England: Neue Behörde:"Die Gesellschaft wird paranoid"

Wer in England Kontakt mit Kindern hat, muss sich nun registrieren lassen. Die Regierung will so vor Pädophilen schützen, die Öffentlichkeit ist empört.

Wolfgang Koydl, London

Lehrer natürlich und Kindergärtnerinnen, aber auch Gärtner und Köche, Krankenschwestern und Sporttrainer, Ärzte und Medizinstudenten, Putzfrauen, Bibliothekare und Chorleiter - sie alle müssen sich ab sofort bei einer neuen britischen Behörde registrieren und von ihr überprüfen lassen, wenn sie häufig Umgang mit Kindern haben.

Und als häufig definiert die Website der Independent Safeguarding Authority (ISA) bereits einen einmaligen Kontakt im Monat. Wer dreimal monatlich mit Kindern zu tun hat, die nicht die eigenen sind, steht in "intensivem" Kontakt.

Antwort auf einen Doppelmord an zwei Zehnjährigen

Insgesamt elf Millionen Britinnen und Briten werden von dem neuen Register erfasst, mit welchem die Regierung versucht, Minderjährige vor Pädophilen zu schützen. Die ISA war als Antwort auf einen Doppelmord an zwei zehnjährigen Mädchen im ostenglischen Ort Soham vor sieben Jahren empfohlen worden. Doch erst jetzt nahm die Behörde ihre Arbeit auf.

Wer sich nicht registrieren lässt, kann mit einer Geldstrafe von bis zu 5000 Pfund belangt werden und wird ins Strafregister eingetragen. Die ISA hat das Recht, Erwachsenen den Umgang und die Arbeit mit Kindern oder verletzlichen Erwachsenen zu verbieten, wenn sie ein Risiko erkennt, dass die betreuten Personen emotional, physisch oder sexuell verletzt werden könnten.

Die Schuldvermutung liegt niedriger als bei einem ordentlichen Gericht, und es ist noch nicht einmal notwendig, das 14-seitige Formular auszufüllen, mit dem mutmaßliche Täter gemeldet werden. Die ISA kann auch auf Hinweise aus der Öffentlichkeit hin oder auf der Grundlage von Zeitungsberichten aktiv werden.

Die 200 Mitarbeiter der ISA sind darüber hinaus angehalten, Risiko-Profile verdächtiger Personen zu erstellen, um mögliche künftige Übergriffe im Keim zu ersticken. Dazu dürfen sie "Interessen, Einstellungen, Beziehungen und Lifestyle" untersuchen.

"Schwere emotionale Einsamkeit" etwa, eine "impulsive, chaotische und instabile Lebensführung" oder die Verwendung berauschender Substanzen zur Bekämpfung von Stress können demnach Alarmsignale auslösen. Das Glas Rotwein nach einem harten Tag, so scheint es, birgt das Risiko, als Kinderschänder abgestempelt zu werden.

"Ich werde jetzt verdächtigt, ein Kinderschänder zu sein"

In der britischen Öffentlichkeit hat die Einrichtung der Behörde zunächst Unverständnis und dann lebhafte Proteste ausgelöst. Die Regierung stellt zwar lebhaft in Abrede, dass auch informelle Vereinbarungen zwischen Eltern von den neuen Vorschriften erfasst würden.

Doch wer regelmäßig die Nachbarskinder im Auto mit zur Schule nimmt, beim Fußballtraining einmal im Monat aushilft, oder die Hausaufgaben einer Gruppe von Schülern überwacht, erfüllt bereits die Voraussetzungen "häufigen" Umgangs.

Für den Jugendschriftsteller Philip Pullman ("His Dark Materials", "Der goldene Kompass") wirken die neuen Vorschriften "zersetzend auf gesunde soziale Kommunikation". Er hat aus Protest alle Lesungen an Schulen abgesagt, weil auch er sich deshalb hätte registrieren lassen müssen.

Der mittlerweile pensionierte Kriminalkommissar Chris Stevenson, der die Soham-Ermittlungen leitete, sprach davon, dass die Gesellschaft "paranoid" geworden sei. Ihm selbst war kürzlich verboten worden, seinen neunjährigen Enkel bei einem Fußballspiel zu fotografieren. Bereits gemachte Aufnahmen musste er löschen. "Ich fühlte mich erniedrigt", erklärte er. "Ich werde jetzt verdächtigt, ein Kinderschänder zu sein, zusammen mit Millionen anderen Eltern und Großeltern."

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