Erdrutsch:"Plötzlich stand er an der Absperrung"

Der taubstumme 22-Jährige, dessen Schicksal nach dem Erdrutsch in Nachterstedt unklar war, ist wieder aufgetaucht. Doch drei Menschen werden weiterhin vermisst.

Der taubstumme junge Mann aus Nachterstedt, dessen Schicksal nach dem verheerenden Erdrutsch unklar war, ist wohlauf. Der 22-Jährige meldete sich am Vormittag bei den Einsatzkräften. Bisher war unklar, ob er sich in dem Doppelhaus aufgehalten hatte, das am Samstag von dem Erdrutsch im östlichen Harzvorland mitgerissen wurde. Der 22-Jährige ist zwar in dem Doppelhaus gemeldet, hat aber noch eine andere Wohnung.

Erdrutsch: Ein ganzes Haus und sowie die Hälfte eines Mehrfamilienhauses sind versunken.

Ein ganzes Haus und sowie die Hälfte eines Mehrfamilienhauses sind versunken.

(Foto: Foto: AP)

Der junge Mann habe "plötzlich an der Absperrung zum Ort der Katastrophe gestanden", sagte die Bürgermeisterin von Seeland, einem Zusammenschluss der Ortschaften um den betroffenen Tagebausee. Er werde nun seelsorgerisch betreut. Auch Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) besuchte am Sonntag den Unglücksort.

Kaum Hoffnung auf Überlebende

Sein Vater wird unterdessen weiter vermisst. Es gibt aber kaum Hoffnung, dass der 51-jährige Mann und das ein Ehepaar aus dem Nachbarhaus noch lebend gefunden werden. Wegen der Gefahr weiterer Erdrutsche kamen die Bergungskräfte bis Sonntagmittag nicht voran. Geplant war, mit einem Boot an die Stelle zu gelangen, an der die Trümmer des Hauses vermutet werden. Auch der Einsatz eines Roboters wurde geprüft.

Wegen der unsicheren Lage können vermutlich auch am Sonntag keine Suchhunde eingesetzt werden. Der Boden am Unglücksort und am Ufer des Concordia-Sees ist den Angaben zufolge sehr weich und morastig, so dass keine Sicherheit gegeben ist. Zudem geht es an der Abrisskante mehr als 100 Meter in die Tiefe. Mit einer genauen Klärung der Unglücksursache wird erst in einigen Wochen gerechnet.

Der Einsatz von Suchhunden war bereits am Samstag wegen der weiterhin sehr gefährlichen Situation am Unglücksort gescheitert. "Die gesamte Situation ist sehr wackelig, weitere Abbrüche sind jederzeit möglich", berichtete Polizeisprecherin Bettina Moosbauer. Auch der Einsatz einer Wärmebildkamera habe keine Ergebnisse gebracht.

Die Stiefmutter des 22-jährigen Mannes, die ebenfalls in dem Haus wohnte, ist indes dem Unglück entkommen: Sie war an ihrem Arbeitsplatz in Nachtschicht. Auch das Ehepaar aus dem zweiten betroffenen Doppelhaus hatte Glück im Unglück: Es befindet sich im Urlaub. Im Lauf des Tages erfuhren der Mann und die Frau, dass nach ihnen über ADAC-Reiseruf gesucht wurde, daraufhin meldeten sie sich.

Bei dem Unglück, das sich gegen 5.30 Uhr ereignete, rutschten Erdmassen auf einer Fläche von rund 350 mal 120 Metern ab, auch eine Straße und eine Aussichtsplattform versanken in dem See. 41 Bewohner aus umliegenden Häusern wurden bis auf Weiteres in Notunterkünften untergebracht. Das Gebiet in der Nähe der Abbruchkante wurde gesperrt, ebenso der rund 350 Hektar große Freizeitsee.

Im Nachthemd gerettet

"Auch unsere neue, 500.000 Euro teure Slipanlage, die für Reparaturarbeiten am Ausflugsschiff 'Seelandperle' gerade für 500.000 Euro errichtet wurde, gibt es nicht mehr", so Bürgermeister Siegfried Hampe. Hampe war am Morgen gleich nach dem Sirenengeheul der Feuerwehr vor Ort, fand dort total verstörte und weinende Bewohner der Nachbarhäuser vor, die in Nachthemd und Schlafanzug auf die Straße gestützt waren. Sie wurden zunächst in der Turnhalle des Ortes, später in Ferienwohnungen untergebracht, eine alte Dame kam mit einem Kreislaufkollaps ins Krankenhaus.

Bei der Pressekonferenz am Nachmittag klagte ein Betroffener: "Wir haben nur noch das, was wir am Leibe tragen." Eine Frau sorgte sich um ihre Katze, die sich noch im Haus im gesperrten Gebiet befinde. Der Bürgermeister verteilte Gutscheine unter den etwa 40 Evakuierten, die bei Verwandten und in Ferienwohnungen untergebracht wurden.

Nachterstedt zum Katastrophengebiet erklärt

Unterdessen haben die Behörden den Ort Nachterstedt und die Umgebung zum regionalen Katastrophengebiet erklärt. Das teilte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), in Nachterstedt mit.

Er hatte sich dort beim Krisenstab unter anderem auf einem Rundflug über die Lage informiert. Nach Angaben Böhmers soll die Bundeswehr bei der Suche nach den vermissten drei Bewohnern des verschütteten Doppelhauses helfen.

Bisher kann die Unglücksstelle wegen anhaltender Einsturzgefahr am mehrere hundert Meter breiten Krater nicht betreten werden. Die Chancen, die Vermissten lebend zu finden, seien denkbar gering, hieß es auf einer Pressekonferenz mit Böhmer.

Experten des Landesamts für Geologie und Bergwesen sagten, die Ursache des Erdrutsches sei noch unklar. Es gebe verschiedene Anhaltspunkte für mögliche Erklärungen, darüber wolle man aber nicht spekulieren.

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