Fünf Jahre und sechs Monate Haft für Heidi K. wegen Freiheitsberaubung - "das war keine einfache Entscheidung", sagt die Vorsitzende Richterin Barbara Bunk am Freitag. Die 15. Große Strafkammer am Landgericht Darmstadt ist zu der Überzeugung gekommen, dass die heute 48-jährige Lehrerin gelogen hat, als sie vor zwölf Jahren ihren Kollegen Horst Arnold beschuldigte, er habe sie während einer Unterrichtspause anal vergewaltigt.
Fünf Jahre saß Horst Arnold, der die Tat immer bestritten hat, dafür im Gefängnis. Weitere fünf Jahre kämpfte er um seine Rehabilitierung, bis er im Juni 2011 in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen wurde. Ein Jahr später starb er an den Folgen eines Herzinfarkts. "Die Justiz würde sich gerne bei Herrn Arnold entschuldigen", sagt die Richterin, "aber diese Entschuldigung können wir jetzt nur noch an die Hinterbliebenen richten, die all die Jahre mitgelitten haben." Arnolds Mutter, die die Urteilsverkündung miterlebte, sagt: "Es bringt mir meinen Sohn nicht wieder, aber es ist eine große Genugtuung." Ob sie das Urteil als gerecht empfinde? "Ich hätte ihr mehr gewünscht", sagt Helga Arnold.
Was hat sich wirklich zugetragen an jenem 28. August in einem Biologie-Vorbereitungsraum der Georg-August-Zinn-Schule im hessischen Reichelsheim? Nach Überzeugung des Gerichts war es so: Horst Arnold kam in den Raum und überraschte Heidi K. dabei, wie sie in seinen Unterlagen stöberte. Er herrschte sie an, sie verließ den Raum. "Sie war verärgert über die Zurechtweisung und fürchtete, er könnte den Vorfall weitererzählen", sagt Richterin Bunk. Sie beschwerte sich über ihn - "wir gehen davon aus, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht an eine anale Vergewaltigung denkt". Aber die Reaktion der Kolleginnen ermutigt sie.
Idealopfer mit Alkoholproblem
Horst Arnold ist nicht sehr beliebt, man weiß, dass er ein Alkoholproblem hat, dass er, wenn er getrunken hat, auch gelegentlich verbal aggressiv ist. "Sie merkt: Er ist ein Idealopfer. Ihr wird geglaubt, niemand zweifelt. Und so baut sie ihre Geschichte immer weiter aus." Bis sie endlich, in der Endfassung, ihren Kollegen beschuldigt, er habe sie brutal gegen den Tisch gedrängt, ihr den Mund zugehalten, sie vergewaltigt und mit dem Tod bedroht, falls sie etwas verrate. Um das zu untermauern, habe sie sich schließlich auch selbst Verletzungen beigebracht - Kratzer und blaue Flecken am Bauch sowie einen kleinen Einriss der Afterschleimhaut.
Welche Beweise hat das Gericht für diesen Ablauf? "Objektive Beweise gibt es nicht", räumt die Richterin ein - Heidi K. hat die Kleidung, die sie bei der behaupteten Tat trug, vernichtet. Es seien "Mosaiksteinchen", die das Gericht von der Schuld der Angeklagten überzeugt hätten.
Zunächst die widersprüchlichen Angaben über den Tathergang: Bei der ersten Vernehmung sagte Heidi K., sie habe geschrien, später gab sie an, sie habe nicht schreien können, weil der Täter ihr mit dem Unterarm die Luft abgedrückt habe. "Bei einem solchen Vorgang bekommt man Todesangst", sagt die Richterin, "das wird nicht einfach vergessen." Als Nächstes: die Behauptung, sie habe nach der Tat einen "Blackout" gehabt und könne sich nicht daran erinnern, unmittelbar nach der Vergewaltigung zwei Unterrichtsstunden gehalten zu haben. "Das kann so nicht gewesen sein. Das ist eine ganz klare Lüge und spricht dafür, dass die Vergewaltigung nicht stattgefunden hat", sagt die Richterin.
Plötzliche Analfissur
Schließlich die Verletzung am After. Zwei Ärztinnen hatten sie nicht entdeckt, und Heidi K. hatte bei der Untersuchung auch nicht über Schmerzen geklagt. Erst drei Wochen später, als sie sich zu einer neuerlichen Untersuchung ins Krankenhaus begibt, ist die Analfissur plötzlich da, und Heidi K. hat solche Schmerzen, dass die Untersuchung unter Vollnarkose durchgeführt werden muss. "Das lässt nur den Schluss zu: Unmittelbar nach der Tat gab es keine Analfissur", sagt Richterin Bunk.
Und das Motiv? "Ein Motiv im eigentlichen Sinn fehlt", sagt die Richterin. "Das ist das Erschreckende: Sie braucht keinen spezifischen Grund. Es ist eher eine Reaktion, aus einer momentanen Verärgerung, aus Furcht vor eventuellen üblen Nachreden." Erklärbar sei das nur aus der Persönlichkeit der Angeklagten: ihrem übersteigerten Geltungsbedürfnis, ihrem Streben nach Anerkennung und Mitgefühl, ihrem Hang zur Dramatisierung, der sich ja auch schon in der Vielzahl erfundener Geschichten niedergeschlagen hat, die sie im Lauf der Jahre verbreitet hatte.
Ihre Richterkollegen, die Horst Arnold vor elf Jahren verurteilt haben, nimmt Bunk in Schutz. "Wir haben heute einen ganz anderen Wissensstand als die Kammer damals", sagt sie. Die damaligen Zeugenaussagen hätten ein völlig anderes Bild von Horst Arnold und Heidi K. ergeben. Auch bei sorgfältiger Verhandlung könnten Richter durch Falschaussagen getäuscht werden. "Dass falsche Urteile im Rechtsstaat nicht auszuschließen sind", so die Richterin, "das ist einfach so."