Erziehung:Mama, weinst du?

Global Summit To End Sexual Violence In Conflict

"Hundekot aufsammeln, Geschirr spülen, Gutenachtgeschichten vorlesen." Angelina Jolie über ihre neue Rolle als alleinerziehende Mutter.

(Foto: Eamonn M. McCormack/Getty Images)

Schauspielerin Angelina Jolie kocht, spült und putzt nach eigenen Angaben seit der Trennung von Brad Pitt. Aber Tränen vor den Augen ihrer sechs Kindern lässt sie niemals zu. Ist das richtig?

Von Laura Hertreiter und Hannes vollmuth

Sie wolle jetzt Hausfrau sein, sagt sie, und wenn das wirklich stimmt, dann ist das doch bemerkenswert: Immerhin geht es hier um Angelina Jolie, Hollywood-Schauspielerin, Regisseurin, Produzentin, Drehbuchautorin, Sondergesandte des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge und Selbstvermarkterin. Vor einem Jahr hat sie die Scheidung eingereicht, seitdem zieht sie die sechs Kinder mehr oder weniger alleine groß; gerade in solchen Situationen machen Menschen ja die verrücktesten Dinge. Seit neun Monaten versuche sie schon, "eine richtig gute Hausfrau zu sein, Hundehaufen aufzusammeln, Geschirr zu spülen und Gutenachtgeschichten vorzulesen", sagt Jolie in der aktuellen Vanity Fair, sie decke morgens den Frühstückstisch für die drei Söhne und drei Töchter im Alter zwischen neun und 15 Jahren, und sie nehme Kochkurse. So weit, so spannend. Es ist Jolies erstes Interview, in dem sie über die Trennung von Brad Pitt spricht, weshalb es etwas mehr Aufmerksamkeit erregt als gewöhnliche Promi-Zitatesammlungen, das zum einen. Zum anderen wegen dieses Satzes: Sie halte ihre Gefühle streng zurück, sagt Jolie, "ich denke, es ist sehr wichtig, in der Dusche zu weinen und nicht vor ihnen, ich will nicht, dass sie sich um mich Sorgen machen".

An dieser Stelle sei angemerkt, dass Mutter Jolie derzeit auf Werbetour für ihren fünften Film über Völkermord in Kambodscha ist. Dennoch hat sie mit ihren privaten Themen immer wieder auch gesellschaftliche Debatten angestoßen. Als sie sich wegen ihres Risikos, an Brustkrebs zu erkranken, vor einigen Jahren Brüste und Eierstöcke entfernen ließ und das Tabu in der Öffentlichkeit niedererzählte, war das Thema wochenlang weit oben auf der Agenda. Auch diesmal trifft sie mit ihrer Empfehlung zum Weinen in der Dusche ein Thema mitten aus der Gesellschaft, eines, das Ratgeberregale und Onlineforen zu den Schlagworten "Glückliche Scheidungsfamilien" und "Weinen vor Kindern" füllt. Und jetzt natürlich bereits zu regen Debatten in den sozialen Medien führt.

Immerhin standen Jolie, 42, und Pitt, 53, einmal für eine der berühmtesten Liebesgeschichten, die Hollywood jenseits der Leinwand zustande gebracht hat, zwölf Jahre lang, bis Jolie im September die Scheidung einreichte. "Aus für Brangelina"-Schlagzeilen gingen um die Welt, die nachfolgenden Ereignisse beschäftigten den Boulevard wochenlang: Sie warf ihm vor, er habe einen Sohn während eines Fluges geschlagen, zwischenzeitlich ermittelte das FBI wegen Kindesmisshandlung. Seit Sommer sei es mit der Beziehung bergab gegangen, berichtet Jolie nun. Wegen Bluthochdrucks habe sie an einer halbseitigen Gesichtslähmung gelitten, die sie erfolgreich mit Akupunktur bekämpft habe. Seither macht sie also auf happy Hausfrau. Aber: Tischlein decken, abspülen, in der Dusche heulen - ist das der Weg für Familien aus der Scheidungskrise? In ihrem Ratgeber "Scheidung. Wie helfe ich unserem Kind?"

Die Dusche ist die perfekte Kulisse zum Heulen. Da sind Innen- und Außenwelt perfekt synchron

schrieben Elissa P. Benedek und Catherine F. Brown noch 1995: "Kinder können sehr entsetzt reagieren, wenn sie einen ihrer Eltern weinen sehen." Aber wie das so ist in Erziehungsfragen: Was im einen Jahrzehnt noch als tödlich gilt, ist im nächsten schon Allheilmittel. Ruft man also 22 Jahre später bei Helmut Remschmidt an, Kinder- und Jugendpsychiater an der Universität Marburg, sagt er: "Kinder müssen Emotionen bei ihren Eltern erleben, alles anderes wäre verheerend." Vielleicht sei das Scheidungskind ja ebenfalls traurig. "Das ist doch ein ganz normales Gefühl." Er warnt sogar davor, dass Eltern in einer Scheidungssituation nicht weinen, sollte ihnen danach zumute sein. "Das Unterdrücken von Emotionen verzögert immer eine Entwicklung, und das ist natürlich nicht gut."

Klar können sich Elterntränen tief in die Erinnerung eingraben. Das passiert aber vor allem in Familien, in denen Gefühle nicht offen verhandelt werden. Am gesündesten sei es, wenn eine Familie auch jenseits der Krisen Tränen zulasse, sagt Remschmidt. Dann ist der Schreck nicht ganz so groß, wenn Papa heult. Und es kommt demnach auch immer darauf an, was auf das Gefühlsgewitter folgt: kaltes Schweigen, das die Scheidung ins Bedrohlichere verzerrt - oder ein Gespräch, in dem die Eltern erklären, warum sie traurig sind. Und warum das Leben trotzdem weitergeht.

Elternsein ist auch eine Rolle, die man spielen muss und darf, weshalb jedes Familienleben im Grunde ein mehr oder weniger gelungenes Schauspiel ist. Dazu gehört zum Beispiel, dass Eltern Titanen sein müssen, unerschütterlich und von stoischer Ruhe. Aber was steht auf dem Spiel, wenn der Heulanfall von Mama diese kindliche Illusion zerbröseln lässt wie eine Sandburg in der Sonne? "Im Normalfall verstehen das die Kinder, wenn man es ihnen erklärt", sagt Remschmidt.

Angelina Jolie sieht es offenbar anders, und zu ihrer Verteidigung muss man sagen: Sie ist als Schauspielerin an große Szenen wie das Weinen in der Dusche gewöhnt. Oft, wenn es in Film und Fernsehen dramatisch wird, flennt jemand unter der Dusche: Innen und Außen sind dann synchron. Im Netz finden sich gar eigene Dusch-Heul-Playlists, und ein Blog meldet emomäßig: "Die traurigste Art vom Traurigsein ist: Unter der Dusche zu weinen, sodass niemand mitbekommt, wie du dich wirklich fühlst." Innerhalb von Familien aber ist das laut Experten eher der falsche Weg, zumindest Stand 2017.

Ob und wo Scheidungsvater Brad Pitt auch mal eine Träne verdrückt hat, ist bislang nicht überliefert. Der GQ sagte er: "Ich habe viel gesoffen." Und die Kinder? Können jetzt schon alles nachlesen.

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