Urteil gegen "El Chapo":Zehnmal "schuldig"

Lesezeit: 3 Min.

  • Je länger sich die Beratungen der Jury im Prozess gegen den mexikanischen Drogenboss Joaquín Guzmán zogen, desto mehr Zweifel kamen am sicher geglaubten Schuldspruch auf.
  • Schließlich hatte die New Yorker Staatsanwaltschaft im fast dreimonatigen Prozess mehr als 50 Zeugen präsentiert, die über "El Chapos" Drogengeschäfte und andere Verbrechen aussagten.
  • Doch allein der Hauptanklagepunkt umfasste 27 einzelne Rechtsverstöße - das Gremium machte schlicht seine Arbeit und prüfte jeden einzelnen sorgfältig.
  • Am Ende steht der von der Staatsanwaltschaft erhoffte Schuldspruch - und ein Sieg für die US-Justiz.

Von Johanna Bruckner, New York

Je länger sich die Beratungen der Jury hinzogen, desto besser wurde die Laune von Joaquín Guzmán, den die Welt vor allem als "El Chapo" kennt - "der Kurze". Ging es nach der New Yorker Staatsanwaltschaft, war der Mann, der seinen Spitznamen seiner untersetzten Statur verdankt, bis zu seiner vorerst letzten Verhaftung im Januar 2016 einer der Größten im Drogenhandel zwischen Kolumbien, Mexiko und den USA. Seit Mitte November wurde dem 61-Jährigen deshalb im Eastern District Court im Stadtteil Brooklyn der Prozess gemacht. Der fast dreimonatige Verhandlungsmarathon war von Beginn an auch ein Medienspektakel. "El Chapo", der sich einst von Hollywoodstar Sean Penn interviewen ließ, schien diese Aufmerksamkeit zu genießen. Umso mehr, als sich in den vergangenen Tagen abzeichnete, dass die zwölfköpfige Jury Schwierigkeiten hatte, zu dem sicher geglaubten Schuldspruch zu kommen.

Als am vergangenen Donnerstag die erste Woche der Beratungen des aus Sicherheitsgründen anonymen Gremiums ohne ein Urteil zu Ende ging, bedankte sich ein grinsender Guzmán bei Jeffrey Lichtman, einem seiner drei Verteidiger. Dem Boulevardblatt New York Post war die "dramatische Umarmung" vor Gericht einen eigenen Artikel wert. Alles schien auf eine Überraschung in einem der aufsehenerregendsten Prozesse in der jüngeren amerikanischen Geschichte hinzudeuten.

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Am Ende ist es nun doch der erwartete Schuldspruch geworden. Am Dienstagmittag (Ortszeit) befand das zwölfköpfige Gremium Joaquín Guzmán in allen zehn Anklagepunkten für schuldig. Darunter: Führung einer kriminellen Vereinigung, Verschwörung zur Herstellung und Verbreitung von Kokain, Heroin, Methamphetamin und Marihuana sowie Geldwäsche. "El Chapo", dem es mehrmals auf spektakuläre Weise gelungen war, sich der Strafverfolgung in seiner Heimat Mexiko zu entziehen, droht damit eine lebenslange Haftstrafe in den USA. Guzmáns Anwälte kündigten an, das Urteil anzufechten.

Gleich am ersten Tag musste der Richter die Beteiligten einbremsen

Über das konkrete Strafmaß wird nun Richter Brian Cogan entscheiden, der nicht nur durch ein langwieriges und stellenweise kleinteiliges Verfahren leiten musste, sondern auch allzu aufgeregte Beteiligte einzubremsen hatte. Gleich am ersten Prozesstag im November hatte er die Staatsanwalt­schaft ermahnt, aus einem Drogenprozess keinen Mordprozess zu machen - in der Anklage wurden dem früheren Chef des Sinaloa-Kartells auch Dutzende Morde zur Last gelegt. Und Verteidiger Eduar­do Balarezo holte sich einen Rüffel ab, als er versuchte, die Ängste eines Jurymitglieds lächerlich zu machen. Immer wieder gab es im Laufe des elfwöchigen Verhandlungsmarathons Störfeuer. Zuletzt in der vergangenen Woche, als ein Mann mit der Behauptung, er sei ein Familienmitglied "El Chapos", einen der begehrten Plätze in Cogans Gerichtssaal für sich beanspruchte. Der vermeintliche Verwandte entpuppte sich als Aufmerksamkeitssuchender mit ausstehendem Haftbefehl - und wurde an verdutzten Beobachtern vorbei abgeführt.

Mitunter erinnerte das Geschehen an eine Hollywood-Produktion über einen mexikanischen Drogenboss, die so überdreht ist, dass der Schrecken des organisierten Verbrechens fast schon lächerlich erscheint. So versorgte "El Chapos" 29-jährige Ehefrau Emma Coronel Aispuro ihre 28 000 Abonnenten auf Instagram regelmäßig mit Fotos, die sie sorgfältig zurechtgemacht für die wartenden Kameras vor dem Gerichtsgebäude zeigten. "Ich werde dir bis zum Ende beistehen, weil ich dich liebe", schrieb sie in einem Beitrag an ihren inhaftierten Ehemann gerichtet. Eine Umarmung zwischen den Eheleuten hatte Richter Cogan abgelehnt. Kurz vor den Schlussplädoyers kamen sich Gerichtsrealität und Serien-Fiktion dann tatsächlich ganz nahe. Alejandro Edda machte seine Aufwartung im Eastern District Court - der mexikanische Schauspieler verkörpert "El Chapo" im Netflix-Format Narcos: Mexico.

Richter Cogan ist es mit zu verdanken, dass die US-Justiz trotz der widrigen äußeren Umstände als Gewinnerin aus diesem im Kampf gegen den Drogenhandel historischen Prozess hervorgeht. Er nahm sich am vergangenen Montag mehrere Stun­den Zeit, um die Jury für ihre anstehenden Beratungen zu briefen. Im Prozess hatten 56 Zeugen ausgesagt, darunter ehemalige Mitarbeiter und Ex-Geschäftspartner Guzmáns. Sie beschrieben, wie "El Chapo" den Kokain- und Heroin-Schmuggel in die USA professionalisierte: Indem er ein unterirdisches Tunnelnetz anlegen ließ; Lastwagen, Flugzeuge und sogar ein U-Boot zum Transport des Rauschgifts einsetzte. Weil er den Drogenschmuggel über die Grenze beschleunigte, bekam "El Chapo" irgendwann einen weiteren Spitznamen: "El Rapido", der Flotte. Die Verteidi­gung hatte dem Zeugen-Schaulaufen der Staatsanwaltschaft wenig entgegenzusetzen - sie präsentierte einen einzigen Entlastungszeugen.

Allein der Hauptanklagepunkt umfasste 27 Rechtsverletzungen

Für die Jury galt es, trotz der augenscheinlich überwältigenden Beweislast bei ihren Beratungen sorgfältig vorzugehen. Immer wieder bat das Gremium in den vergangenen Tagen darum, noch einmal Einsicht in einzelne Aussagen zu bekommen. Allein der Hauptanklagepunkt, in dem Guzmán vorgeworfen wurde, über Jahre einen internationalen Drogenschmuggelring geleitet zu haben, umfasste 27 einzelne Rechtsverletzungen. Die acht Frauen und vier Männer im Gremium mussten sich einstimmig auf mindestens drei verständigen, um "El Chapo" in diesem Punkt schuldig sprechen zu können.

Das dauerte - und ließ das Verteidigerteam zwischenzeitlich schon an einen Sieg glauben. Am vergangenen Freitag twitterte die Kanzlei Balarezo ein Foto, das eine Tequila-Flasche in der Form einer Pistole zeigte. Überschrieben war der Beitrag mit den Worten: "Für nach dem Prozess."

Das Strafmaß im Fall Guzmán soll Ende Juni verkündet werden.

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