Süddeutsche Zeitung

Ermittlungen im Enthüllungsskandal:Rabennest im Vatikan

Papst Benedikt XVI. hat sich wohl in seinem Kammerdiener getäuscht - und nicht nur in ihm. Bis zu 20 "Raben" sollen in den Skandal um die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente verstrickt sein. Und immer wieder rückt ein Mann in den Fokus: die umstrittene Nummer Zwei im Vatikan.

Andrea Bachstein, Rom

Der Verräter hat dem Papst das Essen gebracht, er hat ihm das Bett gemacht und beim Ankleiden geholfen. Näher als der Kammerdiener Paolo Gabriele konnte Benedikt XVI. kaum jemand kommen. Nun sitzt "Paoletto" seit Mittwoch in der Arrestzelle der Vatikanischen Gendarmerie, er wird beschuldigt, jener "Rabe" zu sein, der seit Monaten streng vertrauliche Dokumente an Medien gegeben hat. Aber dass nur der Butler der Bösewicht sein soll, wie in einem Krimi alter Schule - das erschien sofort unglaubhaft.

Paolo Gabriele, 46, war ein geschätztes Mitglied des kleinen päpstlichen Haushalts und diente schon Johannes Paul II. Ein schlanker Mann, immer wie aus dem Ei gepellt. Man konnte den Majordomus als Begleiter von Benedikt im Papamobil sehen; wenn der Papst im Ausland mit dem Flugzeug landete, war Gabriele einer der wenigen Laien im direkten Gefolge, trug Köfferchen mit den persönlichsten Dingen des Papstes übers Rollfeld. Der Vater von drei Kindern gilt als besonders ergeben und, vor allem, als zu schlichtes Gemüt, um die Zentralfigur eines solchen Komplotts zu sein.

Auch der Umstand, dass Papiere, die er nicht besitzen durfte, sowie Gerät zu ihrer Vervielfältigung in Paolettos Wohnung in der Vatikanstadt gefunden wurden, spricht nicht für besondere Raffinesse. Eher dafür, dass er benutzt worden ist, dass sich hinter den Mauern des Vatikan ein Abgrund an Intrige und Verrat auftut. Die zuvor nie dagewesenen Indiskretionen, die es seit Anfang des Jahres gab, hatten sich schnell deuten lassen als Signale eines erbitterten Machtkampfs im Staatssekretariat, der Regierung des Kirchenstaats.

Denn allein der Umstand, dass überhaupt Unterlagen aus dem Machtzentrum der katholischen Kirche öffentlich wurden, konnte als Angriff verstanden werden: auf den zweiten Mann des Vatikans, Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, 77, der früher Joseph Ratzingers Sekretär in der Glaubenskongregation gewesen war. Kritik an ihm gibt es seit Langem, in der Kurie und unter Kardinälen im Ausland. Unter anderem wird ihm die Verantwortung für die verheerende Handhabung des Falls der erzkonservativen Piusbruderschaft gegeben. Die Botschaft hinter den Botschaften war: Der Mann hat seinen Laden nicht im Griff.

Durch das Leck drangen Hinweise auf Misswirtschaft und Korruption in der Vatikanischen Verwaltung, Informationen über die Vatikanbank und auch ein eher absurder Brief über angebliche Mordpläne gegen den Papst. Wie viel vertrauliche Papiere und Korrespondenz des Papstes, seines Sekretärs Georg Gänswein und Stellen der Kirchenregierung weitergegeben wurden, ist spätestens seit zehn Tagen klar. Da erschien ein Buch des Journalisten und Autors Gianluigi Nuzzi auf Basis einer Fülle solcher Dokumente. Nuzzi hat offenbar eine unbekannte Quelle tief im Vatikan aufgetan, die er nur als "Maria" bezeichnet.

"Frauen und Männer, Geistliche und Laien" unter Verschwörern

Für den Umstand, dass nicht Paoletto allein "Maria" oder "Rabe" gewesen sein kann, gibt es jetzt überdeutliche Hinweise. Die Gendarmen des Papstes haben drei Geistliche vernommen und sollen inzwischen annehmen, dass es um die 20 "Verschwörer" gibt. Vatikan-Sprecher Federico Lombardi sagte am Montag, es sei kein Kardinal unter den Verdächtigen. Just das aber behaupten Leute, die dem Kreis der "Verschwörer" angehören wollen.

Italienische Zeitungen haben am Montag Gespräche mit mindestens einem von ihnen veröffentlicht, unter völliger Anonymität versteht sich. "Es gibt Kardinäle, ihre Sekretäre, Monsignori und kleine Fische. Frauen und Männer, Geistliche und Laien", zitiert La Repubblica einen, der ein "Rabe" sein will. Sie handelten im Interesse von Papst Benedikt und wollten sichtbar machen, zu welchen Verderbnissen es unter dem Regime von Kardinal Bertone gekommen sei.

Der Rabe nennt den Fall von Monsignore Carlo Maria Viganò. Viganò war Chef des Governorats, eine Art Regierungschef der Vatikanstadt. Ein angesehener Mann, der große Erfolge bei der Haushaltsführung vorweisen kann und aufräumen wollte mit Vetternwirtschaft und Geldverschwendung, ohne Ansehen von Personen.

Das soll Bertone und einigen seiner Getreuen nicht recht gewesen sein. Viganò soll verleumdet und wegen "Unregelmäßigkeiten" versetzt worden sein. Auf einen ehrenvollen, wichtigen Posten, er ist seit Oktober Nuntius in den USA. Auf einem Posten, von wo aus er nicht stören kann. Aber Viganò ließ die Sache nicht auf sich beruhen, er beschwerte sich schriftlich beim Papst und hielt fest, was nach seiner Ansicht falsch läuft. Just seine Beschwerden waren unter den ersten Dokumenten, die Medien zugespielt worden sind.

Der jüngste Fall, bei dem Bertone eine wichtige, ihm lästige Figur aus dem Weg geräumt hat, geschah erst am Freitag. Da wurde dem Chef der Vatikanbank, Ettore Gotti Tedeschi das Misstrauen erklärt, er wurde zum Rücktritt gedrängt. Ein beispielloser Vorgang. Gotti Tedeschi schweigt, aber das Protokoll mit der Misstrauenserklärung landete beim Corriere della Sera. Ihm wird darin vorgeworfen, nicht vertrauenswürdig zu sein, Informationen weitergeleitet zu haben, sowie "seltsames Verhalten".

Nach allem, was bekannt ist, ging es Bertone zu weit, wie Gotti Tedeschi die Anforderung an Transparenz für die Aktivitäten der Bank erfüllen wollte. Die Bank, die große Skandale hinter sich hat, weil sie für Geldwäsche benutzt wurde, soll nach dem Willen des Papstes auf die "White List", dem Verzeichnis jener Banken, die sich zu einem Verhaltenskodex verpflichten.

Unbehagen an Bertone gibt es, seit Benedikt ihn 2006 als Kardinalstaatssekretär berufen hatte. Er brachte keine Erfahrung mit Diplomatie und Politik mit, und wie es aussieht, hat er auch wenig Talent dafür. Als Bertone 75 Jahre alt wurde und damit das vatikanische Pensionsalter erreichte, gab es offenbar einen Versuch mehrerer Kardinäle, den Papst zu überzeugen, Bertone in Rente zu schicken. Der Papst lehnte ab.

"Der Sturm schüttelt das Haus Gottes", sagte Benedikt am Pfingstsamstag, "aber das Haus auf dem Fels fällt nicht." Doch zumindest im Staatssekretariat ist einiges im Wanken. Die Vorwürfe gegen den Vatikanbanker kann der Diener übrigens nicht durchgestochen haben. Als das Protokoll verfasst wurde, saß der Mann schon im Arrest.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1368531
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.05.2012/leja
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.