Süddeutsche Zeitung

Empörung in Lateinamerika:Die Schwäche des Papstes

Nach seinen eigentümlichen Äußerungen in Auschwitz und Regensburg hat Benedikt XVI. erneut für Empörung gesorgt. Am Ende seiner Brasilien-Reise behauptete er, dass sich die Ureinwohner "im Stillen" danach gesehnt hätten, das Christentum kennenzulernen.

Matthias Drobinski

Glaubt man den Äußerungen Papst Benedikts XVI., ist den Ureinwohnern Lateinamerikas der neue Glaube nicht aufgedrängt worden. Wahrscheinlich war es also Anfang Oktober 1492 so, dass zwischen Mexiko und Feuerland die Menschen verstohlen aufs Meer blickten und dachten: "Wo sie nur bleiben? Wann endlich dürfen wir Indianer heißen und Christen werden?"

Johannes Paul II. hat sich für das schreckliche Unrecht entschuldigt, das den Bewohnern Mittel- und Südamerikas im Namen Jesu bei der Kolonisierung des Kontinents geschehen ist. Sein Nachfolger hat es nun verharmlost, in dem er das Ergebnis von Mord, Totschlag und Ausbeutung spiritualisiert: Am Ende haben die Überlebenden Christus erkannt, und das war gut so.

In Auschwitz hat Benedikt Eigentümliches zur Machtergreifung der Nationalsozialisten gesagt, in Regensburg die Muslime gegen sich aufgebracht, nun empören sich die Indianer. In historisch-politischen Dingen zeigt der gebildete Joseph Ratzinger erschreckende Schwächen.

Das tut jenen Christen Unrecht, die wie Bartholomé de Las Casas an der Seite der Ureinwohner standen. Und es bleibt nicht des Papstes Anklage gegen Egoismus, Macht- und Profitgier in Erinnerung, sondern eine verunglückte Textpassage.

Man kann Glaube, historische Verantwortung und konkrete Politik nicht so scharf trennen, wie das Papst Benedikt denkt. Ja, es geht selten richtig gut, wenn ein Kirchenmann Politiker wird. Aber es genügt auch nicht, nur einen frommen Franziskaner heilig zu sprechen, der die Leute Papierkügelchen mit Gebeten schlucken ließ, um sie zu heilen.

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Quelle:
SZ vom 16.5.2007
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