Freitagnachmittag im Deutschen Museum in München. Wie jeden Tag steigt ein Mitarbeiter in eine Drahtgitterkugel, lässt sich nach oben ziehen, das Deckenlicht geht aus. Zweihundert Besucher legen ihre Köpfe in den Nacken. Sie wollen sehen, was mit dem Mann passiert, wenn der Metallkäfig unter 220 000 Volt Spannung gesetzt wird.
Dem Mann passiert - nichts.
Jeden Tag zeigt das Deutsche Museum Stromexperimente, dass es blitzt und knallt, wenn sich unfassbare 220 000 Volt entladen. Die Menschen lieben die Vorführungen, weil sie die Gefahr sehen.
Die Gefahr, mit der sich Dieter Kugler beschäftigt, ist unsichtbar. Sie heißt: Elektromagnetische Strahlung. Handys, Smartphones, Wlan, Bluetooth, Hochspannungsleitungen, all das strahlt. Fünf Milliarden Handys und Smartphones werden zurzeit weltweit benutzt. Hunderttausende Mobilfunkantennen sorgen dafür, dass man in Israels Negev-Wüste und auf dem Marienplatz telefonieren kann. Was machen die Strahlen mit den Menschen?
Dieter Kugler ist kein Arzt, er ist Geobiologe. Auf seiner Internetseite verspricht er: "Gesundes Wohnen und Leben durch Vermeidung schädlicher Strahlenbelastung." Rund 20 000 Schlafplätze hat Kugler bislang untersucht. Hat mit Wünschelruten Wasseradern und Benker-Linien aufgespürt, mit Messgeräten hochfrequente Strahlungen von Mobilfunkantennen und Wlan-Adaptern ausfindig gemacht. Er kümmert sich um die, bei denen die Schulmedizin versagt: die Elektrosensiblen.
Heute gibt es kaum noch einen Flecken Erde, auf dem er keine Funkstrahlung vorfindet
Es ist ein sonniger Dienstagmorgen, Kugler ist auf dem Weg nach Starnberg. Er besitzt kein Smartphone, sondern nur ein altes Nokia-Handy. Sobald er im Auto sitzt, stöpselt er es in die Freisprechanlage, die mit einer Antenne verbunden ist. Handys im Auto, sagt er, "das tu ich mir nicht an. Die Strahlen müssen ja auch durchs Blech." Zehntausende Kilometer fährt Kugler jedes Jahr mit dem Auto. Vor ein paar Jahren wollte er sich einen Oberklassewagen kaufen, den Verkäufer fragte er: "Und wie steht es mit den magnetischen Wechselfeldern?" Der Verkäufer verstand nicht, von was die Rede war. Kugler maß 4000 Nanotesla (nT), der empfohlene Richtwert liegt bei 200 nT. Er verzichtete auf den Kauf. Heute fährt Kugler einen Renault Laguna, dessen elektrisches System maximal 100 nT produziert.
In gewisser Weise lebt Dieter Kugler auch vom Internet- und Handyboom. Früher, sagt er, "da war die Hauptstrahlung noch Erdstrahlung". Heute gibt es kaum noch einen Flecken Erde, auf dem er keine Funkstrahlung vorfindet. Manche Menschen halten Kugler für ihren Lebensretter. Dabei verspricht er nie das Blaue vom Himmel. Er rät sogar zur Skepsis gegenüber Wünschelrutengehern: "Die meisten Abschirmmaßnahmen gegen Erdstrahlen sind sinnlos und kosten nur Geld." Von seinem Klienten in Starnberg weiß Kugler an diesem Dienstag nur Adresse und Telefon. Er fragt nie, weshalb man ihn anruft. Er möchte unbefangen bleiben.
Der Unternehmer Stefan Möllinger lebt in Starnberg in einer 200-Quadratmeter-Wohnung mit phänomenalem Blick auf Starnberger See und Alpen. Ein Traum. Doch für Möllinger ist die Wohnung ein Albtraum geworden. Hält er sich länger in ihr auf, kribbelt es in den Beinen, schmerzen Kopf und Rücken. Legt Möllinger sich ins Bett, bleibt er wach. Schläft er doch ein, wacht er nach einer Stunde auf. Im Gästezimmer, ohne Seeblick, schläft Möllinger am besten. Über eine Million Euro hat die Wohnung gekostet.
Schon beim Einparken hat Dieter Kugler die Mobilfunkantenne entdeckt. Im Lauf der Jahre hat er ein Antennenauge entwickelt. "Das ist ja das Problem heute mit den Penthouse-Wohnungen: Man steht da auf den Terrassen und sieht Dutzende Mobilfunkantennen." Von Möllingers Terrasse aus sieht man den Funkmasten, der für UMTS-, D-, E- und Digitales-Fernseh-Netz sendet. 207 Meter liegen zwischen Mast und Möllingers Luxuswohnung. Kugler misst die Strahlung der Antenne auf Möllingers Terrasse. 14 100 Mikrowatt. "Der Idealwert im Freien läge bei zehn Mikrowatt." Unmittelbar am Antennenmast beträgt die Strahlung fünf Millionen Mikrowatt. Wenn an Antennenmasten gearbeitet wird, muss die Antenne ausgestellt werden, obwohl der zulässige Grenzwert in Deutschland bei zehn Millionen Mikrowatt liegt. "Sie können Ihre Terrasse eigentlich nicht benutzen", sagt Kugler. Stefan Möllinger wird nicht wütend. "Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie ehrlich reden." Als er die Wohnung gekauft hatte, war die Antenne von einer Birke versteckt, bis die Birke gefällt wurde.
Kugler findet keinen strahlungsarmen Ort in Möllingers Wohnung. Direkt am Wlan-Router misst er 44 000 Mikrowatt, Kugler sagt: "Das ist Mikrowelle pur." Möllinger stöpselt den Wlan-Router aus - schon bleiben die Töne des Messgeräts aus. Kugler misst auch im Schlafzimmer, wo Stromleitungen hinter den Wänden abstrahlen. "Da sind keine abgeschirmten Leitungen verlegt worden", sagt er. Kugler empfiehlt Wlan-Router, die sich von selbst ausschalten, wenn man länger nicht im Internet gesurft hat. "Aber die Antenne können Sie nicht ausknipsen. Das ist jetzt einer der ganz wenigen Fälle, wo ich sage: Verkaufen Sie die Wohnung." Einen Moment lang schweigt Möllinger. "Alle staunen, wenn sie die Wohnung betreten", sagt er schließlich. "Aber was nutzt mir der schönste Seeblick, wenn ich mich zu Hause unwohl fühle?" Er beschließt, eine neue Bleibe zu suchen.
Kugler packt seine Messgeräte ein und nimmt einen Schluck Mineralwasser. "Man muss sich hüten zu sagen, Strahlen seien unsere größte Gefahr", sagt er. "Erst in 20 Jahren wissen wir genau, welche Langzeitfolgen es haben kann, wenn man zu sehr dem Elektrosmog ausgesetzt ist." Dennoch ist er überzeugt: "Eine Mobilfunkantenne vorm Schlafzimmer? Besser nicht."
Kugler empfiehlt seinen Kunden, Smartphones nicht in den Hosentaschen zu tragen. "Hinterher wundern sich die Männer, dass ihre Spermien so schlecht sind." Vor Kurzem hat er seine Bahncard abgegeben, er fährt jetzt nicht mehr ICE. "Früher gab es in Zügen Raucher- und Nichtraucherabteile, heute gibt es nur noch Abteile mit Wlan. Internet und E-Mails sind klasse, aber ich möchte entscheiden, wann ich online bin."
Jahrzehntelang war Dieter Kugler Verkaufsleiter in der Pharmaindustrie. Ein Job, in dem er gut verdiente, aber nicht zufrieden war: "Ich habe dabei geholfen, möglichst viele Tabletten zu verkaufen. Ich habe Menschen nicht gesund gemacht, sondern den Umsatz gesteigert." In den Achtzigerjahren erhielt er das Angebot, Abschirmgeräte zu verkaufen, die vor Energiefeldern unterirdischer Wasseradern schützen sollten. "Doch ich habe gemerkt: Die Geräte taugen nichts." Trotzdem hat er eine Wünschelruten-Ausbildung gemacht. In den Neunzigerjahren wurde Kuglers Hobby zum Beruf. Heute ist es seine Berufung.
Entdeckt er bei Kunden Betten, die über Wasseradern oder Benker-Linien stehen, empfiehlt er ihnen, sie umzustellen. Die Wünschelruten-Theorie besagt, dass Benker-Linien energetisch auf- und abladende Wirkung haben und an diesen Stellen überproportional schwere Erkrankungen auftreten. Eine von Kuglers Standardtipps lautet auch: Weit weg von Steckdosen und Stromleitungen schlafen. Die meisten Stromleitungen seien nicht isoliert, sendeten also elektrische Felder aus, selbst wenn man die Leselampe längst ausgestellt hat. Deshalb rät Kugler zu Netzfreischaltern, mit denen man den Stromverkehr in einem Zimmer ausstellen kann.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Handystrahlen als "möglicherweise krebserregend" eingestuft. Und in Schweden gelten Elektrosensible als "körperlich beeinträchtigt", sie haben ein Recht auf einen elektrosmogfreien Arbeitsplatz. In Stockholm bezahlt die Stadtverwaltung Betroffenen die Abschirmung ihrer Wohnung und finanziert spezielle Wandfarbe und die Isolierung von Stromkabeln. In Deutschland halten viele Menschen das, was Kugler macht, für Humbug. Wenn man ihn einige Tage begleitet, macht man aber eine erstaunliche Erfahrung: Seine Kunden sind keine weltfremden Spinner. Eine Immobilienmaklerin aus München sagt: "Immer mehr Kunden lassen unsere Häuser und Wohnungen auf Elektrosmog und Energiefelder untersuchen."
Dieter Kugler lebt in Bad Heilbrunn, zwischen Starnberger See und Tegernsee gelegen. Und zwar strahlungsarm. Zwei Mobilfunkantennen sind aus dem Ortskern verschwunden. Die eine stand auf dem Dach des Post-Hotels, das abgerissen wurde, die andere auf dem Rathaus. Der Bürgermeister von Bad Heilbrunn hat den Vertrag mit der Mobilfunkfirma nicht verlängert, auch, weil Dieter Kugler dafür geworben hatte. Die Antenne steht jetzt am Ortsrand. Kuglers Traum wäre es, in Bad Heilbrunn ein Hotel für Elektrosensible zu eröffnen.
Strahlen aus Mobilfunkantennen und Handys sind ein hochemotionales Thema. Die einen sind überzeugt, sie seien harmlos, die anderen halten sie für krankmachend. Gewissheiten gibt es keine, noch nicht einmal beim Bundesamt für Strahlenschutz. Dort drückt man sich sehr verschwiemelt aus: "Hinsichtlich der Frage der Elektrosensibilität haben sich die Indizien verdichtet, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer Exposition mit elektromagnetischen Feldern und unspezifischen Symptomen besteht." Dasselbe Bundesamt gibt aber zugleich den Tipp: "Schnurgebundene Festnetztelefone sind Schnurlos-Telefonen vorzuziehen." Auch sei es wichtig, "zum Schutz der Verbraucher" Grenzwerte bei einem Handytelefonat einzuhalten. Warum? "Damit wird verhindert, dass sich einzelne Teilbereiche des Körpergewebes überwärmen. Eines besonderen Schutzes bedarf das Auge, das Wärme schlecht abführen kann."
Kundenbesuche sind für Dieter Kugler immer auch Gratwanderungen. "In meinem Job erleben Sie auch Elektrosensible, wo man nicht mehr weiß, ob die sich das einbilden oder ob ihr Unwohlsein tatsächlich von Magnetfeldern und Strahlungen herrührt. Manchmal muss ich auch Psychologe spielen." In den meisten Fällen aber, sagt er, "sind Antennen und Wlan-Geräte schon die Bedrohung". Zu seinen Klienten gehören Professoren und Prominente ebenso wie "türkische Angestellte, die nicht mehr schlafen können". Seine Besuche dauern in der Regel vier Stunden, anschließend erhalten die Kunden ein Protokoll inklusive Tipps. 400 Euro kostet der Hausbesuch.
Professor Markus Antonietti, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, telefoniert nie zu lange mit dem Mobiltelefon. "Offensichtlich überleben wir das Telefonieren mit dem Handy, aber was sind die Langzeitfolgen?" Die Nervenzellen im Kopf seien besonders sensitiv für Handystrahlungen. Die Hersteller hätten inzwischen aber schon reagiert und die Sendeleistung reduziert, wenn nicht telefoniert werde. Cora Weber, Internistin und Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie an der Berliner Charité-Klinik, hat oft Patienten, die über eine individuelle Sensibilität auf Elektrosmog klagen. Sie schaue dann auch stets, ob noch ein anderer psychischer Leidensdruck existiere wie etwa Gereiztheit, Depressionen oder Schlafstörungen. Dennoch sagt auch sie, dass es Hinweise gebe auf Änderungen an der Zellmembran und im Biorhythmus bei empfindlichen Menschen, wenn diese elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt sind. Denen empfiehlt sie, handyfreie Zonen einzurichten, etwa im Schlafzimmer.
Genau das hat Julia Körner (Name geändert) gemacht. Die Unternehmensberaterin lebt in München, nahe dem Englischen Garten. Als sie die Tür aufmacht, hält sie ihre 15 Monate alte Tochter Marie im Arm. Es gab Tage, da dachten Körner und ihr Ehemann, es würde nie etwas mit dem Nachwuchs.
Vor vier Jahren haben Julia Körner und ihr Mann, ein Manager in der Automobilindustrie, geheiratet. "Und wie es so klassisch ist: Wir haben uns ein Kind gewünscht." Doch der Wunsch blieb unerfüllt. Ärzte konnten keine Anomalien finden. Zwei Jahre lang, sagt Körner, "haben wir alles ausprobiert. Haben unsere Ernährung umgestellt, uns entgiften lassen, sind zu Homöopathen gegangen." Doch noch immer wollte sich keine Schwangerschaft einstellen. Julia Körner war am Verzweifeln. Tagelang googelte sie im Internet - und stieß auf Kuglers Seite.
Schnell kam Kugler angereist und stellte fest: dass das Schlafzimmer ungeeignet sei zum Schlafen. Kugler hat ein gutes Gedächtnis, er erinnert sich noch genau an Familie Körner: "Sehr schöne Wohnung, besser kann man gar nicht wohnen, aber das Bett stand über einer Wasserader, die stark gestört hat, plus negativ geladene Benker- und Curry-Linien, plus Strom in Wänden, Decken, Böden, plus Mobilfunkantennen von außen, plus Wlan in der Wohnung."
Die meiste Zeit in seinem Leben ging es Böck schlecht. "Mir war immer übel."
Kuglers Empfehlungen wurden sofort umgesetzt. Noch am Abend von Kuglers Besuch zogen die Körners mit dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer, ließen anschließend einen Netzfreischalter einbauen, wechselten ihre alten Schnurlostelefone gegen neue aus, die im Menü den strahlungsarmen Modus "Eco plus" besitzen. Drei Wochen später rief Julia Körner aufgeregt bei Kugler an: "Ich bin schwanger!" Manche ihrer Freundinnen sind bis heute skeptisch über den Zusammenhang zwischen Kuglers Tipps und der Geburt von Marie: "Die sagen, du glaubst an selbsterfüllende Prophezeiungen." Solche Sprüche können Körner nicht umstimmen. Demnächst zieht sie mit ihrer kleinen Familie um in ein Haus nach Grünwald. Sie haben es untersuchen lassen von Kugler, bevor sie den Kaufvertrag unterschrieben. Kugler hat nichts gefunden.
Eigentlich aber findet er immer etwas. Statt Strahlen manchmal auch: Gift. Wie bei Johann Böck, der in Schwangau lebt, zum Schloss Neuschwanstein sind es fünf Minuten mit dem Auto. Böck ist jetzt 70 Jahre alt. Er sitzt in seinem Wohnzimmer, er sieht zufrieden aus. Die meiste Zeit in seinem Leben ging es Böck schlecht. "Mir war immer übel." Suppen, die ihm seine Frau für die Arbeit mitgab, rührte er nicht an. Johann Böck ging zu Ärzten, doch die Ärzte stifteten Verwirrung. Einer sagte: "Sie haben Leberzirrhose." Dabei trinkt Johann Böck gar keinen Alkohol. Ein anderer gab zu: "Ich weiß nicht, was Sie plagt."
Sein Hausarzt gab ihm den Rat: "Rufen Sie mal den Kugler an." Der fand erhöhte Benker- und Curry-Linien, die in der Wünschelruten-Theorie besagen, dass Energiefelder aufnehmend oder abnehmend sind. Am meisten aber machte Kugler das Schlafzimmer Sorgen. Die Möbel stammten aus den Siebzigerjahren, sie waren formaldehydbelastet. In der Holzdecke entdeckte Kugler das Gift Lindan. So ließen die Böcks ihr Schlafzimmer renovieren, rissen sämtliche Holzverkleidungen heraus. Heute schlafen sie in einem mit Bienenwachs polierten Naturfichtenbett. Von einem Tag auf den anderen verzichtete Böck auch auf seine 16 Tabletten - bis heute.
Er hat auch wieder Appetit und isst, was er mag. Seine Bodenständigkeit hat er sich behalten: "Es ist mir leichter geworden seitdem. Vielleicht ist es Einbildung, dass das, was Herr Kugler uns geraten hat, mir geholfen hat. Was ich aber weiß: Mir geht es seitdem besser, viel besser."