Süddeutsche Zeitung

Entführung in der Wüste:Eine Attraktion für Banditen

Die Libysche Wüste galt lange als relativ sicher. Doch nun häufen sich die Berichte über Entführungen im Touristenparadies.

Jochen Temsch

Die Jeeps waren schon von weitem zu sehen, nicht aber die auf den Ladeflächen aufgepflanzten Maschinengewehre, und niemand dachte sich etwas Schlimmes dabei. Es kann schon mal vorkommen, dass man anderen Menschen begegnet, am Gebirgsblock des Gebel Uweinat, der fast 2000 Meter hoch aus der Wüstenebene zwischen Ägypten, dem Sudan und Libyen aufragt. Hier liegt das sagenumwobene Wadi Karkur Talh mit den Tausende Jahre alten Felszeichnungen, ein beliebtes Ziel für Wüstenfahrer.

Aber in diesem Fall war die Reise zu Ende für einen Schweizer, der sich das Pseudonym Philipp Moore gegeben hat, seinen Tourguide, einen ägyptischen Sicherheitsoffizier und einen Mechaniker. Die schwer bewaffneten Jeeps gehörten der Rebellengruppe Sudan Liberation Army (SLA), ihr Auftauchen war der Beginn einer zehntägigen Verschleppung in den Nordsudan.

Diese Entführung hat bereits im Februar dieses Jahres stattgefunden, bis zur aktuellen Geiselnahme im gleichen Gebiet wurde die Sache aber nicht publik. Und schon zwei Wochen vor dem Kidnapping von Karkur Talh gab es, wie ebenfalls erst jetzt herauskam, einen Überfall auf eine deutsch-englische Expedition in der Nähe der aufgelassenen britischen Weltkriegs-Landepiste "Eight Bells" im Süden des Plateaus Gilf Kebir. Bemerkenswert an diesen beiden Gewalttatten war, dass sie aus dem Rahmen fielen. Denn anders als landläufig angenommen, galt die Libysche Wüste in der Tourismusbranche bislang keineswegs als Gegend für verrückte Abenteurer, von der man kopfschüttelnd sagen muss: "Wie kann man da bloß hinfahren?" Im Gegenteil.

Die Faszination der Einsamkeit

Der aufblühende Wüstentourismus hat sich in jüngster Zeit geradezu in den Südwesten Ägyptens verlagert, weil es anderswo zu gefährlich geworden war - etwa in Niger, Mali oder Algerien, wo im Februar 2003 32 Touristen ein halbes Jahr lang gefangengehalten wurden. Spezielle Reiseagenturen haben ihre Angebote mit Ziel Gilf Kebir ausgeweitet. Es fahren zwar keine Touristenmassen in die Region, aber es gibt genügend Kundschaft auf Suche nach Natur, Einsamkeit und prähistorischen Sehenswürdigkeiten, die unter zig Jeeptour-Veranstaltern auswählen kann.

Zur Beliebtheit solcher Fahrten trug auch der Kinofilm "Der englische Patient" bei, der teils in den bis zu 80 Meter hohen Dünen des Großen Sandmeeres und im Wadi Sura im Süden des Gilf Kebir spielt, wo sich die berühmte "Höhle der Schwimmer" befindet. "Die Wüste übt eine Faszination aus, der man sich nicht entziehen kann", sagt der Autor und Mitherausgeber der "Reise Know-How"-Bücherreihe Wil Tondok, der die Libysche Wüste seit 25 Jahren bereist. Aber er meint auch, dass der stark zunehmende Tourismus in dieser einsamen Gegend Banditen anzieht, die sich früher anderswo herumtrieben.

"In der Wüste bin ich glücklich"

Unter Wüstenfans haben sich die überraschenden Übergriffe Anfang des Jahres schnell herumgesprochen. Der Überfall und die Entführung wurden im Internet diskutiert. Die Details des erstens Kidnappings stehen seit einem halben Jahr offen zugänglich auf der Website des bekannten Hobbyarchäologen und Autors Carlo Bergmann. Zwar endet der laut Bergmann als Warnung für Touristikunternehmen gedachte Bericht mit der Aussage, der Mann mit dem Alias Moore habe die Behörden nicht informiert, um sich Scherereien zu ersparen - was diesem jetzt den Vorwurf einbringt, die aktuelle Verschleppung hätte verhindert werden können, wenn sein Fall bekannt geworden wäre. Bergmann aber sagt, der zuständige ägyptische Gouverneur habe hinterher sehr wohl von der Entführung erfahren. "Die Ägypter machen sich Sorgen", sagt Bergmann, "aber aus der Wüste kann man keinen Hochsicherheitstrakt machen."

Bergmann war mit Moore unterwegs, fuhr aber nicht mit nach Karkur Talh, weil er mit einer Lungenentzündung ins Kairoer Krankenhaus musste. Der 60-jährige ehemalige Betriebswirt verbringt seit 27 Jahren die Hälfte des Jahres in der Libyschen Wüste. Meist begibt er sich zu Fuß, alleine mit Kamelen, auf die Spur prähistorischer Karawanenpfade. Er hat eine Sondergenehmigung und darf ohne Begleitschutz reisen - die Offiziere, die anfangs noch dabei waren, sind die strapaziösen Touren leid. Bergmann sagt: "Es ist gefährlich."

Er kennt die Strecken der Menschenschmuggler, die Verzweifelte Richtung Europa transportieren - oder in der Wüste verdursten lassen. Aber er hat keine Angst davor, demnächst wieder auf Tour zu gehen. Er sagt: "In der Wüste bin ich wahnsinnig glücklich." Allerdings kritisiert er auch die Auswüchse dessen, was er - gemessen an dem, was die sensible Landschaft verträgt - als "Massentourismus" bezeichnet: "Wenn ich Eselsspuren aus dem Jahr 2300 vor Christus finde und dann überall die Reifenabdrücke der Jeeps sehe, tut mir das schon weh."

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SZ vom 26.09.2008/grc
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