Süddeutsche Zeitung

Eklat bei Verkehrsgesellschaft in Hamburg:Stillen im Bus? Ja, gerne!

  • In Hamburg soll ein Busfahrer eine Frau, die ihr Baby gestillt hat, aus dem Bus geworfen haben.
  • Die Geschichte verbreitet sich über soziale Netzwerke, Bloggerinnen und Freundinnen der Frau rufen dazu auf, sich bei der Hochbahn zu beschweren.
  • Das Unternehmen zeigt daraufhin, wie ein souveräner Umgang mit Shitstorms aussehen kann.

Von Hannah Beitzer, Hamburg

Eine Frau in Hamburg fährt mit ihrem Baby in einem Bus der Hamburger Hochbahn. Das Baby schreit, sie gibt ihm die Brust. Das stört eine Mitfahrerin und den Busfahrer, er fordert die Frau über das Mikrofon dazu auf, den Bus zu verlassen. Sie weigert sich, der Bus fährt nicht weiter. Schließlich steigt sie aus. Wütend postet sie ihr Erlebnis auf Facebook. Dort sehen es Freundinnen, kopieren ihre Nachricht, sie wandert über die sozialen Netzwerke in Blogs von anderen Müttern - versehen mit der Aufforderung, den Verkehrsbetrieben doch mal richtig die Meinung zu sagen. Die Bloggerinnen liefern Telefonnummer und E-Mail-Adresse der Pressesprecher gleich mit.

Auf der Facebook-Seite des Unternehmens beschweren sich kurz darauf Dutzende über den Fahrer, ebenso auf Twitter. Auch einige Beschwerdemails und Anrufe gehen ein. Die meisten bitten die Pressestelle einfach nur um Aufklärung. Einige fordern aber auch die Entlassung des Busfahrers, andere spekulieren, welcher Religion er angehört, wieder andere beschimpfen Mütter, die in der Öffentlichkeit stillen. Regionale Medien berichten über den Vorfall, die Geschichte verbreitet sich immer weiter.

Viele Unternehmen scheitern an Shitstorms

Es ist eine Situation, wie sie viele Unternehmen kennen: Ein Mitarbeiter macht einen Fehler, der öffentlich wird. Dann folgen - durchaus berechtigte - Beschwerden auf allen Kanälen. Schnell werden die Diskussionen persönlich, emotional, unsachlich. Für die betroffenen Unternehmen ist es nicht leicht, auf eine solche Welle der Wut zu reagieren und viele von ihnen scheitern dabei spektakulär. Und die Beschwerdeführer? Stehen am Ende häufig als entfesselter Lynchmob da, auch wenn es ganz zu Beginn mal um berechtigte Kritik ging.

Beispielhaft dafür ist die Debatte um die Kolumne einer freien Autorin im nordrhein-westfälischen Anzeigenblatt OWL am Sonntag, die Leser (aus guten Gründen) als homophob empfanden. Sprach die Chefredaktion der Zeitung zunächst noch von einer Fehlleistung der Redaktion, hieß es in einem zweiten Statement, die Kolumne sei mit der Redaktionsleitung gar nicht abgestimmt gewesen. Die Lokalzeitung beendete außerdem die Zusammenarbeit mit der freien Autorin - eine Reaktion, die der Chefredaktion den Vorwurf einbrachte, die Verantwortung feige abzuwälzen. Die Autorin sah ihren guten Ruf vernichtet, fühlte sich persönlich an den Pranger gestellt.

Die Hamburger Hochbahn reagiert auf ihren Shitstorm nun anders als die Chefs der Kolumnistin. Kurz nachdem die ersten Beschwerden eintrudeln, stellt das Unternehmen in den sozialen Medien klar, dass das Stillen von Babys in den Bussen und Bahnen selbstverständlich erlaubt sei. Die Unternehmensführung verspricht öffentlich, das auch nochmal allen Fahrern klarzumachen. Wo die Diskussion allzu sehr ausufert, greift das Social-Media-Team ein, mahnt einen sachlichen und respektvollen Ton an.

Fehler eingestehen und trotzdem Mitarbeiter schützen

Die Pressestelle bittet außerdem um Zeit, den Busfahrer und die Mutter zu finden und die Situation persönlich zu besprechen. Schließlich findet das Unternehmen eigenen Angaben zufolge die Mutter, die eigentlich anonym bleiben wollte, entschuldigt sich bei ihr. Und stellt sich trotzdem hinter den Busfahrer, der laut Hochbahn nicht ermittelt werden konnte: "Zu den Stimmen, die personelle Konsequenzen bis zu einer Kündigung gefordert haben und jetzt behaupten könnten, wir wollen das eh nur vertuschen: Dem ist nicht so. Ein solcher Fehler hätte ein klärendes Gespräch mit dem Betreffenden zur Folge. Aber niemals eine Kündigung. Fehler passieren, das ist menschlich."

Fehler eingestehen, die Position des Unternehmens klarmachen, sich bei Betroffenen entschuldigen und trotzdem die eigenen Mitarbeiter schützen: Das scheint zu funktionieren. Auf Facebook hat die Hochbahn die Diskussion inzwischen beendet, auf Twitter geht es wieder um Fahrscheinkontrollen und Baustellen. Ganz im Sinne der Betroffenen dürfte sein, dass sich über stillende Mütter in Zukunft wohl kein Busfahrer mehr beschweren wird.

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