Süddeutsche Zeitung

Erdbeben in der Karibik:Der Priester-Präsident

Jean-Bertrand Aristide war der erste demokratisch gewählte Staatschef Haitis. Doch auch seine Herrschaft endete 2004 in Korruption und Chaos. Seither lebt er im südafrikanischen Exil.

Jean-Bertrand Aristide ist eine der schillerndsten Figuren der Karibik. Der ehemalige Armenpriester schaffte 1991 den Sprung bis an die Spitze Haitis. Nach der ersten demokratischen Wahl in den 200 Jahren seit der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich schien ein Ende der Despotie in greifbarer Nähe. Vor allem in seiner zweiten Amtsperiode wurden dem Staatschef aber zunehmend Korruption und Selbstherrlichkeit vorgeworfen.

Zwar war der zierliche Aristide im Vergleich zu seinem brutalen und grobschlächtigen Vorgänger Baby Doc Duvalier fast so etwas wie ein Waisenknabe. Dennoch bezeichneten ihn Kritiker als "Mugabe der Karibik". Letztlich nicht geklärt ist, inwieweit er für die Grausamkeiten seiner Anhängerschaft mitverantwortlich ist und ob er mit seiner apokalyptischen Rhetorik erst die Basis für Gewaltexzesse geschafft hat: Politische Gegner starben durch "Halskrausen" aus brennenden Autoreifen.

Der Aufstieg des heute 57-jährigen Jean-Bertrand Aristide liest sich wie ein modernes Märchen: Als zweites Kind einer armen kleinbäuerlichen Familie wird er in Port-Salut im Süden Haitis geboren. Ein Mönch wird nach dem Tod des Vaters auf den intelligenten Jungen aufmerksam. Aristide tritt dem Salesianerorden bei und studiert später Theologie und Psychologie in Haiti, Griechenland, Kanada und Israel. Das Theologiestudium schließt er mit einer Promotion ab. Im Juli 1982 wird er zum katholischen Priester geweiht. Schon als Student sympathisiert Aristide mit der katholischen Befreiungstheologie, die in den siebziger Jahren in Lateinamerika an Bedeutung gewinnt.

Aristide stellt sich Ende der achtziger Jahre gegen Jean-Claude Duvalier und entgeht am 11. September 1988 nur knapp einem Mordanschlag durch Anhänger des mittlerweile vertriebenen Diktators. Wegen seiner offenen Kritik an der vatikanischen Haiti-Politik wird er zwei Monate später aus dem Salesianerorden ausgeschlossen. 1990 kandidiert Aristide dann für das Präsidentenamt. Es gelingt ihm, die verarmte Bevölkerung auf dem Land und in den Slums hinter sich zu bringen und formiert eine regelrechte politische Massenbewegung.

Bei den ersten demokratischen Wahlen in der Geschichte Haitis wird er mit überwältigender Mehrheit von 67 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen zum Präsidenten gewählt. Im September 1991 aber putscht sich General Raoul Cédras an die Macht. Aristide geht ins Exil nach Venezuela und in die USA. Auf Druck der USA wird er 1994 erneut als Staatspräsident eingesetzt und erringt einen überzeugenden Sieg. Im gleichen Jahr legt er auch sein Priesteramt nieder. Weil in Haiti laut Verfassung keine zwei aufeinanderfolgenden Amtsperioden zulässig sind, wird im Jahr 1996 sein Vertrauter René Préval als Nachfolger gewählt.

Im November 2000 ist dann wieder Aristide an der Reihe. Hartnäckig hält sich aber das Gerücht, er habe die Präsidentenwahl manipuliert. Aufgrund von Misswirtschaft und Korruption formiert sich in den Provinzen Widerstand, der 2002 in bürgerkriegsähnliche Verhältnisse mündet. Rebellen rücken Richtung Hauptstadt Port-au-Prince vor und tragen zur Destabilisierung des Landes bei. Im Februar 2004 intervenieren dann Frankreich und die USA, Aristide verlässt das Land. Nach Angaben der USA freiwillig, Aristide dagegen spricht von einem Staatsstreich und betrachtet sich weiter als legitimer Präsident Haitis. Nach Stationen in der Zentralafrikanischen Republik und Jamaika nimmt Südafrika schließlich den Weltenbummler wider Willen auf.

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