Die Bestätigung durch das Auswärtige Amt in Berlin war knapp gehalten: "Wir müssen von einer Verschleppung ausgehen." Und auch in Kairo ist man nicht sehr redselig: Angeblich kam es schon am Freitag, also vor drei Tagen, zu der Entführung, aber die ägyptische und die deutsche Regierung haben bisher Stillschweigen über das Schicksal der elf europäischen Touristen gewahrt.
Fünf Deutsche, fünf Italiener und ein Rumäne sollen es sein, dazu ihre ägyptischen Begleiter, wahrscheinlich waren es acht. Offenbar will man weder die längst laufende Fahndung noch die Verhandlungen mit den Entführern gefährden. Unklar ist daher zumindest offiziell, wer die Reisegruppe entführt hat im unzugänglichen Gilf Kebir, dem Dreiländereck zwischen Ägypten, Libyen und dem Sudan.
Ebenso offen ist, ob es sich um ein politisch motiviertes Verbrechen handelt oder ob die Kidnapper nur hinter Lösegeld her sind. Dass es al-Qaida nahe stehende Dschihadis sind, ist aber trotz früherer radikalislamischer Terrorakte in Ägypten eher unwahrscheinlich. Im Gilf Kebir haben Schmuggler, Beduinen und Viehdiebe das Sagen. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Entführer ihre Opfer an al-Qaida weiterverkaufen.
Im "Tal der Bilder"
Der Ort des Verbrechens ist jedenfalls mehr als spektakulär: Die Wüste des Gilf Kebir ist einer der wenigen noch unerforschten Teile Nordafrikas. 7700 Quadratkilometer Sand und Steine ziehen sich in dem südägyptischen Bergmassiv bis auf 1000 Meter über der Meeresfläche hinauf. Auf Tage verliert sich der Besucher der "großen Sperre" in einer Einöde aus Sand und Stein, die erst in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts in kleinen Teilen erkundet wurde.
Eine Reise durch den Gilf Kebir ist daher der Traum jedes Abenteuerreisenden: Hier war der berühmte ungarische Reisende und falsche Graf Lazlo Ede Almassy unterwegs. Im Ersten Weltkrieg ein Fliegerass, zwischen den Kriegen Autohändler, Forscher und vor allem Abenteurer in der Sahara und dem Gilf Kebir. Dazu Schriftsteller. Im Zweiten Weltkrieg stand "der Graf" erst auf der Seite der Engländer, dann im Dienst von Rommels Afrikakorps. Almassy war ein Grenzgänger in jeder Hinsicht.
Mitten im Gilf Kebir findet sich das berühmte, von Almassy entdeckte Wadi Sura: Im "Tal der Bilder" oder "Tal der Schwimmer" sind geheimnisvolle Bilder schwimmender Menschen auf den Fels gemalt worden. Hier wurden einige berühmte Szenen aus dem "Englischen Patienten" gedreht; Almassy war erkennbar das Vorbild für den Helden im Film und im Roman von Michael Ondaatje. Hier wollten offenbar auch die entführten Touristen hin.
Irgendwo im Gilf wird bis heute auch eine noch geheimnisvollere "goldene Stadt" aus der Antike vermutet. Und irgendwo liegen wohl auch noch die von der Sonne mumifizierten Leichen englischer, italienischer und deutscher Soldaten aus dem Afrika-Krieg. Der Gilf Kebir war eine der geheimen Frontlinien des Krieges entlang der nordafrikanischen Mittelmeerküste: Von hier aus wollten britische Soldaten Rommels Afrika-Korps mit Sabotageakten in den Rücken fallen.
Die Trecks der Schmuggler
In diesem Dreiländereck sind die Staatsgrenzen bis heute nicht klar markiert. In einer Mondlandschaft aus Sand und Steinen und unter einer quälend heißen Sonne bringen Schmuggler weitgehend ungestört Drogen, Waffen und Menschen durchs Land. Irgendwo hier ziehen aber auch die wenigen Touristentouren entlang - eine Gilf-Reise ist teuer. Sie fahren in Kolonnen aus drei, vier oder fünf Toyota-Geländewagen vorbei, begleitet meist von ein, zwei ägyptischen Polizisten.
Manchmal schreckt eine ausgedörrte Leiche am Wegesrand die Reisenden auf: Die Gilf-Schleuser bringen Flüchtlinge aus dem Sudan oder anderen afrikanischen Staaten an die libysche oder ägyptische Küste. Von dort versuchen sie in kleinen Booten die gefährliche Überfahrt übers Mittelmeer nach Europa. Wer zusammenbricht auf den Horrortrecks durch den Gilf, wird von den Menschenhändlern zurückgelassen und verdurstet.
Für die ägyptische Polizei wird es schwierig sein, die Kidnapper und ihre Opfer im Gilf Kebir aufzuspüren. Unklar ist, ob sie überhaupt noch auf ägyptischem Staatsgebiet sind, wie der TV-Sender Al-Jazeera berichtete. Vielleicht sind sie längst im Südosten Libyens oder irgendwo im Nordsudan, wie die Regierung in Kairo behauptet. Wahrscheinlich könnte die Polizei jetzt einen wie den Grafen Almassy brauchen. Der Ungar fand sich so gut zurecht in der Einöde des Gilf Kebir, das ihn die Einheimischen ehrfürchtig Abu Ramleh nannten: den "Vater des Sandes".