Süddeutsche Zeitung

Ermittler finden Tatwaffe der Döner-Morde:Bombenbauer, Mörder, Rechtsextremisten

Spektakulärer Durchbruch nach Jahren vergeblicher Ermittlungsarbeit: Der Mord an einer Polizistin aus Heilbronn und die Döner-Morde, eine aufsehenerregende Tötungsserie an Migranten, könnten offenbar von ein und der gleichen Verbrechergruppe verübt worden sein. Das bislang rätselhafte Motiv scheint nun klar: Die Täter handelten aus rassistischen Beweggründen.

Roman Deininger, Susanne Höll und Joachim Käppner

Zwei der mysteriösesten Verbrechen der jüngsten deutschen Kriminalgeschichte gehen möglicherweise auf das Konto einer rechtsextremen Verbrechergruppe. Nach Erkenntnissen der deutschen Sicherheitsbehörden sind die rechtsextremen mutmaßlichen Mörder einer Heilbronner Polizistin auch für die bislang rätselhaften sogenannten "Döner-Morde" verantwortlich, bei denen in den Jahren 2000 bis 2006 acht Türken und ein Grieche ermordet worden waren.

Die Generalbundesanwaltschaft teilte mit, dass die Pistole, mit der die Opfer erschossen worden waren, im Umfeld des Trios gefunden wurde, das auch des Mordes an der Polizistin verdächtigt wird. "Es liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Mordtaten einer rechtsextremistischen Gruppierung zuzurechnen sind", teilte die Generalbundesanwaltschaft mit und übernahm zugleich die Ermittlungen in beiden Fällen.

Nach Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden hatten die beiden in Eisenach in einem Wohnmobil tot aufgefundenen Männer wie auch deren inzwischen verhaftete Gefährtin Beate Z. bereits vor zehn Jahren Verbindungen zu rechtsextremistischen Kreisen. So habe man bei der Durchsuchung der in die Luft gesprengten Zwickauer Wohnung von Z. auch Beweismaterial gefunden, das auf eine rechtsextremistische Motivation der Mordtaten hindeute.

Gegen die inhaftierte Z. wird inzwischen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie Mordverdachts ermittelt. Sie wird außerdem im Zusammenhang mit der Explosion der Wohnung der Brandstiftung beschuldigt. Die Sicherheitsbehörden schließen zudem nicht aus, dass weitere Rechtsextremisten in die bundesweite Mordserie verstrickt sind.

Die unheimliche Mord-Serie beginnt am 9. September 2000 und wird Muster für mindestens acht weitere Morde. Es ist heller Tag, an einer großen Kreuzung bei Nürnberg verkauft Enver Simsek Blumen aus seinem Transporter heraus. Dann taucht der Mann mit der Ceska 83 auf. Er hat der tschechischen Pistole einen Schalldämpfer aufgesetzt und trägt die Waffe in einer Plastiktüte, richtet sie auf Simsek und feuert.

Blutspur durch Deutschland

Weitere Menschen sterben: Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Yunus Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik und Halit Yozgat. Acht Türken, ein Grieche. Betreiber von Nähshops, Buden, Döner-Ständen. Es sind eher kleine Leute mit bescheidenem Einkommen, der eine oder andere hat Verbindungen ins kriminelle Milieu, die Mehrheit nicht. Diese neun Männer sterben zwischen September 2000 und dem 6. April 2006. Geschossen wird immer mit der Ceska 83. Die Tatorte liegen quer durch Deutschland verstreut. Kassel, Dortmund, Rostock, Hamburg, München, mehrmals Nürnberg.

Die Kripo lässt eine gewaltige Fahndungsmaschinerie anlaufen. Sie tut, was die Polizei in solchen Fällen zuerst tut: Sie sucht Verbindungen zwischen den Opfern. Doch es gibt sie nicht, oder fast nicht. Die Sonderkommission in Nürnberg untersucht Tausende Hinweise, wertet Zehntausende Daten aus. Und bis zum gestrigen Freitag haben viele Kriminalpolizisten, auch beim Bundeskriminalamt, noch immer angenommen, hinter den Taten stecke die Organisierte Kriminalität, eine unheimliche, nicht zu fassende, extrem professionell arbeitende, den Fahndern ganz unbekannte türkische Organisation vielleicht. Heroinhandel, islamische Terrorszene, Schutzgeld, Bandenkrieg - alles blieb denkbar. Wir hatten, sagt ein Fahnder, "keine heiße Spur. Nur unendlich viele Daten, aber nicht den Code, um sie zu knacken."

Erst 2006, im Jahr des letzten Mordes der Serie, kam ein neuer Ansatz, und wie sich jetzt herausstellte, der richtige. Wolfgang Geier, damals Soko-Leiter, bat die Kriminalpsychologen, die "Profiler" der Münchner Polizei um Mithilfe. Ihr Chef ist Alexander Horn, ein jungenhaft wirkender Polizist, schon damals mit 33 Jahren einer der Stars seiner Branche. Viele alte Haudegen der Kripo verfolgten seine Überlegungen, um es mild zu sagen, mit Erstaunen. Manche hielten sie einfach für modisches Psychogeschwätz. Geier tat das nicht. Die Profiler hatten ihn überzeugt. Vielleicht, sagte Horn, finden wir keine Verbindungen zwischen den Opfern, weil es schlicht keine gibt. Vielleicht sagt uns ihr Umfeld so wenig, weil es gar nichts zu sagen hat. Vielleicht gibt es gar keine geheimnisvolle Mörderorganisation.

Das "Vielleicht" ist die Waffe der Fallanalytiker: die Hypothese. Horns Hypothese lautete: Der oder die Mörder waren Einzeltäter. Sie suchen ihre Opfer willkürlich aus. Manche von ihnen waren damals schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort. Der Mörder konnte in mindestens einem Fall gar nicht wissen, ob dieser oder jener Dönerverkäufer im Laden stehen würde. Der Mörder tötete am helllichten Tag, wie um ein Zeichen zu setzen. Ein Profikiller hätte das Risiko so klein wie möglich gehalten, die Nacht gewählt. Horn und seine Leute gingen von einem "Zerstörungsmotiv" aus. Von jemandem, der Türken hasst - und den einzigen Griechen für einen hielt.

Für Rechtsextremisten gab es zwar keine Anhaltspunkte, die Profiler hielten dies aber für durchaus möglich. Und sie haben offenbar recht behalten. Vielleicht, sagt ein Kommissar, der seit langem auf der Spur der Döner-Mörder ist, hat ihre Analyse ab 2006 sogar weitere Morde nach demselben Muster verhindert, weil die Täter vorsichtiger geworden sind. Man kann es nicht wissen. Erst Anfang November 2011 wurde ein türkischer Imbissbudenbesitzer im sächsischen Döbeln von Unbekannten erschossen. Die Tatwaffe wurde im Fluss Mulde gefunden. Um welches Modell es sich handelt, ist unbekannt.

Beate Z. und die beiden Männer jedenfalls waren laut dem Thüringer Verfassungsschutz schon Ende der neunziger Jahre Mitglieder der rechtsradikalen Gruppe "Thüringer Heimatschutz". Die Gruppe soll nach Angaben des Erfurter Innenministeriums von einem V-Mann des Verfassungsschutzes geführt worden sein. Nachdem 1997 vor dem Jenaer Theater ein Bombenkoffer mit Hakenkreuz-Aufdruck gefunden worden war, stießen die Ermittler auf eine Bombenwerkstatt, die offenbar von den drei Verdächtigen betrieben wurde.

Im Jahr darauf stand die Polizei kurz vor der Festnahme - im letzten Moment konnten die Verdächtigen entkommen. Die Ermittlungen gegen die drei wurden 2003 wegen Verjährung eingestellt, ihre Spur hatte sich verloren. Heute weiß man: Bereits 2008 hatten sich die drei unter falschen Namen in dem Haus in Zwickau eingemietet. Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) kündigte die Einrichtung einer unabhängigen Kommission für die Erforschung aller noch offenen Fragen an.

Der Pistolenfund weckte jetzt Spekulationen über die Existenz einer bislang in Deutschland unbekannten rechtsextremen Terror-Gruppe. Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, erklärte, wenn sich die Hinweise bewahrheiten sollten, "hätte in Deutschland erstmals eine rechtsextremistische Terrorzelle eine entsetzliche Blutspur hinterlassen." In Sicherheitskreisen wurde vor solchen Mutmaßungen jedoch gewarnt. Bislang gebe es keinerlei Hinweise, dass sich Rechtsextreme nach dem Vorbild der Roten Armee Fraktion zu ideologisch motivierten schweren Gewalttaten zusammengeschlossen hätten, hieß es in den Kreisen. "Wir haben keinerlei Anzeichen für eine solche strukturelle Gruppe", hieß es. Noch seien die Zusammenhänge "absolut mysteriös".

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SZ vom 12.11.2011/leja
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