Erdrutsch:"Weitere Abbrüche sind jederzeit möglich"

Nach dem Erdrutsch von Nachterstedt, bei dem zwei Häuser in einen See gestürzt sind, werden drei Menschen vermisst. Doch die Gefahr weiterer Abbrüche verzögert die Suche.

Einen Tag nach dem verheerenden Erdrutsch in Nachterstedt in Sachsen-Anhalt gibt es kein Lebenszeichen von den drei Vermissten. Die Hoffnung, das seit Samstag vermisste Ehepaar und den Mann lebend zu finden, ist damit weiter gesunken.

Erdrutsch: Ein ganzes Haus und sowie die Hälfte eines Mehrfamilienhauses sind versunken.

Ein ganzes Haus und sowie die Hälfte eines Mehrfamilienhauses sind versunken.

(Foto: Foto: AP)

Die Bergungskräfte seien damit beschäftigt, das Gelände am Unglücksort zu sichern, um weitere Erdrutsche zu verhindern, teilte die Polizei am Sonntagmorgen mit. In der Nacht hatte es nach Angaben der Kreisverwaltung des Salzlandkreises aber keine weiteren Erdbewegungen gegeben.

Unklar ist das Schicksal des etwa 20-jährigen taubstummen Sohns des vermissten Mannes, der zwar in dem Haus gemeldet ist, aber woanders wohnt. Wegen der unsicheren Lage können vermutlich auch am Sonntag keine Suchhunde eingesetzt werden.

Der Boden am Unglücksort und am Ufer des Concordia-Sees ist den Angaben zufolge sehr weich und morastig, so dass keine Sicherheit gegeben ist. Zudem geht es an der Abrisskante mehr als 100 Meter in die Tiefe. Mit einer genauen Klärung der Unglücksursache wird erst in einigen Wochen gerechnet.

Der Einsatz von Suchhunden war bereits am Samstag wegen der weiterhin sehr gefährlichen Situation am Unglücksort gescheitert. "Die gesamte Situation ist sehr wackelig, weitere Abbrüche sind jederzeit möglich", berichtete Polizeisprecherin Bettina Moosbauer. Auch der Einsatz einer Wärmebildkamera habe keine Ergebnisse gebracht.

Vermisst werden eine 48-jährige Frau und zwei Männer im Alter von 50 und 51 Jahren, die vermutlich während des Einsturzes schliefen und ums Leben kamen. Die andere Frau war an ihrem Arbeitsplatz in Nachtschicht. Auch das Ehepaar aus dem zweiten betroffenen Doppelhaus hatte Glück im Unglück: Es befindet sich im Urlaub. Im Lauf des Tages erfuhren der Mann und die Frau, dass nach ihnen über ADAC-Reiseruf gesucht wurde, daraufhin meldeten sie sich.

Bei dem Unglück, das sich gegen 5.30 Uhr ereignete, rutschten Erdmassen auf einer Fläche von rund 350 mal 120 Metern ab, auch eine Straße und eine Aussichtsplattform versanken in dem See. 41 Bewohner aus umliegenden Häusern wurden bis auf weiteres in Notunterkünften untergebracht. Das Gebiet in der Nähe der Abbruchkante wurde gesperrt, ebenso der rund 350 Hektar große Freizeitsee.

Im Nachthemd evakuiert

"Auch unsere neue, 500.000 Euro teure Slipanlage, die für Reparaturarbeiten am Ausflugsschiff 'Seelandperle' gerade für 500.000 Euro errichtet wurde, gibt es nicht mehr", so Bürgermeister Siegfried Hampe. Hampe war am Morgen gleich nach dem Sirenengeheul der Feuerwehr vor Ort, fand dort total verstörte und weinende Bewohner der Nachbarhäuser vor, die in Nachthemd und Schlafanzug auf die Straße gestützt waren. Sie wurden zunächst in der Turnhalle des Ortes, später in Ferienwohnungen untergebracht, eine alte Dame kam mit einem Kreislaufkollaps ins Krankenhaus.

Bei der Pressekonferenz am Nachmittag klagte ein Betroffener: "Wir haben nur noch das, was wir am Leibe tragen." Eine Frau sorgte sich um ihre Katze, die sich noch im Haus im gesperrten Gebiet befinde.

Der Bürgermeister verteilte Gutscheine unter den etwa 40 Evakuierten, die bei Verwandten und in Ferienwohnungen untergebracht wurden.

Anwohner fassungslos

Fassungslosigkeit kennzeichnet nach wie vor die Stimmung unter den Nachterstedtern. "Keine Ahnung, wie das passieren konnte", so der Bürgermeister. "Wir dachten, wir sind sicher hier." Fast bis an den Ort heran wurde bis 1990 Braunkohle abgebaut. Seit 1998 wird das Tagebauloch für die touristische Nutzung geflutet.

Auf der gegenüberliegenden Seite in Schadeneben wird schon seit etlichen Sommern gebadet. 20 Meter sollte das Wasser in den nächsten Jahren noch steigen, die bisher 400 Hektar große Seefläche auf 650 Hektar anwachsen. Wie und ob es mit dem "Seeland" weiter gehen wird, weiß im Moment niemand.

Die Polizei hat alle Zugänge zum Ufer abgesperrt. "Es wäre viel zu gefährlich, sich sowohl von Land als auch vom Wasser der Unglücksstelle zu nähern", sagt Ursula Rothe, die Sprecherin des Salzlandkreises. Erst wenn die Experten des Bergamtes bestätigten, dass keine weiteren Erdrutsche zu erwarten sind, könne man überhaupt mit der Sicherung des Hangs beginnen und versuchen, zu den Vermissten vorzudringen.

Dass die heftigen Regenfälle die Ursache der dramatischen Ereignisse gewesen sein können, glaubt hier keiner so recht. "Geregnet hat es doch früher auch", sagen die Leute und vermuten, dass vielleicht nicht alle Entwässerungsgräben und Hohlräume aus Bergbauzeiten ordentlich verfüllt worden sind. "Ich denke, der See hat das Land da vorn unterspült", sagt eine Frau, die ihr eigenes Haus, nur wenige Meter von der Unglücksstelle entfernt, eigentlich verkaufen wollte. "Das kann ich jetzt wohl vergessen."

"Es wird umfangreicher Gutachten in den nächsten Wochen und Monaten bedürfen", sagte Sachsen-Anhalts Wirtschaftsstaatssekretär Detlef Schubert (CDU). Auch die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, die für die Sicherung und die Flutung desTagebausees zuständig ist, hatte zunächst keine Erklärung. Anfangs hatte das Bergbau-Unternehmen den Regen als Auslöser der Katastrophe bezeichnet. Für das Unglück habe es keinerlei Anzeichen gegeben, sagte der Landrat Ulrich Gerstner (SPD).

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