Süddeutsche Zeitung

Eurovision Song Contest:Zimmer frei in Tel Aviv

Nach dem Waffenstillstand im Gaza-Konflikt findet das ESC-Finale wie geplant am 18. Mai statt. Die Hotels in Tel Aviv sind nur zu 75 Prozent ausgelastet, doch die Tourismusbranche hofft eher auf einen langfristigen Effekt.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Einige Teilnehmer beim Eurovision Song Contest (ESC) reisten zu einem Zeitpunkt an, als noch die Raketen auf israelisches Gebiet flogen. 690 Geschosse waren es insgesamt, abgefeuert von militanten Palästinensern aus dem Gazastreifen. Trotz des Gewaltausbruchs und der Drohung militanter Palästinenser, mit Raketen auch den Austragungsort Tel Aviv zu beschießen, hat bislang noch keine der 41 offiziellen Delegationen abgesagt. Nach dem am Montagfrüh erreichten Waffenstillstand wird der Wettbewerb wie geplant stattfinden, das Finale ist am 18. Mai.

Das deutsche Team reiste am Mittwoch an, am Freitag stehen die ersten Proben für das Duo S!sters an, das beim ESC für Deutschland ins Rennen gehen wird. Man habe vollstes Vertrauen, dass die ESC-Verantwortlichen die Sicherheitslage in Zusammenarbeit mit den israelischen Behörden umfassend im Blick haben und sie jederzeit richtig einschätzen können, sagt eine Sprecherin des NDR, der in Deutschland für den Wettbewerb zuständig ist.

"Es ist schon etwas anderes als nach Lissabon zu fahren wie voriges Jahr", sagt der Deutsche Sascha Gottschalk, der seit einigen Jahren mit einem Kollegen einen Fan-Podcast zum ESC betreibt und vor ein paar Tagen in Tel Aviv ankam. In die große Halle, wo die Liveshow produziert wird, durften sie noch nicht, aber sie konnten einige der Proben vom Pressezentrum aus am Bildschirm verfolgen. Die strengen Sicherheitsvorkehrungen seien spürbar, und es sei befremdlich, schon am Flughafen genauestes nach der Reiseroute befragt zu werden. Das freilich ist Routine bei jedem Flug nach Israel, auch in Friedenszeiten.

Seit 1956 gibt es den ESC. Noch nie musste er abgesagt werden, und noch nie war es nötig, den Austragungsort kurzfristig zu ändern. Auch größere Gruppen hätten nicht storniert, heißt es bei der Hoteliersvereinigung in Israel. Der Waffenstillstand sei zum Glück relativ rasch erzielt worden, sonst wären sicher Anfragen gekommen, heißt es. Gleichzeitig räumen die Hoteliers ein, dass die Buchungslage bei Weitem nicht so gut ist wie erwartet. "Die Anzahl der Touristen, die angeblich kommen wollten, geriet außer Kontrolle", sagte Yossi Fattal, Chef der Vereinigung der israelischen Reiseveranstalter, der Zeitung Haaretz. Mit mehreren Zehntausend Menschen wurde gerechnet. Fattal geht davon aus, dass weniger als 10 000 extra für den Songcontest nach Tel Aviv reisen. Oded Grofman, Direktor der Tel Aviv Hotel Association, erwartet sogar nur 5000 bis 7000 zusätzliche Gäste. Angesichts von 400 000 Touristen, die Israel im Mai besuchen, machten die ESC-Fans keinen großen Unterschied, findet Fattal. "Die Situation ist nicht dramatisch, und es ist auch nicht erforderlich, Zeltstädte zu errichten."

Das ist eine Spitze gegen die Stadt Tel Aviv, die wegen der angeblich knappen Bettenkapazität am Strand ein Eurovisions-Dorf aufbaut. Die Zeltstadt war auch eine Antwort auf Klagen potenzieller Besucher über die saftigen Übernachtungspreise während der heißen Eurovisionsphase zwischen 13. und 19. Mai. Tatsächlich waren Frühbuchern für die sechs Übernachtungen bis zu 5000 Euro abgeknöpft worden, derzeit wird nur noch ein Drittel der Summe verlangt, denn die Hotels sind nur zu 75 Prozent ausgelastet. Dass die Nachfrage geringer ist, zeigt sich auch am schleppenden Ticketverkauf. Karten für das Finale am 18. Mai verkaufen sich auch in den höchsten Preiskategorien gut, aber jene für das Halbfinale sind keine Kassenschlager. Am Sonntag kündigte der TV-Sender Kan an, dass der Verkauf von bis zu 380 Euro teuren VIP-Tickets für das Halbfinale mangels Nachfrage eingestellt werde. Wer schon eine Karte gekauft hat, kann sie zurückgeben. Inzwischen sind gute Plätze schon für etwa 50 Euro zu haben.

Die Stadt hat sich auch mit ultraorthodoxen Juden angelegt, die verlangt hatten, dass der ESC am Schabbat nicht stattfinden darf. Ausnahmsweise gibt es an diesem Ruhetag öffentlichen Nahverkehr, sonst wird zwischen Sonnenuntergang am Freitag und jenem am Samstag der Betrieb eingestellt. 50 Shuttle-Busse, die noch dazu gratis sind, sollen unter anderem das Eurovisions-Dorf und den Veranstaltungsort auf dem Messegelände verbinden.

Für die Tourismusbranche ist ohnehin zweitrangig, wie viele Besucher anreisen. Sie hofft auf den langfristigen Werbeeffekt für das Land, schließlich haben im Vorjahr 186 Millionen Zuschauer weltweit zugesehen. "Wichtig ist, dass der Songcontest stattfindet und nicht wegen der Sicherheitslage abgesagt wird", sagt Fattal. Podcast-Betreiber und ESC-Fan Sascha Gottschalk hat noch einen anderen Gedanken: "Der Songcontest ist eine der letzten europäischen Ideen, die noch Begeisterung schaffen. Wäre schade, wenn diese Idee ausgerechnet jetzt Schaden nähme."

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SZ vom 08.05.2019
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