren Zuverlässigkeit von Regierungsberatern, Krankenhäusern und Laboren angezweifelt wird.

Indoor-Events dieser Art sind in den Niederlanden eigentlich noch verboten. Der ESC bekam eine Sondergenehmigung, weil er als Teil jener Öffnungsexperimente gewertet wird, mit denen eine Stiftung herausfinden will, inwieweit auch Großveranstaltungen in der Pandemie wieder möglich wären. Seit Februar wurde dies bei Kongressen, Tanz-Events oder Fußballspielen ausprobiert. Die Regierung unterstützt die "Field Lab"-Experimente mit 1,2 Milliarden Euro.

Wissenschaftler bezweifeln, dass die Versuche einen konkreten Nutzen haben werden. Das nationale Outbreak Management Team hatte jüngst empfohlen, sie vorerst auszusetzen. Eine Bürgerbewegung fordert in einer Petition, Zuschauer vom ESC fernzuhalten. Die Ankunft Tausender Künstler und ihrer Begleit-Trosse aus ganz Europa sei riskant genug. Zudem würden "verletzliche" Menschen als Zuschauer ausgeschlossen und damit diskriminiert.

Videos von jedem Beitrag - für den Notfall

Am ESC nehmen 39 Länder teil. Armenien hatte sich Anfang März zurückgezogen; Belarus wurde wegen eines Beitrags disqualifiziert, der sich nach genauerem Zuhören als Schmählied auf die Proteste gegen Diktator Lukaschenko herausgestellt hatte. Australien, das seit 2015 mitmachen darf (ein Dank an die große ESC-Fangemeinde dort), tritt wegen der Reisebeschränkungen als einziges Land von vornherein nur mit einem Video an. Deutschland geht mit dem Gute-Laune-Lied "I don't feel hate" des Hamburgers Jendrik Sigwart, 26, ins Rennen. Für den Fall einer Ansteckung haben alle Teilnehmer ihre Beiträge auf Video aufgezeichnet.

Die meisten Länder müssen sich zunächst in den Halbfinals qualifizieren. Jeweils zehn kommen ins Finale, wo sie auf Spanien, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien - die Hauptgeldgeber der European Broadcasting Union - sowie die gastgebenden Niederlande treffen.

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