Drogenkrieg in Mexiko:Versuch, Sohn von "El Chapo" festzunehmen, endet im Chaos

Mexiko: Brennender Bus in Culiacan

Ein brennender Bus blockiert eine Straße in Culiacán.

(Foto: Jesus Bustamante/Reuters)
  • Sicherheitskräfte haben im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa versucht, einen Sohn des Drogenbarons "El Chapo" festzusetzen.
  • Acht Menschen sind bei Schusswechseln ums Leben gekommen.
  • Das Geschehen wurde als gescheiterte Operation beschrieben. Der gesuchte Mann ist weiterhin auf freiem Fuß.

Von Sandro Benini

Culiacán ist die Haupstadt des mexikanischen Bundesstaates Sinaloa, 800.000 Menschen leben hier. Es war drei Uhr Ortszeit am Donnerstagnachmittag, als sich in Culiacán der Schlund zur Hölle zu öffnen schien. Kurz zuvor war es der mexikanischen Armee gelungen, Ovidio Guzmán in einem Haus in Culiacán auszumachen. Er ist einer von mindestens zehn Söhnen des so mächtigen wie skrupellosen Drogenbosses Chapo Guzmán, der in einem amerikanischen Hochsicherheitsgefängnis seine lebenslange Strafe absitzt.

Doch der Erfolg, den jungen Guzmán gefunden zu haben, wird zur Niederlage für die Staatsmacht: Nach sechs Stunden müssen die Soldaten sich zurückziehen. Denn das Sinaloa-Kartell Guzmáns reagiert überwältigend schnell und gewaltsam: Im Handumdrehen mobilisiert die Kriminellenorganisation Hunderte ihrer Mitglieder. Augenzeugen berichten später, dass viele Lieferwagen und Pick-ups aus den umliegenden Bergen regelrecht in die Stadt einfallen. Die Männer, die aus ihnen steigen, liefern sich stundenlange Feuergefechte mit Armee und Polizei.

Auf sozialen Netzwerken zeigen Videos, wie sich in Culiacán Chaos ausbreitet. Terrorisierte Bürger hasten durch die Straßen, Autofahrer stürzen aus ihren Fahrzeugen und bringen sich in Deckung. In Restaurants, Schulen und Büros geraten Menschen wegen der ständigen Maschinengewehrsalven in Panik. Auf den Straßen liegen Tote, es brennen Autos, und die Männer des Kartells patrouillieren auf wichtigen Verkehrsachsen der Stadt, als wäre das organisierte Verbrechen eine Besatzungsmacht.

Die Bewaffneten befreien zudem aus einem Gefängnis 30 Verbrecher. Den Behörden bleibt nichts anderes übrig, als die Menschen aufzufordern, zu Hause zu bleiben und die Autobahnzufahrten zur Stadt zu blockieren. Ein Fußballspiel der höchsten mexikanischen Liga wird abgesagt, weil sich die Spieler der Gastmannschaft nicht aus dem Hotel trauen.

Acht Menschen sind schließlich umgekommen bei den Gefechten nach dem Versuch, Ovidio Guzmán festzunehmen, teilen die mexikanischen Behörden am Freitag mit. Unter den Toten seien ein Zivilist, ein Mitglied der Nationalgardisten, ein Gefängnisinsasse sowie fünf Angreifer.

Dass es in Mexiko Regionen gibt, in denen die Drogenmafia dem Staat das Gewaltmonopol entrissen hat, ist lange bekannt. Aber dass das Sinaloa-Kartell imstande ist, in einer großen Stadt eine derartige quasi-militärische Operation durchzuführen, damit hatte kaum jemand gerechnet. Mexikos Öffentlichkeit ist schockiert, obwohl sie im Verlaufe des mehr als zehnjährigen mexikanischen Drogenkrieges viele Schrecken erlebt hat. "Culiacán: eine unerklärliche Kapitulation", titelte die Online-Ausgabe der Zeitung Excelsior.

Nach sechs Stunden Gefechten sind die Straßen leergefegt

Ovidio Guzmán López, genannt "El ratón", die Maus, ist 28 Jahre alt. Nach der Verhaftung seines Vaters Chapo Guzmán brachen im Kartell Kämpfe um dessen Nachfolge aus, an denen neben Ovidio Guzmán auch andere Söhne des Drogenbosses beteiligt waren. Außerdem kämpft das Sinaloa-Kartell gegen einen ebenso furchterregenden Gegner: das "Cartel Jalisco Nueva Generación", dessen Kürzel CJNG in ganz Mexiko Angst verbreitet. Experten glauben, die 2010 gegründete Organisation sei heute mächtiger als das Sinaloa-Kartell. Wie hoch Ovidio Guzmán in der Verbrecherorganisation seines Vaters gestiegen ist, weiß man nicht. Er wird aber in Mexiko und in den USA als wichtiger Dealer von Kokain, Amphetaminen und Marihuana gesucht.

Am Donnerstagabend, nach sechs Stunden Gefechten zwischen Kriminellen und Ordnungskräften, sind die Straßen von Culiacán laut einem Zeugen leergefegt. "Es brannten noch mehrere Fahrzeuge, aber Schüsse waren keine mehr zu hören", berichtete er. Sinaloas Polizeichef Alfonso Durazo musste verkünden, seine Behörde habe sich gezwungen gesehen, Ovidio Guzmán wieder freizulassen. Sicherheit und Wohlergehen der Einwohner seien wichtiger gewesen.

Verteidigungsminister Luis Cresencio Sandoval sagte am Freitag, die Fähigkeit des Kartells, viele Leute zu mobilisieren, sei unterschätzt worden. Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador teilte mit, er habe die Entscheidung der Sicherheitskräfte unterstützt, sich zurückzuziehen, um ein Blutbad zu verhindern. "Einen Kriminellen zu fassen, kann nicht mehr wert sein als die Leben der Menschen." Der seit Dezember regierende Linkspopulist war mit dem Versprechen angetreten, die Gewalt einzudämmen.

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