Erinnerungen an den AfE-Turm in Frankfurt:Turm der Weltverbesserer

Uni-Turm Frankfurt

Blick aus dem AfE-Turm der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

(Foto: dpa)

Mit dem AfE-Turm wird an diesem Wochenende in Frankfurt am Main ein Stück Geschichte gesprengt. Vier ehemalige Studenten blicken für uns auf ihre Studienzeit zurück - eine Zeit voller Liebe, Aufzugswirrwarr, Jürgen Habermas und ganz viel Protest.

Von Lars Langenau

Sonja Brier, 44 Jahre alt, lebt als Drehbuch-Autorin und Filmemacherin in Hamburg und studierte von 1992 bis 1998 Politologie, Soziologie und Philosophie in Frankfurt.

Nur weg aus dem öden Göttingen - auf in die kämpferische Großstadt in den Turm nach Frankfurt. Hier schien mir die Wiege der Revolution zu sein. All die, die ich verehrte, waren vor mir hier: Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit. Ein Hauch von Adorno und Horkheimer umgab einen immer. Angeben kann ich noch heute: Einen Schein bei Jürgen Habermas gemacht. Das nutzt aber auch nichts.

In meiner Erinnerung sind es sieben Fahrstühle gewesen, die uns zu den "Großen der Kritischen Theorie" Tag für Tag in den 20. Stock brachten. Ich war umgeben von Menschen, die die Welt verbessern wollten: Jetzt war ich erwachsen, dachte ich. Ich legte ebenfalls los. Engagierte mich in Gremien und gründete Lesegruppen: Foucault, Hegel, Kant - immer ganz oben im Turm - und irgendwie auch weit weg vom Leben da unten. Diskutieren konnte man das Gelesene im Selbstorganisiertem Studentencafe TUCA im hinteren Teil des Foyers mit Lothar - von dem keiner wusste, in welchem Semester er eigentlich war - und immer ein Ohr für jeglichen revolutionären Gedanken zu haben schien. Danke Lothar!

Hier lernte ich noch viele andere Weltverbesserer kennen. Wir riefen gemeinsam die Woche "Gegen Antisemitismus" aus und blockierten die Fahrstühle (keine Ahnung, wie wir das gemacht haben - sie waren außer Betrieb, das reichte uns) versperrten die Treppenaufgänge und zwangen die nicht so politisch-engagierten Kommilitonen, den Reden von Michael Brumlik und anderen schlauen Menschen zu lauschen.

Manch zielstrebiger Student fand das ziemlich blöd, denn sie wollten in ihre Vorlesungen - und wir hielten sie davon ab, ihr Studium schnell beenden zu können. Wir wollten, dass sie sich auseinandersetzen mit der Geschichte - der anstehenden Änderung des Asylrechts. Ich glaube wir haben nur eine Woche durchgehalten.

Wir wollten der Politikverdrossenheit den Garaus machen - gründeten den SDS wieder, mussten ziemlich schnell feststellen, dass diesen Verein keiner mehr kannte und waren entsetzt. Doch das Entsetzen ließ nach - die Scheine wurden abgearbeitet und die Suche nach einem Leben außerhalb des Turms begann. Ob ich jetzt unten im Leben angekommen bin? Keine Ahnung! Aber: Danke lieber Turm, für die Menschen die ich in dir kennenlernen durfte - mit denen ich hier unten, zwanzig Jahre später, das Leben immer noch ein bisschen kritisch betrachte. Und vielleicht, wenn ich mal alt und grau bin, dann blockiere ich die Fahrstühle noch mal ganz woanders und halte länger durch. Das verspreche ich Dir!

Platz zum Lieben, Streiten, Denken und Feiern

Tibet Sinha, Jahrgang 1968, studierte Politikwissenschaften in Frankfurt. Er arbeitet heute als leitender Redakteur beim WDR in Köln und als Vertretungskorrespondent für die ARD-Studios in Washington und Moskau.

'Wer viel Geld hat, hat die Macht, bis es unter´m Auto kracht' - das war der böse, giftige Sound, der durch den Turm ging, als Herrhausen von der RAF ermordet wurde. Als Erstsemester war ich hin- und hergerissen. Sollte ich das jetzt gut finden oder doof? Am Ende habe ich mich dann für doof entschieden, aber alles andere fand ich gut. Für einen, der aus der niedersächsischen Provinz ins Leben einsteigt, war der Turm ein Glücksfall. Kritisch, unabhängig und immer wieder mal böse ging es hier zur Sache.

Hier wurde einem nichts leicht gemacht - selbst die Fahrt mit dem Fahrstuhl war eine Herausforderung und wer hier in den Stau geriet, der konnte gerade mal unten bleiben, denn oben im Seminarraum war eh kein Platz mehr frei. Für alles andere aber blieb reichlich Platz - für's Denken, Streiten, Feiern, Lieben, Dagegen oder Dafür sein - kurzum: für's Erwachsenwerden. Der Turm musste einfach hässlich und anstrengend sein, alles andere wäre falsch gewesen. Und jetzt? Kracht es wieder, ein letztes Mal. Und das finde ich doof!

Das Leid mit den Aufzügen

Peter Onneken, geboren 1975 in Frankfurt, arbeitet für HR und WDR, als Filmemacher für das Magazin Plusminus und studierte Mitte der Neunziger in Frankfurt Politik und Soziologie.

Ich habe Mitte der Neunziger angefangen in Frankfurt zu studieren. Da war der Turm schon ziemlich am Ende. Besprüht, verdreckt und gezeichnet von unzähligen Hochschulwahlkämpfen, beklebt mit Plakaten von Jusos, Grünen und den linken Listen. Fasziniert war ich vor allem von dem Aufzugsystem, denn nicht jeder Aufzug fuhr in jedes Stockwerk. "Express-Aufzüge" hielten nur an den Hauptknotenpunkten, andere fuhren ewig, hielten aber überall.

Was nach ausgefuchster Transportlogistik klingt, führte bei mir als notorischem Zuspätkommer zu Schnellrechenspielen. Der eine Aufzug bringt mich in Stockwerk 20, ich muss aber in Stockwerk 18. Da steigen aber nur vier Leute ein. Gesamtwegezeit etwa zwei Minuten. Der Bummelaufzug führt mich direkt zum Ziel, aber bei sieben Mitfahrern drohen auch sieben Stopps: Bestenfalls eine Minute - schlimmstenfalls ewig. Entschieden habe ich mich regelmäßig falsch, aber dann auch gemerkt, dass das bei einer Verspätung von zwanzig Minuten nicht weiter ins Gewicht fällt.

Ein Mops namens Emily

Lars Langenau, 44 Jahre alt, arbeitet in München als Homepagechef bei Süddeutsche.de, studierte in Frankfurt Politik fürs Lehramt.

Einst hatte ich lange, blonde Locken, war schlank und rank - und irgendwie links. Allerdings bei den Jusos. Für die war ich im AStA-Vorstand und damit so etwas ein legitimer Nachfolger des legendären SDS-Chefs Hans-Jürgen Krahl. Jedenfalls fühlte ich mich so. Zumindest wenn ich im AfE-Turm, vulgo Turm, war. Ich hatte einen guten Ruf als Studentenführer. Der war ruiniert an dem Tag, an dem ich für eine Woche den Mops der blonden Tussi-Freundin meines iranischen Lieblings-Kommilitonen hüten musste.

Der Mops war eine Mopsin und hieß Emily. Und Emily war eindeutig verhaltensgestört. Emily konnte man zuhause nicht allein lassen, man musste sie mitnehmen. Überall hin. Auch an die Uni. Mit rosa Halsband. AStA-Vorsitzender mit Mops mit rosa Halsband und rosa Leine auf dem Campus war schon toll. Aber dort, im Turm, im Hort der Frankfurter Linken, kam erst das richtige Hallo. Mit Emily hoch in den 23. Stock, zu einem Seminar über deutsche (Nicht-)Vergangenheitsbewältigung. Emily schnüffelt zunächst an allen Hosenbeinen, leckt am Bein oberhalb der Socke des Lehrkörpers, ging dann in die nächste Ecke, setze sich - und pinkelte. Der einzige Kommentar meines Profs: 'Herr Langenau, das machen Sie aber nachher weg.'

Der Turm? Der war für mich immer ein Hort der Freiheit. Seit diesem Tag noch viel mehr. Nun ist er weg. Er hat mich auch immer an Emily und den Tag der Schmach erinnert. Nun hat er Emily überlebt, um Jahrzehnte. Die hatte irgendwas mit ihrer Blase. Sowas hatte der Turm jetzt anscheinend auch, genau kann man das aus München natürlich nicht beurteilen, aber ansonsten müsste er ja nicht weg. Oder?

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