Erotischer Gottesdienst in Mainz-Kastel:Anfassen erwünscht

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"Willkommen im Weinberg der Liebe": Der Pfarrer Schmidt will in Mainz-Kastel einen Gottesdienst halten, in dem die "Erotik des Lebens" gefeiert wird. Und schon strömen sie herbei. Die Schäfchen und die Journalisten.

Marc Widmann, Mainz-Kastel

Was für eine Welt. Da kündigt ein Pfarrer an, er werde einen erotischen Gottesdienst halten, sogar die Wörter Ficken und Poppen verwenden, Gott bewahre, und schon strömen sie herbei. Die Schäfchen und die Journalisten.

Der fröhliche Weinberg: Im erotischen Gottesdienst schwenkt die Seniorengruppe Tücher, Pfarrer Schmidt freut sich über volle Bänke. (Foto: Mario Vedder/dapd)

Proppenvoll ist die evangelische Erlöserkirche in Mainz-Kastel am Sonntagvormittag um zehn. Sogar auf der Empore sitzen sie, das gab es schon lange nicht mehr. Und während die Besucher hereinströmen, noch recht unerotisiert, da streut eine ältere Dame einige Hände voll Rosenblätter von der Empore. So sinnlich geht's los; klar, dass sofort die Kameraleute aufspringen und losfilmen. Im Kirchenflur zicken sich zwei Fotografen an, weil sie sich gegenseitig die Sicht versperren auf dieses epochale Bild. Rosenblätter in der Kirche, das muss man sich mal vorstellen!

"Wir feiern die Erotik des Lebens"

Dann tritt der Mann auf, der diesen ganzen Trubel angerichtet hat, Pfarrer Ralf Schmidt. Der 47-Jährige sieht jünger aus, ist mit einem Mann verpartnert, wie er berichtet, und hält mit Vorliebe etwas andere Gottesdienste. Kürzlich war er aushilfsweise in Garmisch, da ist er mit seiner Gemeinde am liebsten zum Gipfelkreuz gewandert und hat den Herrn dort oben gepriesen. Jetzt, in Mainz-Kastel, ertönt erstmal die Orgel und eine Frau singt: "All my loving" von den Beatles.

"Willkommen im Weinberg der Liebe", sagt Pfarrer Schmidt, so hat er seinen erotischen Gottesdienst getauft. "Wir feiern die Erotik des Lebens." Doch bevor es losgeht mit dem Tabubruch, führt die Seniorentanzgruppe einen meditativen Tanz auf. Die Damen fassen sich an den Händen, den Pfarrer auch, dann tänzeln sie langsam um den Altar. Am Ende halten sie bunte Tücher in die Luft. Gut, dass die Kameraleute und Fotografen alles festhalten.

Tags zuvor, als sein Telefon pausenlos klingelte, als ihn Journalisten befragten und Konservative ihre Empörung übermittelten, da erzählte Pfarrer Schmidt, dass er eigentlich einen Gottesdienst über die Liebe halten wollte. Ursprünglich. Er ist auch Religionslehrer, er fragte seine Schüler in der 9. Klasse einer Gesamtschule, was ihnen dazu einfalle. Langweilig, sagten sie, hundertmal gehört. Sie sprachen vom Ficken und vom Poppen, sie wollten wissen, ob in der Bibel auch etwas Erotisches stehe. Da beschloss Pfarrer Schmidt, mal wieder einen etwas anderen Gottesdienst zu machen. Zur Sicherheit verkündete er in der Woche davor, Einlass sei erst ab 16 Jahren. Da hatten die Konfirmanden frei - und Schmidt plötzlich viel zu erklären.

Die Predigt. Bevor sie losgeht, müssen sich auch die Besucher an den Händen fassen und mittanzen. Es ist ein behäbiges Schunkeln, ein Schritt links, einer rechts, nichts prickelndes, aber manche der älteren Frauen im Saal lächeln danach beseelt. Kann es sein, dass ihnen Berührung fehlt im Leben? Und darf man über so etwas überhaupt nachdenken? In einer Kirche?

Pfarrer Schmidt steht jetzt oben auf der simplen Kanzel, alles hier ist Beton und Backstein, irgendwie kühl, er legt los. Die Lust kommt nicht vom Teufel, schickt er gleich mal vorneweg, Gott habe sie uns eingepflanzt. Und dann, oh mein Gott, dann sagt er tatsächlich: "Mein Hintern, meine Hände, meine Zunge, mein Penis, meine Ohrläppchen sind Landeplätze der Lust. Genießen wir es auf diese Weise, in Gottes Lustgarten zu leben, wenn wir schon kein Paradies mehr haben". Kein Blitz fährt hernieder, kein Gekicher entweiht das Gotteshaus, die Gemeinde hört gebannt zu, während der Pfarrer ausführt, dass bei manchen Menschen die Gebete genauso sandtrocken sind wie ihr Liebesleben. Sie hören ihm zu, so konzentriert wie lange nicht mehr, sagt der Pfarrer später.

In seiner Predigt taucht jetzt eine frühere schwäbische Fernsehsendung auf, "Oh Gott, Herr Pfarrer". In einer Szene eilte der Gottesmann direkt vom Sex mit seiner Frau zur Trauerfeier auf den Friedhof, und fand doch leidenschaftliche Worte. "Vielleicht", sagt Pfarrer Schmidt, "sollten wir Prediger und Predigerinnen öfter mit unseren Liebsten ins Bett gehen, damit unsere Worte lebendiger, kräftiger und schärfer sind." Auch hier japst niemand, keiner stürmt davon. Die bibelfeste Katholikin mit strenger Frisur auf dem Nebensitz, die seit langem mal wieder bei den Protestanten ist, sagt: "Das täte den Katholischen vielleicht auch mal gut." Und lacht.

In der kleinen Kirche von Mainz-Kastel konnte man am Sonntag also weniger über die Erotik erfahren als über den Zustand der Kirche. Über eine Gesellschaft, in der ein Pfarrer, der das Wort Penis ausspricht, schon eine Sensation ist, zumindest für die Medien. Pfarrer Schmidt sagt, er habe auch eine Diskussion anstoßen wollen in der Kirche für mehr Lockerheit, für eine geheiligte Sexualität. Aber nach seinen jetzigen Erlebnissen glaubt er: "Die Kollegen werden aus Furcht vor dem Medienrummel jetzt wohl erst mal einen Bogen um das Thema machen." Es hat ihn geärgert, wie die Fotografen sogar beim Abendmahl noch weiterknipsten.

Die Passage mit dem Ficken und Poppen übrigens hat Schmidt am Morgen noch aus seiner Predigt gestrichen, ganz spontan. Er wolle nicht, dass am Ende nur das hängen bleibe, sagt er. Stattdessen, als er hinauslief, regnete es noch einmal Rosenblätter.

© SZ vom 03.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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