Erdbeben in Neuseeland:"Dies ist ein Land in tiefem Schmerz"

Christchurch liegt nach einem Erdbeben der Stärke 6,3 in Trümmern. Die bisherige Bilanz: 65 Tote, unzählige Verletzte und immer noch Dutzende Verschüttete.

Bei einem schweren Erdbeben in Neuseelands zweitgrößter Stadt Christchurch sind mindestens 65 Menschen getötet worden. Das teilte Premierminister John Key am Dienstag mit. Die Zahl der Todesopfer könne noch weiter steigen, fügte Key hinzu. "Es könnte die dunkelste Stunde Neuseelands sein", warnte er. Der Premier war nach einer Sondersitzung des Kabinetts ins Erdbebengebiet gereist.

Two women hug each other in front of a collapsed building in central Christchurch

Trauer vor Trümmern: zwei Frauen im Zentrum von Christchurch.

(Foto: REUTERS)

Das Erdbeben der Stärke 6,3 hatte um 12:51 Uhr Ortszeit (00:51 Uhr MEZ) Christchurch und die Region Canterbury auf der Südinsel erschüttert und schwere Schäden angerichtet. Mehrere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, etliche Gebäude stürzten ein, Autos wurden unter Trümmern begraben.

Es war bereits das zweite Beben in Christchurch innerhalb von fünf Monaten und wohl die folgenschwerste Naturkatastrophe des Landes seit 80 Jahren.

Bis zu 200 Menschen wurden verschüttet. Es sei davon auszugehen, dass noch 150 bis 200 Menschen unter den Trümmern der Stadt lägen, sagte der Bürgermeister von Christchurch, Bob Parker, einem örtlichen Radiosender.

Auf Live-Videoaufnahmen war zu sehen, wie Gebäudeteile auf die Straße krachten, die mit Backsteinen und Trümmern übersät waren. Auf Straßen und Bürgersteigen traten Risse auf, und Tausende verzweifelte Einwohner liefen in Panik durch die Straßen Das Zentrum der Stadt wurde evakuiert.

Mehrere Gebäude, darunter ein vierstöckiger Büroblock für 200 Menschen sowie ein Hostel und Teile der beiden Kathedralen, stürzten ein - darunter auch Gebäude, die nach neuesten Standards für Erdbebensicherheit gebaut worden waren, sagte der stellvertretende Regierungschef Bill English. Mindestens zwei Linienbusse wurden durch herabfallende Betonteile zerstört.

Ausnahmezustand in Christchurch

Rettungskräfte und freiwillige Helfer suchten in den Trümmern nach Verschütteten. Immer wieder mussten sie ihre Arbeit wegen Nachbeben unterbrechen. Diese erreichten teilweise immer noch eine Stärke von 5,6. Medienberichten zufolge schickten Verschüttete verzweifelt SMS an ihre Angehörigen. Tausende Einwohner waren ohne Strom, Handy-Netze waren unterbrochen.

Bürgermeister Parker verhängte den Ausnahmezustand und rief die Einwohner auf, die Innenstadt zu räumen. "Macht keinen Fehler - dies wird ein sehr schwarzer Tag werden für diese erschütterte Stadt", sagte er.

Zum Zeitpunkt des Bebens habe er sich in der obersten Etage der Stadtverwaltung aufgehalten und sei von der Wucht des Erdstoßes durch den Raum geschleudert worden. "Ich bin runter auf die Straße gegangen, und dort herrschten Szenen großer Verwirrung, viele sehr aufgeregte Menschen", berichtete Parker.

Die Feuerwehr war mit Kränen im Einsatz. Mehrere Menschen saßen laut Fernsehberichten noch in Bürotürmen fest, andere hatten auf Hausdächern Zuflucht gesucht. Im Fernsehen war zu sehen, wie Helfer Schwerverletzte aus den Trümmern zogen.

Ein Krankenhaus in Christchurch meldete dem Sydney Morning Herald zufolge mehr als 40 Verletzte, rechnete aber mit weiteren Opfern. Auch das Krankenhaus wurde vom Erdbeben beschädigt - die Arbeit dort geht jedoch weiter.

Strom- und Telefonleitungen wurden gekappt und Wasserrohre beschädigt, einige Straßen wurden überschwemmt. Der Flughafen von Christchurch wurde geschlossen, und das Krankenhaus evakuiert. Es gab Berichte über mehrere Brände und Menschen, die in den brennenden Häusern eingeschlossen seien. Die Armee half der Polizei und Feuerwehr bei der Suche nach Überlebenden. In einer Pressekonferenz sprach Bill English von 350 Armeeangehörige, die vor Ort Hilfe leisten. Die Schäden wurden vom Finanzministerium auf vier Milliarden Neuseeländische Dollar (2,2 Milliarden Euro) geschätzt. Zusätzlich entsenden Australien und USA Hilfskräfte, kündigte Key im Fernsehen an.

Der Stadtrat Barry Corbett, der sich ebenfalls in der Stadtverwaltung aufhielt, sagte: "Als das Beben aufhörte, habe ich aus dem Fenster gesehen, von dem man einen guten Blick über Christchurch hat, und da war nur Staub. Es war sofort klar, das viele Gebäude verschwunden sind."

Am Dienstagabend Ortszeit behinderten Regenfälle und der Temperaturabfall die Bergungsarbeiten, berichtete die Zeitung New Zealand Herald auf ihrer Internetseite. Bis spät in die Nacht drangen die Schreie von Eingeschlossenen aus den Trümmern, sagten Augenzeugen. Im Fernsehgebäude waren am Abend vermutlich noch 50 Menschen eingeschlossen. Aus dem eingeknickten Gebäude riefen spät in der Nacht noch Eingeschlossene und machten sich mit Klopfzeichen bemerkbar, sagten Augenzeugen. 200 Helfer waren dort im Einsatz. Die Retter stellten sich auf grausame Funde ein: In der Nähe wurde bereits ein provisorisches Zelt zur Aufbahrung der Toten aufgestellt. "Hier kämpfen Menschen ums Überleben, aber es gibt auch viele, die ihr eigenes Leben für sie aufs Spiel setzen", sagte Bürgermeister Parker. Nach einer ersten Bilanz konnten 120 Menschen gerettet werden, so Parker weiter.

Die Behörden konnten keine Angaben über ausländische Opfer machen. Es sei leider zu erwarten, dass Touristen und ausländische Studenten betroffen seien, sagte English. "Die Menschen sitzen auf der Straße und halten die Köpfe in den Händen", sagte Key. "Dies ist ein Land in tiefem Schmerz."

Das Zentrum des Erdstoßes lag fünf Kilometer von Christchurch entfernt in vier Kilometern Tiefe, wie der Geologische Dienst der USA mitteilte. Kurz darauf kam es elf Kilometer östlich der Stadt zu einem Nachbeben der Stärke 5,6 in sechs Kilometern Tiefe. Die Stadt ist seit einem Erdbeben der Stärke 7,1 im September vergangenen Jahres von Hunderten Nachbeben erschüttert worden. Die Infrastruktur leide noch unter den Schäden des früheren Erdbebens und sei deshalb besonders anfällig bei weiteren Erdstößen, sagte James Goff von der australischen Universität New South Wales.

Bei dem Erdstoß vom 4. September entstand ein Milliardenschaden an mehreren hundert Gebäuden, und einige Menschen wurden verletzt. Durch das Beben direkt kam damals aber niemand ums Leben. Christchurch ist mit 390.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Neuseelands. Sie ist bei Urlaubern beliebt als Tor zur Südinsel.

Neuseeland liegt im Pazifischen Feuergürtel, auch "Ring aus Feuer" genannt, einer Zone reger Vulkantätigkeit. Dort ereignen sich etwa 90 Prozent aller Erdbeben weltweit. Jedes Jahr kommt es zu mehr als 14.000 Beben, von denen aber nur etwa 150 zu spüren sind. Weniger als zehn richten Schäden an.

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