Kindesentführung in den USA:Verbrechen geklärt - dank Netflix-Doku

Kindesentführung in den USA: In Asheville, North Carolina, fielen einer Frau in einem Versandladen zwei Kundinnen auf, die ihr bekannt vorkamen.

In Asheville, North Carolina, fielen einer Frau in einem Versandladen zwei Kundinnen auf, die ihr bekannt vorkamen.

(Foto: alexeys/Imago/Panthermedia)

Sechs Jahre nach ihrer Entführung wurde die mittlerweile 15 Jahre alte Kayla Unbehaun gefunden - weil sie jemand aus der True-Crime-Serie "Unsolved Mysteries" erkannte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es klingt wie die Szene aus einem Road-Krimi: Jemand ist auf der Flucht und pausiert kurz in einem Restaurant im Nirgendwo; irgendwann schaut die Bedienung zu den unbekannten Gästen und dann zum Fernseher in der Ecke. Zu den Gästen, zum TV, und plötzlich ist klar: Das sind die, die gesucht werden! So ähnlich ist das kürzlich im US-Bundesstaat North Carolina passiert: Eine Frau bemerkte in einem Versandladen in Asheville zwei andere Kundinnen, eine davon ein junges Mädchen, und dachte sich: Die kenne ich doch - wo habe ich die schon mal gesehen?

Sie erinnerte sich: In der Netflix-Doku-Serie "Unsolved Mysteries", in der es um ungelöste Kriminalfälle geht. Die Frau verständigte erst eine Ladenmitarbeiterin und dann die Polizei - und tatsächlich: Die Jugendliche war die 15-jährige Kayla Unbehaun, die vor sechs Jahren von ihrer Mutter im etwa 1000 Kilometer entfernten Illinois entführt worden war.

Angehörige setzen auf True Crime und soziale Netzwerke

Die Beamten nahmen die Mutter, Heather Unbehaun, fest; die Tochter wurde zu ihrem Vater Ryan Iskerka gebracht. Es gehe ihr gut, teilten die Ermittler mit. Mehr Informationen gibt es derzeit nicht, also auch nicht, ob das Kind überhaupt wusste, dass es entführt worden war und wie es nun die Rückkehr zum Vater beurteilt. Der will freilich erst mal nicht reden, das National Center for Missing and Exploited Children verschickte ein Statement in seinem Namen: "Ich bin überglücklich, dass Kayla sicher zu Hause ist. Ich möchte um Privatsphäre bitten in dieser Zeit, in der wir uns neu kennenlernen und den Neustart wagen." Der Behörde zufolge ist der Fall nicht so selten: Etwa 30 000 Entführungen pro Jahr werden gemeldet, bei 1500 davon sind Familienmitglieder die Täter. Die Mutter wird laut Polizei von Asheville nach Illinois überstellt; die Beamten werden die Frage klären müssen, die auch in der Netflix-Doku gestellt wird: Was ist in diesen sechs Jahren passiert?

Die Entführung selbst ist weitgehend geklärt: Der Vater hatte seit Anfang 2017 das alleinige Sorgerecht, der Mutter standen jedoch Besuche bei und Ausflüge mit der Tochter zu. Am 5. Juli machte sie sich, das erzählte sie zumindest Nachbarn und Freunden, mit der Tochter zu einem Camping-Trip im Bundesstaat Wisconsin auf; zuletzt wurde sie beim Beladen ihres Autos gesehen, die Tochter am Tag davor bei einer Parade anlässlich des Independence Day. Jedoch: Sie kamen nie zurück von diesem Ausflug. Die Mutter hatte ihr Handy ausgeschaltet und alle Profile auf sozialen Medien gelöscht. Als Unbehaun am 7. Juli nicht zur vereinbarten Übergabe erschien, verständigte Iskerka die Polizei. Es stellte sich heraus, dass Unbehaun ein paar Wochen davor einen Gerichtstermin geschwänzt und in den Tagen vor der Tat nicht auf Kontaktversuche ihres Anwalts reagiert hatte.

Bislang ist unklar, wie es Unbehaun gelungen ist, sechs Jahre lang unerkannt zu bleiben. Ein möglicher Grund könnte die schiere Anzahl der Meldungen über Entführungen sein. 60 Prozent aller "Amber Alerts", das sind Notfallmeldungen der Polizei, die Amerikaner aufs Handy geschickt beklommen, haben mit Entführungen zu tun. Die meisten dieser Warnungen sind regional beschränkt, so wie sich die Ermittlungen der Behörden in diesem Fall zunächst auf den Bezirk Kane in Illinois beschränkten - wo Kayla Unbehaun und ihr Vater wohnten. Erst nach ein paar Tagen wurde die Bundesbehörde FBI eingeschaltet. Überhaupt etwas von einer bestimmten Entführung - zumal in einem weit entfernten Bundesstaat - zu erfahren, dürfte für die Öffentlichkeit oft schwer sein.

Weswegen Angehörige oft auf sozialen Netzwerken um Mithilfe bitten oder an True-Crime-Formaten teilnehmen. Kaylas Vater Ryan Iskerka schrieb in seinem Statement: "Ich möchte den Mitgliedern des Facebook-Forums 'Bring Kayla Home' danken; sie haben die Geschichte am Leben gehalten und für stete Aufmerksamkeit gesorgt." Die Unsolved-Mysteries-Folge über den Fall ist seit November vergangenen Jahres auf Netflix zu sehen, in Streamingzeiten versendet sich so etwas nicht. Die Polizei in Asheville sagt, dass die Frau, die Mutter und Tochter erkannte, diese Folge erst kürzlich gesehen habe und sich wohl deshalb sogleich erinnerte.

Heather Unbehaun ist derzeit gegen Kaution auf freiem Fuß, sagt Samantha Booth von der Polizei in Asheville. Sie müsse am 11. Juli vor Gericht in Illinois erscheinen, und spätestens dann dürfte geklärt werden, was sich noch immer viele Leute fragen: Was ist in den vergangenen sechs Jahren passiert?

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