Süddeutsche Zeitung

Mönchengladbach:Schülerin stirbt auf London-Fahrt - Anklage gegen zwei Lehrerinnen erhoben

Die 13-jährige Emily hat Diabetes, als sie 2019 auf einer Schulfahrt in London stirbt. Jetzt wurden zwei mitreisende Lehrerinnen angeklagt.

Von Jana Stegemann

Fast drei Jahre ist es her, dass Kay Schierwagen seine Tochter Emily beerdigen musste. Die 13-Jährige war während einer Schulfahrt in London nach extremer Überzuckerung gestorben. Zu diesem Zeitpunkt war Emily seit sechs Jahren Typ-1-Diabetikerin gewesen, trug dauerhaft eine Insulinpumpe.

Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach hatte damals gegen die mitreisenden Lehrkräfte einer Mönchengladbacher Gesamtschule, drei Lehrerinnen und einen Lehrer, wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt - das Verfahren jedoch Anfang 2021 eingestellt. Es habe, so hieß es damals von der Staatsanwaltschaft, nicht nachgewiesen werden können, dass diese Lehrkräfte "Kenntnis von Emilys Erkrankung" hatten. Emilys Vater war mithilfe seines Rechtsanwalts Wolfgang Steffen dagegen vorgegangen, dieser hatte eine Wiederaufnahme der Ermittlungen erwirken können.

Nun hat die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach Anklage gegen zwei der mitreisenden Lehrerinnen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen erhoben, wie eine Behördensprecherin bestätigte. SZ-Informationen zufolge hatten neue Ermittlungen ergeben, dass die beiden Lehrerinnen vor der Fahrt keine Vorerkrankungen der mitreisenden Schüler abgefragt haben sollen. Dazu wären sie aber gemäß einem Erlass des Schulministeriums verpflichtet gewesen. Gegen die anderen beiden Lehrkräfte wurde das Verfahren erneut eingestellt.

Erst am Tag der Abreise ruft eine Lehrerin den Notarzt

Emilys Vater ist die Erleichterung über die Anklageerhebung am Telefon anzuhören. "Gerechtigkeit siegt. Ich habe geweint vor Freude", sagt Kay Schierwagen am Dienstagabend. Seit Sommer 2019 kämpft er für die juristische Aufarbeitung von Emilys Tod. Er glaubt, seine Tochter hätte gerettet werden können, wenn ihr damals in London rechtzeitig geholfen worden wäre. "An Diabetes stirbt man doch nicht", hatte Schierwagen im Februar 2020 gesagt, "nur wenn einem keiner hilft." Auch ein medizinisches Gutachten hatte ergeben, dass Emilys Tod vermeidbar gewesen wäre, wenn ihre Ketoazidose früher ärztlich behandelt worden wäre.

Als Aufsichtspersonen hätten die Lehrkräfte bereits dem ersten Hinweis der Mitschülerinnen nachgehen und ärztliche Hilfe holen müssen, hatte Wolfgang Steffen argumentiert. Der Krefelder Jurist gilt als Strafrechtsexperte und war vor seiner Pensionierung Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf.

An der London-Fahrt vom 26. bis zum 30. Juni 2019 hatten 80 Schülerinnen und Schüler im Alter von 13 bis 18 Jahren teilgenommen. Nach Aussagen von Mitschülern und Zimmernachbarinnen soll es Emily bereits am Morgen nach der Ankunft schlecht gegangen sein, sie habe sich oft übergeben müssen, sei desorientiert gewesen, habe viel geschlafen. Die gleichaltrigen Freundinnen wollen sich laut Ermittlungsakte, die die SZ einsehen konnte, direkt an die mitreisenden Lehrkräfte gewandt und auf Emilys Zustand hingewiesen haben.

Doch die sollen erst gar nicht und dann nur flüchtig nach Emily geschaut haben, ließen das kranke Mädchen sogar mit zwei gleichaltrigen Freundinnen einen ganzen Tag alleine im Hotel. Erst am Tag der Abreise ruft eine Lehrerin den Notarzt. Emily hat da einen Blutzuckerspiegel von 1470, normal ist nach einer Mahlzeit ein Wert von unter 140. Das Mädchen wird noch im Hotel reanimiert, stirbt jedoch Tage später an einem Herzinfarkt.

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