Erster vegetarischer Metzger der Schweiz:Vom "Grasfresser" zum Trendsetter

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Wer schon einmal Fleischimitate im Supermarkt gekauft hat, weiß: Viele sehen eklig aus und schmecken auch so ...

Rolf Hiltl Vegetarische Metzgerei

Rolf Hiltl, 48, ist gelernter Koch und hat früher selbst in einer Metzgerei gearbeitet.

(Foto: HiltlAG)

Unser hausgemachtes Cordon Bleu sieht wirklich schön aus. Was wir nicht hinkriegen und wahrscheinlich nie hinbekommen werden, ist ein Kalbskotelett am Knochen. Aber sobald man Fleisch hackt, also ein Tatar, eine Wurst, einen Hamburger herstellt, sieht man die Struktur des Fleisches doch sowieso nicht mehr.

Wer kauft bei Ihnen ein?

In unser vegetarisches Restaurant kommt die Großmutter mit ihrem Enkel genauso wie der Bankangestellte, der Szenegänger oder Frauen nach dem Shoppen. Das Publikum in unserer vegetarischen Metzgerei ist ähnlich. Das sind vor allem Einheimische, die bei uns ihren Sonntagsbraten kaufen - ohne Fleisch natürlich. 90 Prozent unserer Gäste sind aber Teilzeit-Vegetarier, also Menschen, die zwischendurch durchaus mal ein Stück Fleisch essen.

Das Hiltl steht im Guinness-Buch der Rekorde als ältestes vegetarisches Restaurant der Welt. Wie hat sich die Szene verändert?

Ursprünglich hieß das Restaurant Vegetarierheim und Abstinenzcafé. Es gibt uns seit 115 Jahren und ich kenne die Geschichten von meinem Urgroßvater und meiner Großmutter. Damals gingen die Gäste zum Hintereingang rein. Die Gäste galten als "Grasfresser", unser Restaurant war als "Wurzelbunker" verpönt. Heute ist vegetarisch hip. Das hat sicher viel zu tun mit den Fleischskandalen. Ich erinnere mich, als der BSE-Skandal publik wurde. An diesem Mittag musste ich wegen des großen Andrangs alle Türen zumachen. Inzwischen haben sich diese Skandale auf hohem Niveau eingependelt und die Menschen ernähren sich gesünder und bewusster.

Aber muss man deshalb gleich Vegetarier werden?

Ich bin nicht der Meinung, dass die Welt vegetarisch werden muss. Ich esse selbst ab und zu Fleisch. Aber wir brauchen Veränderungen, wir essen zu viel Fleisch. Das ist nicht gesund und eine Katastrophe für die Tiere. Sie werden überzüchtet und auch die grausamen Bilder von Tiertransporten hat man inzwischen oft genug gesehen. Zum Glück haben viele Leute genug davon, insbesondere junge Menschen. Neuerdings beobachte ich vor allem bei Männern um die 20, dass sie sehr wenig Fleisch essen - einfach, weil sie es cool finden.

Trotzdem hat man das Gefühl, dass immer noch eine Art Kulturkampf zwischen Fleischfressern und Vegetariern herrscht ...

Das stimmt. An vorderster Front kämpfen derzeit gewisse Veganer. Natürlich gibt es in diesem Bereich auch Extremisten. Ich finde das sehr schade, ich habe immer versucht zu vermitteln. Wir sind keine Missionare, wir wollen die Gäste nicht bekehren, sondern begeistern. Deshalb bin ich gegen Vorschriften, die den Fleischkonsum verbieten oder einschränken. Man muss das von der anderen Seite lösen. Wir hatten neulich einen Metzger zu Gast. Er hat gesagt: Wenn das immer so lecker ist, könnte sogar er sich vorstellen, Vegetarier zu werden.

Sie glauben also an die Zukunft der vegetarischen Metzgerei?

In Holland gibt es bereits einige. Bei uns ist das eher zufällig entstanden: Neben dem Restaurant ist eine Fläche frei geworden, da haben wir beschlossen, einen Laden aufzumachen, unter anderem mit vegetarischem Fleisch. Die Zürcher haben extrem emotional reagiert - von begeistert bis verärgert. Wie gut die Metzgerei läuft, hat mich dann aber trotzdem überrascht. Wir verkaufen ja auch noch andere Dinge dort - unsere Chutney's, Gewürze, Saucen, Fruchtsäfte. Aber die Metzgerprodukte laufen am besten.

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