Entführungsfall Jaycee Dugard:Tagebuch einer Hilflosen

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Er hielt sie 18 Jahre lang gefangen und selbst aus dem Gefängnis heraus versucht der Entführer noch, Jaycee Dugard zu manipulieren. Jetzt veröffentlicht das Gericht ihre Notizen.

R. Klüver

Achtzehn unendliche Jahre währte die Gefangenschaft von Jaycee Dugard, dem Mädchen, das als Kind von elf Jahren in Kalifornien entführt worden war. Erst im vergangenen Sommer kam sie als junge Frau und Mutter zweier Töchter durch puren Zufall aus dem Hinterhofverlies ihres Kidnappers frei. Doch ihre Leidenszeit ist damit nicht vorbei. Offenkundig noch lange nicht.

Eine Ausgabe des MagazinsPeoplemit der befreiten Jaycee Dugard. (Foto: Foto: Reuters)

Vor dem Oberkreisgericht der Kleinstadt Placerville bei Sacramento, wo ihrem mutmaßlichen Entführer Phillip Garrido der Prozess gemacht werden soll, hat ein neuer Akt des Dramas begonnen: die juristische Aufarbeitung des monströsen Kidnappingfalles. Und in deren Mittelpunkt steht bisher nicht der Angeklagte, sondern wieder sein Opfer.

Mit der Veröffentlichung von Tagebucheinträgen, die Jaycee Dugard während ihrer Gefangenschaft machte, will die Staatsanwaltschaft den Versuch Garridos verhindern, erneut Verbindung zu der heute 29 Jahre alten Frau aufzunehmen. Sie hat unter Verweis auf die Einträge Dugards vor Gericht beantragt, dem Angeklagten jeden Kontaktversuch zu untersagen.

Und die Frage ist, was einem mehr kalte Schauer den Rücken hinunterjagt: die Chuzpe eines Sextäters, der wohl noch aus dem Gefängnis heraus versucht, Kontrolle über sein einstiges Opfer zu erlangen. Oder die Notizen eines hilflosen Mädchens und später einer einsamen, verzweifelten jungen Frau. In einer Erklärung verweist die Staatsanwaltschaft darauf, dass Dugard "nachdrücklich" jeden Kontakt zu ihrem Entführer ablehne und die Behörden gebeten habe, ihr Recht auf Persönlichkeitsschutz durchzusetzen.

Dugard hält sich mit ihren beiden Töchtern im Teenageralter an einem unbekannten Ort in Kalifornien auf. Garrido hatte die Kinder mit ihr während ihrer Gefangenschaft gezeugt. Die junge Frau sei der Überzeugung, so die Staatsanwaltschaft, dass ihr Entführer versuche, sie wieder gefügig zu machen, wie er es viele Jahre lang verstanden habe - und sie so zu einer für ihn günstigen Aussage im Prozess bewegen will.

"Ich will ihn nicht verletzen"

Die Tagebucheinträge, die die Staatsanwaltschaft zur Untermauerung ihres Antrags veröffentlicht hat, belegen in der Tat, wie sehr Garrido das Mädchen und später die junge Frau geistig manipuliert hat. 1993 schreibt Jaycee, zwei Jahre nach ihrer Entführung: "Ich habe eine Katze zum Geburtstag bekommen. Sie (Garrido und seine Frau Nancy) haben etwas für mich getan, was niemand sonst für mich getan hätte, und 200 Dollar ausgegeben, nur damit ich ein eigenes Kätzchen habe."

Zehn Jahre später schreibt sie, da ist sie längst junge Mutter: "Ich will ihn nicht verletzen. Wie kann ich ihm nur jemals sagen, dass ich frei sein will. Ich will ihm nie Leid zufügen, wenn es in meiner Macht steht, das zu verhindern." Und in Großbuchstaben setzt sie hinzu: "FREI."

Fünf Jahre vor ihrer Befreiung notiert sie: "Ich habe das Gefühl zu versinken. Warum habe ich nicht die Kontrolle über mein Leben! Ich habe das Gefühl, nicht einmal sicher sein zu können, dass meine Gedanken meine eigenen sind."

Garrido verhielt sich "sehr komisch"

Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft hatte Garrido der jungen Mutter und ihren Töchtern detaillierte Handlungsanweisungen gegeben. Wenn jemand an der Tür klingelte, sollten sie sofort in ihr Versteck im Hof laufen. Sollte er jemals festgenommen werden, sollte Dugard einen Anwalt verlangen und über ihn mit ihm Kontakt halten.

Tatsächlich wurde Garrido in all den Jahren von Bewährungshelfern überwacht. Er war 1977 wegen der Entführung und Vergewaltigung einer Kasinoangestellten in Las Vegas verurteilt worden. Nach elf Jahren war er aus der Haft entlassen worden gegen die Auflage, sich lebenslang überwachen zu lassen.

Doch die Kontrollen waren lax, wie vom Gericht veröffentlichte Dokumente der Behörden beweisen. 1999 schrieb ein Bewährungshelfer über Garrido: "Er ist stabil, und seine Prognose ist gut." Zwar fanden manche Bewährungshelfer, vor allem in den letzten Jahren, dass er sich "sehr komisch" verhielt. Aber sie schöpften keinen Verdacht, selbst dann nicht, als einer kurz ein junges Mädchen in Garridos Haus sah - offenkundig eine der Töchter Dugards. Die Bewährungshelfer gaben sich mit der Erklärung Garridos zufrieden, dass es eine Nichte sei.

Das Gericht in Placerville wird Ende des Monats über die beantragte Kontaktsperre entscheiden. Einen Brief von Garridos Anwältin hat Dugard dennoch schon bekommen: Darin schreibt seine Verteidigerin, dass er "keinen Groll gegen Dugard und die Kinder hegt und sie sehr lieb hat."

© SZ vom 15.2.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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