Entscheidung über Vaterschaftstests:Die Frage nach dem Vater bleibt offen

BVG verkündet Urteil zu DNA Test

In der Abstammungsurkunde von Inge Lohmann taucht der Name eines Mannes auf, der die Geburt dem Standesamt mitteilte.

(Foto: dpa)

Vor 66 Jahren meldete ein Mann die Geburt von Inge Lohmann beim Standesamt. Ob er ihr Vater ist, wird sie nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wohl nie erfahren.

Von Wolfgang Janisch

Klar, Inge Lohmann könnte jetzt in Straßburg klagen. Sie will wissen, ob dieser inzwischen 88-jährige Kunstmaler wirklich ihr Vater ist, wovon sie seit einem halben Jahrhundert überzeugt ist - ihre Mutter hat es ihr damals gesagt. Und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist keine schlechte Adresse für solche Fälle, das "Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung" steht dort hoch im Kurs.

Einmal haben die Straßburger Richter sogar einen Toten exhumieren lassen, damit ein vatersuchender Sohn im Rentenalter endlich Gewissheit erhielt. Andererseits: Auch Karlsruhe war dafür eine gute Adresse. Jedenfalls bis zu diesem Dienstag, an dem das Bundesverfassungsgericht Inge Lohmanns Verfassungsbeschwerde abgewiesen hat.

Dabei hatte ihr Anwalt Paul Kreierhoff eigentlich einen guten Fall. Im Grunde hatte er die gesamte Rechtsprechung nicht nur des Karlsruher, sondern auch des Straßburger Gerichts im Rücken. Die Kenntnis der eigenen Abstammung nehme "im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für Individualitätsfindung und Selbstverständnis ein", hatte das Verfassungsgericht schon 1989 formuliert. Und dieser Wunsch, die biologischen Eltern zu kennen, habe "absolut nichts mit dem Alter zu tun", fügte das Menschenrechtsgericht 2006 hinzu.

Der mutmaßliche Vater teilte die Geburt dem Standesamt mit

Inge Lohmann ist 66 Jahre alt. Der einzige Mann, den sie je Papa nannte, war ihr Stiefvater, ein vorbestrafter Gewalttäter, der die Mutter prügelte und die Tochter missbrauchte. Sie war zwölf, als der Streit eskalierte - und ihr Bruder in einem Akt der Nothilfe den Haustyrannen erstach. Eine Katastrophe in einem jungen, nicht gerade von Glück überschütteten Leben.

Bald darauf sagte ihre Mutter, wer ihr wirklicher Vater sei. Da war sie 14. Ihre Mutter hatte nur eine kurze Beziehung mit dem Mann, der heute die Vaterschaft entschieden bestreitet. Aber es gab ein paar Begegnungen zwischen der jungen Inge und dem Künstler mit den langen Haaren. Davon sind ein paar Erinnerungsstücke übrig geblieben, auch ein Foto aus der Brieftasche der Mutter und ein Eintrag ins Poesiealbum.

Was die Vaterschaftsfrage aber wirklich kompliziert macht, sind die juristischen Eckdaten. Einerseits findet sich der Name des mutmaßlichen Vaters in Inge Lohmanns Geburtsurkunde - nicht als Vater, wohl aber als derjenige, der die Hausgeburt damals offiziell dem Standesamt mitgeteilt hat.

Vaterschaftstest kann nur innerhalb der Familie erzwungen werden

Wer, wenn nicht der Vater, würde das tun, glaubte Inge Lohmann, als sie vor sieben Jahren erstmals die Urkunde in die Hände bekam. Andererseits hat das Landgericht Krefeld 1955 eine Vaterschaftsklage abgewiesen. Zwar bietet das damals eingeholte Blutgruppengutachten bei Weitem nicht die Gewissheit eines modernen DNA-Tests. Aber das Urteil ist rechtskräftig, eine neue Vaterschaftsklage ist deshalb wohl nicht mehr möglich.

Ihr Anwalt klagte deshalb auf bloße Feststellung der Abstammung, die den Mann nicht gleich zum Vater im juristischen Sinn gemacht hätte; ein Erbanspruch wäre damit nicht verbunden gewesen. Eine solche "folgenlose" Klärung der genetischen Verhältnisse ist seit 2008 möglich - aber eben nur innerhalb der Familie, nicht gegen außenstehende potenzielle Väter.

Das Bundesverfassungsgericht sagt nun: Der Gesetzgeber hätte zwar freie Hand, für diese Fälle einen Anspruch auf Vaterschaftstest einzuführen - aber das Grundgesetz verpflichtet ihn nicht dazu. Auch deshalb, weil eben nicht nur die Kenntnis der Herkunft von der Verfassung geschützt sei, sondern auch das Familienleben von Männern, die solchen Klagen ausgesetzt seien. Damit überweist das Gericht den Fall unausgesprochen an den Arbeitskreis Abstammungsrecht, der im Auftrag des Bundesjustizministeriums an einer umfassenden Reform arbeitet.

"Anspruch gegen 20 Millionen Männer"

Die Argumente, mit denen der Erste Senat Inge Lohmanns Beschwerde abweist, sind allesamt bedenkenswert, nur passen sie eben nicht auf ihren Fall. Ein einfacherer Weg zum Vaterschaftstest würde Klagen "ins Blaue hinein" möglich machen, warnt das Gericht; es gäbe einen "Anspruch gegen 20 Millionen Männer", wie ein Richter in der Verhandlung im vergangenen Herbst angemerkt hatte. Da ist was dran, nur zielte ebendiese Klage gerade nicht ins Blaue, sondern stützte sich auf einen sehr konkreten Eintrag in der Geburtsurkunde.

Dann verweist das Gericht auf die ganz normale Vaterschaftsklage: Man benötige eigentlich keine "folgenlose" Klärung der Abstammung, weil es ja die Möglichkeit gebe, gerichtlich die Vaterschaft feststellen zu lassen, mit allen Rechten und Pflichten. Ebenfalls richtig - aber auch das hilft der Klägerin nicht weiter. Die einzige Klagechance hat ihre Mutter vor 60 Jahren aufgebraucht. Dass die Wissenschaft in Sachen Vaterschaftstest damals noch nicht so weit war, ändert nichts.

Klingt alles wie: Pech gehabt, Frau Lohmann. Aber danke für die Klage.

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