Erdbeben in Italien:Darum sind italienische Häuser selten erdbebensicher

Zuletzt Amatrice, zuvor L'Aquila: Immer wieder bebt in Italien die Erde. Trotzdem gelten etwa 70 Prozent der Häuser als nicht sicher. Woran liegt das?

Von Felicitas Kock

Das Dorf Amatrice wird nach dem 24. August 2016 nicht allein für die Pasta berühmt sein, die hier erfunden wurde - die Bucatini all'Amatriciana, ein kräftiges Nudelgericht mit Tomaten, Speck und Chili. Der Ort wird auch genannt werden, wenn es um Italiens Schicksal als Erdbebenland geht. So wie L'Aquila, wo vor sieben Jahren mehr als 300 Menschen ums Leben kamen und etwa 1000 verletzt wurden. Und so wie die zahlreichen anderen Städte und Dörfer, in denen in den vergangenen Jahrzehnten die Erde bebte.

Viele beklagen nun, dass trotz der Gefahr noch immer viel zu selten erdbebensicher gebaut wird. Woran liegt das? Und was hätte man aus L'Aquila lernen können? Fragen und Antworten:

War das Beben am Mittwoch besonders stark?

Nein, nach Angaben der italienischen Erdbebenwarte hatte es eine Stärke von 6,0 auf der Richterskala, andere Institute sprechen von einer Stärke von 6,2. Beben dieser Art gibt es auf der Welt fast jeden Tag. In Myanmar ereignete sich ebenfalls am Mittwoch ein Beben der Stärke 6,8. Dabei kamen vier Menschen ums Leben. Das Beben in L'Aquila im Jahr 2009 war ähnlich stark wie das um Amatrice, das italienische Institut gab es mit 5,8 an, andere Institute mit bis zu 6,3.

Warum war das Beben um Amatrice dann so verheerend?

Zum einen lag das Epizentrum nah an der Erdoberfläche - viel näher als etwa in Myanmar. Je geringer die Tiefe, in der sich ein Erdbeben ereignet, desto stärker sind die Erschütterungen, die oben ankommen. In der betroffenen Gegend in Italien wirken sich Erdstöße wegen der Beschaffenheit des Bodens besonders stark aus. Es handelt sich um Lockergestein, in dem die horizontalen Bewegungen noch verstärkt werden. So reicht schon ein relativ schwaches Beben, um erhebliche Schäden anzurichten.

Ein weiterer Grund ist menschengemacht: Fachleute schätzen, dass 70 Prozent der Gebäude in Italien nicht erdbebensicher gebaut sind. Amatrice ist ein mittelalterliches Dorf. Die Bausubstanz ist teilweise marode. Andere, einfache Häuser im Dorfzentrum sind in den Fünfziger- und Sechzigerjahren entstanden. Damals sollte die Wirtschaft durch Bauprojekte gestärkt werden, Genehmigungen wurden ohne Prüfung vergeben, stabiles Bauen hatte keine Priorität.

Warum werden die Häuser nicht besser vor Erdbeben geschützt?

Sebastian Storz ist Diplomingenieur, hat mehr als 20 Jahre in Rom gelebt und sich nach dem Beben von L'Aquila mit seinem Verein "Forum für Baukultur" am Wiederaufbau beteiligt. Er beklagt vor allem die mangelhafte Umsetzung der an sich hohen Sicherheitsstandards. "Italien ist auf einem sehr hohen Niveau, was erdbebensicheres Bauen angeht", sagt der Experte. Erstklassiges Know-how sei vorhanden, den Italienern könne da niemand etwas vormachen. Schwierig werde es in der Praxis. Es herrsche Vetternwirtschaft. Aufträge würden nach dem Gefälligkeitsprinzip an Unternehmer und Subunternehmer vergeben. "Und wenn die sich dann nicht an die Regeln halten, schaut keiner hin."

Es sind also nicht nur die alten Häuser, die bei Erdbeben stark einsturzgefährdet sind, sondern auch neue Häuser, bei denen bisweilen nicht so genau darauf geachtet wird, ob sie die Vorgaben erfüllen oder nicht.

Lehren aus L'Aquila

Wie baut man eigentlich erdbebensicher?

Eine Stadt zu bauen, die jedes Beben unbeschadet übersteht, ist utopisch - da sind sich die Experten einig. Aber es gibt Bauweisen, die Erschütterungen besser standhalten als andere. Wichtig ist, dass die Gebäude schwingen und dadurch Stöße abfedern können. An anderen Stellen braucht es Stabilität. In schon bestehende Häuser werden dafür etwa nachträglich Stützen eingebaut und zusätzliche Wände eingezogen.

Wird in L'Aquila, wo die Erde im Jahr 2009 bebte, jetzt erdbebensicher gebaut?

Größtenteils ja, sagt Sebastian Storz. Da ganz Italien seit dem Beben auf die Stadt blicke, werde versucht, alles richtig zu machen. Trotzdem habe es wieder Mauscheleien gegeben und der Aufbau sei lange Zeit schleppend verlaufen. Zudem sei in L'Aquila der Fehler begangen worden, nicht auf die soziale Komponente zu achten. Um die Stadt herum seien eilig gebaute erdbebensichere Wohnsiedlungen entstanden, ohne Piazza und Orte, wo man sich gemeinsam aufhalten kann. "Die stehen da wie abgestellte S-Bahnen. Die Kulturlandschaft wurde hier vollkommen zerstört", sagt Storz.

Wird sich nach dem Beben um Amatrice etwas ändern?

Der frühere Regierungschef Romano Prodi hat nach dem Beben vom Mittwoch zwei Forderungen gestellt: einen schnellen Wiederaufbau - und die Sicherung des Landes vor Erdbeben. Sätze, wie man sie auch nach L'Aquila gehört hat.

Enzo Boschi, Geologe und früherer Präsident des italienischen Instituts für Geophysik und Vulkanologie, gibt sich wenig optimistisch. In Italien werde nach einem schweren Erdbeben nur unmittelbar in der betroffenen Region gemäß den nötigen Schutzvorkehrungen gebaut, sagte Boschi der Tageszeitung La Repubblica. Als Beispiel führt er die Stadt Norcia an, wo nach einem Erdbeben von 1979 besonders sicher gebaut wurde und wo die Schäden jetzt gering sind, obwohl der Ort auch diesmal im Erdbebengebiet lag.

Zumindest Amatrice dürfte in Zukunft also sicher sein. Genau wie Norcia, L'Aquila und andere Orte, an denen Erdbeben in der Vergangenheit viele Opfer gefordert haben.

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