Buhrufe gegen Musk:Elon Musk und die Realität

Buhrufe gegen Musk: Dave Chappelle (rechts) und Elon Musk in einer Fotokombination. Der Comedian lud den Milliardär während einer Show in San Francisco auf die Bühne ein, woraufhin laute Buhrufe die Arena erfüllten.

Dave Chappelle (rechts) und Elon Musk in einer Fotokombination. Der Comedian lud den Milliardär während einer Show in San Francisco auf die Bühne ein, woraufhin laute Buhrufe die Arena erfüllten.

(Foto: Reuters, AP)

Der Twitter-Chef wird bei einer Comedy-Show auf die Bühne gerufen und ausgebuht. Keine große Sache eigentlich. Interessant ist, wie Musk einen Tag später darauf reagiert.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Reality Check" nennen sie in den USA diesen Moment, den Elon Musk am Sonntagabend im Punchline Comedy Club von San Francisco erlebt hat. Grundsätzlich ist das ja eine gute Sache, sich mal aus seiner Wohlfühlblase zu entfernen und zu erfahren, was wirklich los ist. Allerdings zeigt das, was seit Musks Kurzauftritt in der Show des Komikers Dave Chappelle passiert ist, wie sehr sich der selbsternannte Welt- und Menschheitsretter offenbar von der Wirklichkeit entfernt hat. "Ist das real?", fragte der Tesla- und Twitter-Chef noch auf der Bühne: "Ich glaube, wir sind in einer Simulation."

Chappelle hatte ihn gegen Ende seines Auftritts auf die Bühne geholt und als den reichsten Menschen der Welt vorgestellt. Wie auf Videos zu sehen ist, gab es zunächst Jubel und Buhrufe gleichermaßen. Nichts Ungewöhnliches bei einer streitbaren Person wie Musk, zu dessen Lieblings-Hobbys die Provokation gehört. Recht schnell aber nahmen die Buhrufe zu, Jubel gab es kaum noch. Auch das ist auf den Videos zu sehen, und zahlreiche Anwesende bestätigten den Eindruck danach. "Gut 80 Prozent des Stadions haben gebuht", schätzt zum Beispiel ein Twitter-Nutzer namens James Yu.

Musk steht verblüfft und auch ein wenig unbeholfen auf der Bühne; er scheint sich aufrichtig zu wundern, was da gerade passiert. Am Ende fordert ihn Chappelles Komiker-Kollege Chris Rock auf, den berühmten Satz von Chappelle zu brüllen, und Musk gehorcht: "I'm rich, bitch!" Wieder buhen die Leute. Nun ja, das kann einem Promi schon mal passieren. Ende der Geschichte, eigentlich.

Interessant ist, was danach passiert ist.

Das Video von den Buhrufen war zunächst auf dem Twitter-Account CleoPat4893885 zu sehen gewesen; am Montagmittag jedoch ist dieser Account nicht mehr verfügbar - was zu Gerüchten führt, dass Musk, der sich selbst als "Absolutist der freien Rede" bezeichnet, verfügt habe, den Account zu löschen. Beweise dafür gibt es nicht, es könnte auch sein, dass der Besitzer des Accounts ihn selbst gelöscht hat. Man würde dazu gern bei der Twitter-Pressestelle um Auskunft bitten; aber die gibt es nicht mehr, seit Musk den Konzern übernommen hat. Anfragen an Personen, die dafür zuständig sein könnten, bleiben unbeantwortet.

Und schon geht es weiter: Musk fabriziert nun einen klassischen Trump. Dessen damaliger Pressesprecher Sean Spicer hatte über Trumps Amtseinführung 2017 behauptet: "Es waren die meisten Zuschauer der Geschichte. Ende." Das war nachweislich eine Lüge. Musk schreibt bei Twitter über seinen Auftritt: "Genau genommen waren es 90 Prozent Jubel und zehn Prozent Buhrufe (außer während ruhiger Momente); aber das sind immer noch viele Buhrufe, was im wirklichen Leben neu für mich ist (häufiger auf Twitter). Es ist fast so, als hätte ich die gestörten Linken in SF beleidigt ... aber Neiiiiiiiiiiin".

Kann sein, dass Musk auf der Bühne etwas anderes gehört hat als die Leute auf der Tribüne. Wobei Chappelles Publikum nun wirklich nicht im Verdacht steht, linksgrünversifft zu sein: Dem Komiker wurde in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, homo- und transphob zu sein. Es dürfte demnach eher ein Dave-Chappelle- als ein typisches San-Francisco-Publikum gewesen sein. Die Stadt ist überaus linksliberal, bei der Präsidentschaftswahl 2020 stimmten 85 Prozent der Einwohner für Joe Biden - während Musk kürzlich vor den Midterms dafür warb, für die Republikaner zu stimmen.

Was Musk meint, lässt sich nicht eindeutig klären

Musk macht weiter, er schreibt: "Die Branch Covidians sind enttäuscht." Es lässt sich nicht eindeutig klären, was dieser Begriff bedeutet. Die Definition der Webseite Urban Dictionary, auf der Leute popkulturelle Begriffe erklären: Menschen, die eine Krankheit anbeten, in Furcht leben und einverstanden sind damit, ihre Freiheit aufzugeben - das Vorurteil über alle jene, die während der Pandemie ein wenig vorsichtiger sind. Auf jeden Fall ist es eine Anspielung auf die "Branch Davidians", eine Sekte in den 1990ern. Musk schreibt weiter: "Das Woke-Virus in den Gehirnen muss besiegt werden - oder nichts mehr ist von Bedeutung." Wieder ist nicht klar, was genau er damit meint.

Was klar ist, und der Milliardär dürfte dieser Einschätzung sicherlich zustimmen: Elon Musk lebt in einer anderen Realität als alle anderen.

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