Entertainer Russel Brand:Biedermann und die Brandstifter

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Einst war er süchtig nach Sex, nahm Drogen und berauschte sich daran, wenn Protest chaotisch wurde - heute ist er mit Katy Perry verheiratet und erklärt die englischen Unruhen: Warum der für seine Exzesse bekannte Entertainer Russell Brand plötzlich als Stimme der Vernunft gilt.

Martin Wittmann

Wie erklärt man die Faszination von Gewalt? Vielleicht so: "Ich war auch oft bei Demos. Und damals, in meinen frühen 20ern und auf Drogen, hat es mir immer dann besonders Spaß gemacht, wenn der Protest die Richtung verlor. Wenn es chaotisch wurde, ja, feindselig. Ich war fasziniert vom schwarzen Block, von den Kapuzen und Masken."

Ehepaar Perry/Russell bei einem Auftritt in Beverly im Jahre 2010 (Foto: AP)

Und wie erklärt man, dass man selbst dennoch friedlich blieb? "Ich hatte eine Mutter, die mich liebte, und einen Dad, der mir sagte, dass nichts unerreichbar ist, zudem ein Stipendium der Grafschaft Essex (um Schauspieler zu werden!) und einige andere Finanzhilfen für meinen Lebensunterhalt."

Beide Zitate standen am Freitag im britischen Guardian, als Teil eines drei Seiten langen Kommentars über die Motive der prügelnden Jugendlichen, die - versteckt hinter Kapuzen und Masken - das Königreich vergangene Woche heimgesucht hatten. Der Autor beschreibt sich selbst als albernen Voyeur ohne Leidensdruck, dem es viel zu gut ging für Straßenkämpfe.

Die trugen und tragen jene aus, die keine privilegierte Erziehung, keinen Rückhalt in der Familie und vor allem "kein Geld und keine Möglichkeit, welches zu bekommen" haben. Sportgeschäfte seien "vermutlich einfacher zu schänden, wenn man sich die Sachen dort nicht leisten kann und die wenigen schlecht bezahlten Arbeitsplätze dort besetzt sind".

Der Name des Autors war so ungewöhnlich wie der Tonfall seines Artikels, der persönlicher und nachvollziehbarer war als vieles andere, was sonst zum Thema geschrieben worden war: Russell Brand. Der schlaksige Schauspieler ist den meisten bestenfalls aus den Klatschspalten bekannt - als Ehemann der Sängerin Katy Perry, der vor Kameras gerne wirr und anstößig daherredet. Oder als Hollywood-Schauspieler, der in der Komödie "Get him to he Greek" die Hauptrolle bekam. Dass er aber, wenn er will, etwas zu sagen hat, wussten wohl die wenigsten.

Als Brand das erste Mal im Jahr 2000 als MTV-Moderator auf sich aufmerksam machte, mussten die englischen Boulevard-Zeitungen gar nicht in seiner Vergangenheit schnüffeln, um den metrosexuell anmutenden Provokateur porträtieren zu können. Brand selbst rieb seine Geschichte jedem unter die Nase, und wer seinen starken Essex-Akzent verstand, erfuhr noch das Privateste.

Spätestens seit dem Erfolg seiner Autobiographie "My Booky Wook" vor vier Jahren scheint alles über den selbsternannten Narziss aufgeschrieben, der noch nie etwas anderes gegoogelt haben will als seinen eigenen Namen. 43 Millionen Treffer werden derzeit in der britischen Version der Suchmaschine angezeigt.

Das ist das Zwanzigfache der Treffer für die Suche nach Grays, seinem Geburtsort, aber nur ein Fünftel der Suchergebnisse für Pop-Sängerin Katy Perry, seine Ehefrau. Zwischen diesen beiden Polen muss man suchen, will man das haarige Phänomen ergründen. Man findet eine Biographie so durchsetzt mit Traumata, dass die von ihm angesprochenen Privilegien kaum zu entdecken sind.

Im Sommer des Jahres 1975 wurde Brand im Osten Englands geboren, als einziges Kind eines Paares, das sich im folgenden Winter scheiden ließ. Er wuchs bei der Mutter auf, die erst an Gebärmutterkrebs, dann an Brustkrebs, später an Lymphdrüsenkrebs erkrankte. Als er sieben Jahre alt war, wurde er von einem Lehrer sexuell missbraucht. Früh nahm er LSD, Amphetamine und Ecstasy. In der Pubertät litt Brand unter Bulimie und war manisch-depressiv. Sein Vater, zu dem er weiter Kontakt hielt, schleppte ihn ins Fußballstadion und ins Bordell.

Mit 15 trat er das erste Mal in einem Theater-Stück seiner Schule auf. Talentiert wie der Junge war, bekam er ein Stipendium und besuchte die Conti Schauspielschule in London. Von dort wurde er jedoch bald verbannt, wegen Drogengeschichten. Ein zweiter Versuch an einer Schauspielschule, dieses Mal am Drama Centre, scheiterte, weil Brand nach einem Auftritt kritisiert wurde und daraufhin mit den Scherben eines zerbrochenen Glases auf seinen Oberkörper einstach.

Die Schule warf ihn hinaus, und Brand pflegte fortan seine Vielseitigkeit: Als Stand-up-Comedian, Moderator, Schauspieler, Kolumnist beim Guardian und Autor. Gewohnt hat er in diesen Jahren in vielen Vierteln, in denen es nun krachte.

In einem Interview mit der SZ zählte er vergangenes Jahr die Stationen seiner gescheiterten Karrieren auf und offenbarte dabei seinen oft grenzwertigen Humor: Einmal habe er als Moderator Obdachlose mit in die Radiostation gebracht, mit denen er sich auf Sendung eine Crackpfeife teilte. "Dann verlor ich meinen Posten bei MTV, weil ich am 12. September 2001 als Osama bin Laden verkleidet auf dem Schirm auftauchte."

Ein anderes Mal sei er gefeuert worden, weil er auf einer Kreuzfahrt Witze über die offensichtlich frisch operierte Frau eines Gastes gemacht habe. Dass Brand trotz seiner Rausschmisse immer wieder neue Jobs bekommen hat, mag ob dieser Skandale verwundern. Doch hat sich der Brite bei Fans und Kritikern einen blendenden Ruf erquatscht, mit Charme, Cleverness und vor allem mit seiner Offenheit. Diese drei Tugenden sind es auch, die seinen Blick auf die britischen Krawallen so zugänglich und seinen Nachruf auf Amy Winehouse vor drei Wochen so bewegend machen.

Neben kontroversen Auftritten zieht sich ein zweiter roter Faden durch Brands Biographie: Er ist besessen. Von sich, von Sex, von Drogen. Heroin und Alkohol gehörten einst zum Alltag, auch bei der Arbeit. Einmal brachte er seinen Dealer mit in die MTV-Studios und schaffte es, diesem die Sängerin Kylie Minogue vorzustellen. Sein Agent schickte ihn zum Entzug, wo er mit Hilfe eines Gurus clean wurde.

Später soll er auch wegen Sex-Sucht behandelt worden sein, angeblich weniger erfolgreich. Dank vieler One-Night-Stands, seiner Orgien mit Stripperinnen, Nutten und B-Promis und einer Liaison mit Kate Moss verlieh die Sun dem Entertainer zwischen 2006 und 2008 dreimal in Folge den "Vögler des Jahres"-Preis. Seitdem heißt die Auszeichnung "The Russell Brand Shagger of the Year Award". So kann ein Lebenswerk auch aussehen.

Hollywood also erwartete einen tragischen Clown, als der 1,90-Mann aus England vor fünf Jahren nach Amerika kam. Ausgerechnet im Sündenpfuhl scheint der Mann sich nun gefangen zu haben. Er will zahm geworden sein. Auf Partys gehe er nicht mehr. "Ich trinke nicht, nehme keine Drogen und ich schlafe auch nicht mehr mit fremden Frauen. Für mich gibt es keinen Grund mehr, mein Sofa zu verlassen", sagte er im SZ-Interview. Täglich telefoniere er mit seiner Mutter. Es klingt öde. Aber wenn Mister Brand in seinem biederen neuen Leben Texte schreibt, wie den, der nun im Guardian erschien (und in seinem Blog: russellbrand.tv), dann muss man sein Sofa-Dasein gutheißen.

In seinem Text entschuldigt Brand die "traurigen und Angst einflößenden" Krawalle übrigens keineswegs. Aber nicht nach den Gründen zu suchen, (...), hält er für ebenso unverzeihlich. Denn: "Wenn die Nachrichten nicht morgen berichten, dass es einen irren, Verbrechen auslösenden Chemieunfall in London und Manchester und Birmingham gegeben hat, der junge Leute spontan und simultan ihre Umgebung angreifen lässt - (...) aber ich bezweifle, dass dem so ist - müssen wir uns, als menschliche Wesen, gemeinsam ein paar Gedanken machen."

© SZ vom 16.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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